Gesammelte Kolumnen von Hannah Arendt

Juden an die Front!

Hannah Arendt plädierte im Kampf gegen den deutschen Vernichtungskrieg für eine jüdische Armee.

Wir können den Antisemitismus nur bekämpfen, wenn wir mit der Waffe in der Hand gegen Hitler kämpfen!« Dieses Ziel bestimmte das publizistische Engagement Hannah Arendts während des Zweiten Weltkrieges. Das dokumentiert ein jüngst von Marie Luise Knott herausgegebener Sammelband, in dem erstmals alle von Arendt zwischen 1941 und 1944 für die jüdische Emigrantenzeitschrift Aufbau verfassten Kolumnen in chronologischer Folge zusammengestellt sind.

Der in New York erscheinende Aufbau entwickelte sich ab 1939 zur wichtigsten Zeitschrift für die deutschsprachigen Juden in aller Welt. Er enthielt neben Suchmeldungen des Roten Kreuzes auch Informationen über die neuesten Einwanderungsbestimmungen und Tipps zum Arbeitsrecht für Immigranten. Seit dem 6. November 1942 veröffentlichte der Aufbau in jeder Nummer seitenlange Namenslisten von Deportierten beispielsweise aus dem südfranzösischen Lager Gurs, in dem auch Arendt 1940 interniert worden war. Mit den ersten Nachrichten über die Vernichtungspolitik begann Arendts Tätigkeit für den Aufbau.

Bisher lagen einzelne ihrer Aufbau-Artikel nur in zwei von Eike Geisel und Klaus Bittermann 1989 und 1991 herausgegebenen Büchern vor. So wichtig dies für die beginnende Rezeption Arendts vor zehn Jahren war, fehlte den Büchern doch eine Chronologie und eine Kommentierung der Texte. So konnte bei den Lesern etwa der Eindruck entstehen, es handle sich um nach 1945 veröffentlichte Texte, die ausschließlich Arendts Kritik am Zionismus enthalten.

Verloren ging auch, dass sich Arendt ab 1941 vor allem für die Forderung nach einer jüdischen Armee einsetzte, die gegen den Nationalsozialismus und dessen zentrales Projekt, die Vernichtung der europäischen Juden, kämpfen sollte. Knott ordnet in ihrem Nachwort die Stellungnahmen Arendts historisch ein und macht die politischen Erfahrungen der Autorin der »Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft« transparent. Denn beim Umgang mit dem historischen Material ist Vorsicht geboten, Arendts Schriften werden neuerdings von Totalitarismustheoretikern vereinnahmt oder ahistorisch verwandt - leider trifft dies auch auf die von Knott im Vorwort hervorgehobene Blindheit Arendts gegenüber der Sowjetunion zu.

Arendts seit Oktober 1941 veröffentlichte Kolumnen erschienen zumeist unter der Überschrift: »This means You«. Dieser Titel griff einen Slogan auf, mit dem im US-amerikanischen Bürgerkrieg die Nordstaaten Soldaten für die Sklavenbefreiung rekrutiert hatten. Daran anknüpfend beabsichtigte Arendt, das politische Bewusstsein der jüdischen Öffentlichkeit in aller Welt aufzurütteln. Sie forderte eine eigenständige jüdische Armee, die als legitimer Bestandteil der Koalition der Alliierten gegen das Deutsche Reich anerkannt werden sollte. Mit dieser Forderung, die sie als Reaktion auf die deutsche Vernichtungspolitik erhob, stand Arendt keineswegs allein. Bereits 1939, unmittelbar nach Kriegsbeginn, begann die Jewish Agency mit der britischen Regierung über die Bildung einer jüdischen Armee zu verhandeln. 1940 brach die britische Regierung die Verhandlungen ab, weil man in London fürchtete, dass die Juden in Palästina aus ihrem militärischen Engagement später Territorialansprüche ableiten und sie ihre Waffen gegen die Araber oder gegen die Mandatsregierung richten könnten.

Seit 1941 wurde auf vielen Massenversammlungen und Petitionen in Nord- und Südamerika, in Palästina, Südafrika und Großbritannien die sofortige Aufstellung einer jüdischen Armee aus palästinensischen und staatenlosen Juden verlangt. Diese Bewegung blieb jedoch ohne politische Organisation. Arendt machte sich bewusst zu ihrer Sprecherin. In ihren Aufbau-Artikeln betonte sie, dass kein Ende des Antisemitismus im Rahmen der Nationalstaaten möglich sei, auch nicht in Palästina. Mit politischer Sensibilität trat sie für einen Kampf gegen den Antisemitismus ein, der nicht nur mit den Mitteln der Ideologiekritik und der Diskurstheorie geführt werden müsse.

Zum Zwecke der internationalen Anerkennung des jüdischen »Volkes ohne Territorium« verlangte sie in Übereinstimmung mit der American Jewish Conference dessen politische Vertretung in den noch zu schaffenden United Nations. Arendt befand sich im Streit mit Vertretern der traditionellen zionistischen Politik, die ihre Perspektive in der Unterordnung unter Geldgeber und Protektionsmächte sahen.

Dies kritisierte Arendt als »Nur-Opfer-Haltung«. Obwohl die Briten 1939 Palästina für jüdische Einwanderer schlossen, hielt die Mehrheit der zionistischen Verbände am idealistischen Siedlungsmodell von Theodor Herzl aus dem 19. Jahrhundert fest. Den Einsatz einer jüdischen Armee wollten sie daher auf die Sicherung und Verteidigung des Territoriums von Palästina beschränkt wissen.

Die von Arendt diagnostizierte »Krise des Zionismus« erreichte Anfang Mai 1942 ihren Höhepunkt mit den Biltmore-Beschlüssen des Zionistischen Weltverbandes. Während die Vernichtung der europäischen Juden begonnen hatte, wurde auf dieser Konferenz lediglich die Gründung eines Gemeinwesens Palästina beschlossen, in dem der arabischen Bevölkerungsmehrheit nur noch Minderheitenrechte zugestanden werden sollten; ein Beschluss zur Aufstellung einer Jüdischen Armee kam nicht zu Stande. Enttäuscht stellte Arendt Ende 1942 ihre Aufbau-Kolumne »This means You« ein und trat 1943 aus der World Zionist Organization aus.

Nach dem Aufstand im Warschauer Ghetto, den Nachrichten über jüdische Guerillagruppen und weiteren bewaffneten Rebellionen in den Konzentrationslagern und Ghettos, die Arendt im April 1944 im Aufbau würdigte, hoffte sie doch noch auf eine späte Realisierung ihrer zentralen Forderung. »Worum die Juden der ganzen Welt (...) seit Jahren petitioniert hatten, die Aufstellung einer jüdischen Armee, war plötzlich von denjenigen geschaffen worden, von denen man Taten am wenigsten erwartet (...) hatte. Diejenigen, die vor einem Jahr noch verzweifelt nach Rettung schrien und hilflose Opfer der Mordlust waren, (...) hatten plötzlich über Nacht beschlossen, wenn möglich sich selbst und auf jeden Fall dem jüdischen Volk zu helfen. (...) Damit liquidierten sie die Pariastellung des jüdischen Volkes in Europa und ordneten sich als Gleichberechtigte in den Freiheitskampf der europäischen Völker ein. Die Entvölkerungspolitik der Nazis hat es schließlich dahin gebracht, dass Kadavergehorsam gefährlicher geworden ist als offene Rebellion. Es ist nicht nur besser, es ist auch sicherer, einer Guerilla-Truppe anzugehören, als in einem Konzentrationslager zu sitzen und in Zwangsarbeit verschleppt zu werden.«

Schon im Juli 1944 hob Arendt auch die Rolle der jüdischen Einheiten in der palästinensischen Armee, der jüdischen Partisanen in Frankreich, der jüdischen Gruppen in Titos Armee und der Einheiten jüdischer Nationalität in der Sowjetarmee hervor. In der BRD wurde die Geschichte des jüdischen Widerstandes erst Anfang der Neunziger von Autoren wie Ingrid Strobl, Arno Lustiger und Reuben Ainsztein zur Kenntnis genommen. Arendts Hoffnung, der jüdische Widerstand könne zu einer politischen Gleichberechtigung des jüdischen Volkes in Europa und in der Kriegskoalition beitragen, schwand 1945 nach der UN-Gründungsversammlung in San Francisco.

Das Problem des Antisemitismus und der staatenlos gemachten Flüchtlinge, die recht- und schutzlos der Willkür ihrer Aufnahmestaaten ausgeliefert waren, hielt Arendt im bestehenden System der Nationalstaaten für unlösbar: »Unsere einzige Chance - aber auch die einzige Chance aller kleinen Völker - liegt in einem neuen föderalen System Europas.« Arendt entwickelte eine Reihe förderativer Modelle für eine »vernünftige Lösung der Palästina-Frage«, mit denen sie der Gefahr entgegentreten zu können glaubte, dass entweder Juden oder Araber zur dominierenden Bevölkerungsgruppe aufstiegen.

Hannah Arendt: Vor Antisemitismus ist man nur noch auf dem Monde sicher. Piper Verlag, München 2000, 244 S., DM 39,80