Ausstiegsprogramm für Neonazis

Nazis verzweifelt gesucht

Das Aussteigerprogramm für Rechtsextreme hat begonnen, und nicht nur der Verfassungsschutz will mitmachen.

Die Ankündigungen von Innenminister Otto Schily hatten im Februar für Aufregung gesorgt. Seit Mitte April läuft nun das so genannte Aussteigerprogramm für Rechtsextreme, mit dem die Bundesregierung Nazikader zur »Rückkehr in die Demokratie« animieren will. Durchgeführt wird es vom Bundesamt für Verfassungsschutz, das Aussteigewilligen in Zusammenarbeit mit Jugend- und Arbeitsämtern etwa Jobs und Ausbildungsplätze vermitteln oder sie bei der Wohnungssuche unterstützen will. In Ausnahmefällen sind auch finanzielle Hilfen vorgesehen.

Vorerst hat der Verfassungsschutz eine Telefon-Hotline eingerichtet, bei der sachkundige Mitarbeiter Tag und Nacht zur »vertraulichen Kontaktaufnahme« bereitstehen. Neonazis oder deren Angehörige können dort anrufen und, sofern sie gewillt sind, Unterstützung beim Ausstieg aus der Szene bekommen. Wenn die zuständigen Beamten entscheiden, dass der Kandidat Aussicht auf Besserung hat, stehen bis zu 100 000 Mark zur Verfügung, um im Einzelfall auch eine neue Identität zu finanzieren.

Ausgestiegen ist in den letzten Wochen noch keiner. Doch liegt nach Angaben von Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm die Zahl der eventuell Interessierten im dreistelligen Bereich, wie er stolz berichtet. Die entsprechenden Telefonnummern waren ja auch in fast allen Zeitungen abgedruckt, vor allem in linksliberalen Medien wie der taz oder der Frankfurter Rundschau, vermutlich weil sie die zahlreichen Pädagogen und Pädagoginnen unter ihrer Kundschaft als perfekte Schnittstellen zu Jungnazis ansehen. So funktioniert Zivilgesellschaft. Dass aber auch das Aussteigerprogramm funktioniert, darf bezweifelt werden.

Auch der Bielefelder Jugendforscher Wilhelm Heitmeyer ist skeptisch. Nach seiner Ansicht haben Rechtsextreme ein »Anerkennungsproblem«, das sie durch die Zugehörigkeit zur Szene zu lösen versuchten. Die entscheidende Frage sei daher: »Von wem bekommen sie Anerkennung, wenn sie sagen: Ich bin da raus?« Staatliche Institutionen könnten schließlich »keine Wärme ausstrahlen«, gibt Heitmeyer zu bedenken. Dass Nazis »Wärme« brauchen, wussten ja schon Die Ärzte: »Weil du Probleme hast, die keinen interessieren / und weil du Schiss vorm Schmusen hast, bist du ein Faschist.«

Was der Jugendforscher so verständnisvoll zur Sprache bringt, ist die Beschränkung des Programms auf eine Zerschlagung von Kaderstrukturen. Im Gegensatz zum Einzeltäterideologem der herrschenden Rechtssprechung richtet sich die gegenwärtige Strategie der staatlichen Antifa vor allem gegen die rechten Organisationsstrukturen. Ihre Botschaft lautet: Wenn wir nur die Organisationen zerschlagen, wird auch der rechte Sumpf ausgetrocknet. Sowohl Kader als auch einfache Mitglieder sind jedoch nicht nur per Parteibuch, sondern auch durch ihr soziales Umfeld an die faschistischen Organisationen gebunden. Dem trägt das Aussteigerprogramm nur insofern Rechnung, als es das Verlassen der informellen Strukturen erleichtern soll.

Außerdem ist Rassismus nicht nur eine rechtsextreme Subkultur. Auf die Idee, das lokale Flüchtlingsheim anzugreifen, kommen viele auch ganz ohne Nazikader. Und genau diese Verbindung zur gesellschaftlichen Mitte ist seit jeher eines der zentralen Argumente rechtsextremer Gruppen im Kampf gegen ihre Ausgrenzung aus dem »Kreis der Demokraten«. Die NPD hat sich anlässlich des Verbotsantrags vor kurzem auf diese Argumentation besonnen, um ihre Demokratietauglichkeit nachzuweisen: Die ehemaligen Kanzler Helmut Kohl und Helmut Schmidt hätten ja auch schon massenhaft »Ausländer rückführen« wollen.

Der Versuch der NPD, sich als das wahre Aussteigerprogramm auszugeben, wird wahrscheinlich nicht gelingen. Der Prozessbevollmächtigte Horst Mahler, ehemals RAF, rechtfertigte die im Verbotsantrag angeführten Verbindungen der Partei zu Skinhead-Gruppen und Neonazi-Kameradschaften mit der Behauptung, diese dienten in Wirklichkeit dazu, die Skinheads zu »politischer Arbeit anzuhalten« und zu »disziplinieren«. Die NPD könne viele junge Menschen vor »einer Knastkarriere bewahren«, meinte er.

Auch andere versuchen, Aussteigerprogramm zu spielen. Zum Beispiel Christoph Schlingensief. Im Rahmen seiner Hamlet-Inszenierung in Zürich sollen ausstiegswillige Jungrechte Theater spielen und »einen Einblick in künstlerisch-kreative Tätigkeit« erhalten. Sinnigerweise heißt sein Projekt »RAUS« und soll das Regierungsprojekt unterstützen. Eine Hand wäscht die andere, Schlingensief wird von der Bundeszentrale für politische Bildung gefördert.

Angeblich haben sich über 100 »resozialisierungsbereite« Neonazis per Internet gemeldet. Und der Darsteller Hamlets, Sebastian Rudolph, konnte am letzten Samstag in der taz über das erfolgreiche »Nazi-Casting« schreiben: »Die Nazis sind da. Endlich... Große Freude. Da sitzen sie, die Hochkaräter, die kleinen Fische und machen uns klar: Es gibt sie gar nicht, die Nazis. Nationale sind sie. Verwirrte. Verfolgte. Aber keine Nazis. - Das wollen wir doch aber gar nicht.« Und so weiter.

Die Fachleute glaubten nicht so recht an den Erfolg des staatlichen Ausstiegsprogramms, berichtete die Frankfurter Rundschau, doch finde sich niemand, der die Aktion grundsätzlich verwerfe. »Denn alle wissen auch: Etwas muss geschehen.« Und irgendetwas geschieht ja immer.

Davon künden die vielen rührigen Geschichten, die in letzter Zeit veröffentlicht werden. Etwa die taz-Story vom türkischstämmigen Junggewerkschafter, der einmal eine ganze Nacht lang mit Neonazis diskutierte und am nächsten Tag mit einer Umarmung verabschiedet wurde; einer der beteiligten Nazis soll Jahre später sogar ein Antifaschist geworden sein. Oder die Tagesspiegel-Geschichte von dem Neonazikader, der nach seinem Ausstieg aus der Szene eine Firma gründet, dort seinen ausländischen Angestellten vor der Abschiebung bewahrt und die Ausländergesetze »unglaublich krass« findet.

Das ist die Begleitmusik zur sozialdemokratischen Politikinszenierung. So wie demnächst wahrscheinlich dem einzelnen Arbeitsunwilligen, vulgo Faulenzer, der individuelle Berater des Arbeitsamts zur Seite steht, wird auch dem politisch auf die schiefe Bahn Geratenen Beistand gewährt. So wie Arbeitslosigkeit kein gesellschaftliches Phänomen ist, das etwas mit Lohnarbeit und Kapital zu tun hätte, ist auch Neofaschismus eine Frage der individuellen Karriere.