Debatte um Deutschkurse

Integration? Schwänzen!

Pflichtkurse setzen die Sonderbehandlung von »Ausländern« fort.

Ich habe einen Deutschkurs besucht. Anfang der achtziger Jahre, in der Kleinstadt, in der sich meine aus der Türkei eingewanderten Eltern niedergelassen hatten. Als ich eingeschult wurde, war der 1973 beginnende Familiennachzug im vollen Gange. Die SPD-Landesregierung richtete Kurse mit dem schönen Namen »Deutsch für Ausländer« ein. Andernorts führte man gleich separate »Ausländerklassen« ein.

Da saß ich und sollte Sätze nachsprechen wie: »Ich heiße Ali.« Verstanden habe ich das Ganze nicht. Den Stoff schon, nicht jedoch, weshalb er mir vorgesetzt wurde. Schließlich war ich im regulären Deutschunterricht Klassenbester, was meine Lehrerin zu Wutanfällen gegen meine Mitschüler veranlasste: »Schämt Euch, der Türke weiß es besser als ihr!« Dennoch blieb dieser Kurs für mich nicht ohne Erkenntnisgewinn. Ich lernte, dass man doofen Unterricht schwänzen kann. Und ich erfuhr, dass es etwas gab, das mich von meinen Klassenkameraden unterschied. Sie waren Deutsche.

Für meine kanakischen Mitschüler aber, die mit Sprachdefiziten zu kämpfen hatten, war der Kurs mit großem Druck verbunden. Wem es nicht gelang, sich in kurzer Zeit für ausreichend befundene Deutschkenntnisse anzueignen, wurde in die Sonderschule abgeschoben. Irgendwann wusste auch das Kultusministerium, dass es Kanakenkids ohne Deutschprobleme gab. So wurden wir von der Pflicht zur Teilnahme am Deutschkurs entbunden - und mussten »Mathe für Ausländer« besuchen. Hier wird der Charakter dieser Maßnahme deutlich. Nur vordergründig ging es um Sprachförderung, tatsächlich aber um Stigmatisierung und Disziplinierung.

Beide Momente sind bis heute feste Bestandteile des Migrationsdiskurses. So fordert die CDU-Zuwanderungskommission »obligatorische Kurse als Hilfe für die erwünschte Integration«. Sie sollen über Sprachkenntnisse hinaus »die Grundzüge der deutschen Rechtsordnung, der deutschen Geschichte und der deutschen Kultur« vermitteln. Widerspenstigen Kanaken drohen Sanktionen, vom Entzug des Anspruchs auf Sozialleistungen bis zur »Versagung der Aufenthaltsverlängerung«. Auch SPD-Politiker plädieren für Pflichtveranstaltungen. Für den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft ist seit dem Inkrafttreten des rot-grünen Meisterwerks der Nachweis von Deutschkenntnissen ohnehin vorgeschrieben.

Als in den fünfziger Jahren der Import von »Gastarbeitern« begann, interessierte man sich allein für die Qualität der Ware Arbeitskraft. Die Bundesanstalt für Arbeit untersuchte in den Anwerbeländern die gesundheitliche Verfassung der Bewerber. Die Sprachfetzen, die sie für die Arbeit am Fließband oder am Bau benötigten, lernten sie dort. Die deutschen Ausdrücke, die Eingang in das hiesige Arabisch, Griechisch oder Türkisch gefunden haben, erzählen die Geschichte der Migration: Bahnhof, Meister, Krankmachen.

Sprache ist der Schlüssel zu Bildung und damit zu sozialem Aufstieg. Nach fünfzig Jahren ist es an der Zeit, dieses Versäumnis der deutschen Einwanderungspolitik gutzumachen. Unabhängig davon muss der Anspruch der Migranten auf egalitäre Mitgliedschaft in dieser Gesellschaft politisch anerkannt werden. Dass das Thema Sprachkurse mit der Forderung nach Vermittlung »deutscher Kultur« und mit dem Ruf nach Sanktionen verbunden wird, zeigt, dass die Sorge deutscher Politiker nicht den sozialen Möglichkeiten der Migranten gilt.

Vielmehr wird ihre Sonderbehandlung fortgesetzt. Sie materialisiert sich im Ausländergesetz und im permanenten Reden über »Ausländer«. Den Kanaken, auch den ausgebildeten und eingebürgerten, wird vorgeführt, dass sie ein Problem bleiben. Ein Problem, dass man durch »Integration« lösen will. In der Rede über »Integration« artikuliert sich der Drang, die Einwanderung ungeschehen zu machen. Wer hier lebt, soll sich so anpassen, dass man nicht merkt, dass er da ist. Das ist die optimale Form, den Arbeitskräftebedarf des Kapitals und den Wunsch der Deutschen, »Herr im eigenen Hause zu sein«, in Einklang zu bringen.

Die Migration ist nicht nur eine Geschichte von Ausgrenzung, Überwachung und Strafe, sondern auch eine des Widerstands. Führt Deutschkurse ein! Wer von uns meint, sie zu benötigen, wird sie aufsuchen. Macht ihr sie zur Pflicht, werden wir schwänzen.