Serbische Nationalisten gegen muslimische Flüchtlinge

Der Mob regiert

Bosnisch-serbische Nationalisten wehren sich weiter gegen die Rückkehr muslimischer Flüchtlinge.

Wahrscheinlich meinte der mächtigste Mann Bosniens wirklich ernst, was er am Freitag von sich gab. »Natürlich wissen Sie alle, dass es sich hier nicht um ein Protektorat handelt«, erklärte Wolfgang Petritsch einer Schar von Reportern in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo, nachdem schwere Krawalle in Banja Luka und Trebinje die jüngste politische Krise in der Nachkriegsrepublik ausgelöst hatten.

Doch nicht das 1995 auf dem US-Luftwaffenstützpunkt in Dayton/Ohio ausgehandelte internationale Protektoratsregime nahmen bosnisch-serbische Nationalisten vorige Woche ins Visier. Vielmehr wollten sie verhindern, dass einstige muslimische Bewohner der beiden Städte mit dem Wiederaufbau zweier während des Krieges zerstörter Moscheen begannen. So gesehen hatte der so genannte Hohe Repräsentant (OHR) Petritsch mit seiner Äußerung tatsächlich Recht, denn den lokalen Statthaltern des höchsten zivilen Repräsentanten des Landes entglitt bei den Zeremonien völlig die Kontrolle.

Den Anfang machten am vorletzten Samstag Hunderte aufgebrachter Männer im ostbosnischen Trebinje. Die Stadt in der mehrheitlich serbisch besiedelten Republika Srpska - neben der muslimisch-kroatischen Föderation bildet sie die zweite Entität des formal als Einheitsstaat konstituierten Bosnien-Herzegowina - war 1992 zu Beginn des Krieges von bosnisch-serbischen Einheiten besetzt und die muslimischen Einwohner vertrieben worden. Wie in vielen anderen Städten und Gemeinden auch, wurden die zehn Moscheen damals zerstört, darunter die 1762 errichtete Osma-Pasha-Moschee.

Mit der Grundsteinlegung sollte ein Signal für die Rückkehr der vertriebenen Bevölkerung gesetzt werden, große Teile der politischen Elite des Landes waren deshalb eigens nach Trebinje gekommen. Doch als die beiden Mitglieder des gesamtbosnischen Staatspräsidiums, Beriz Belkic und Karlo Filipovic, gemeinsam mit dem OHR-Vertreter in Trebinje, Daniel Ruiz, und anderen hochrangigen Politikern zum früheren Standort der Moschee marschierten, hatten sich dort schon mehrere Hundert bosnischer Serben postiert. Mit Steinen, Flaschen und Rufen wie: »Tötet die Türken!« sprengten sie die Zeremonie, ehe sie überhaupt beginnen konnte.

Den meisten Anwesenden gelang gerade noch die Flucht in die Räume der Islamischen Gemeinde der Stadt, nicht aber Petritschs Mitarbeiter Ruiz. Als der Spanier versuchte, die randalierende Menge von der Stürmung des Gemeindezentrums abzuhalten, traten und schlugen mehrere Männer auf ihn ein. Später sollte er seine Angreifer als »Faschisten« bezeichnen, die die Krawalle von langer Hand geplant hätten. »Es gibt eine zentrale Organisation. In Dobrinja, Trebinje und Banja Luka wurden immer wieder dieselben Leute gesehen.«

Ende April hatte ein von Petritsch eingesetzter internationaler Schiedsrichter verfügt, dass Dobrinja, ein Vorort von Sarajevo, künftig nicht mehr zur Republika Srpska gehören, sondern in den Verwaltungsbereich der muslimisch-kroatischen Föderation übergehen solle. Daraufhin protestierten wütende Bewohner des während des Krieges hart umkämpften Stadtteils zwei Tage lang gegen die internationale Protektoratsverwaltung. 1996 noch war die OHR-Administration damit gescheitert, den Grenzverlauf zu ändern, weil bosnisch-serbische Anwohner sich erfolgreich dagegen gewehrt hatten.

Dass Ruiz einen Zusammenhang zwischen den Protesten von Dobrinja, Trebinje und Banja Luka - bei der Grundsteinlegung für die 1993 zerstörte Ferhadija-Moschee wiederholte sich am vorletzten Montag das Szenario von Trebinje - feststellt, liegt auf der Hand. Immer wieder haben die Repräsentanten der so genannten internationalen Gemeinschaft die Führung der Republika Srpska für die mangelnden Fortschritte bei der Konsolidierung des Gesamtstaates verantwortlich gemacht.

Dabei wird verschwiegen, dass die geringe Bereitschaft, mit den internationalen Institutionen zu kooperieren, durchaus materielle Gründe hat. Von den rund fünf Milliarden US-Dollar, die seit 1995 in den Wiederaufbau des Landes gesteckt wurden, kamen nur zwei Prozent der Srpska zugute. Mit Entscheidungen zugunsten der Föderation, wie der über Dobrinja, verstärkt sich zudem der Eindruck, hinter der ungleichen Behandlung stecke ein System.

Darüber hinaus lenkt Ruiz' Kritik an den Behörden und Ministern der Srpska davon ab, dass die Verwaltung Petritschs selbst maßgeblichen Einfluss auf die Personalpolitik der beiden Entitäts- sowie der gesamtbosnischen Regierungen nehmen kann. So begünstigte eine Änderung des Wahlgesetzes im November vergangenen Jahres den Erfolg der gemäßigt nationalistischen Sozialdemokraten (SDP), in der Srpska gelangte mit Mladen Ivanic der Wunschkandidat des Westens auf den Posten des Ministerpräsidenten. Petritischs Vorwurf, dessen Regierung sei unfähig, die extremen Nationalisten zu kontrollieren, fällt deshalb auf ihn selbst zurück.

Denn die Krise des Protektorats beschränkt sich keineswegs auf den serbischen Teil. Einen Monat nach den letzten Ausschreitungen in der mehrheitlich kroatisch besiedelten Herzegowina (Jungle World, 18/01) hat das institutionelle Chaos, in dem das Nachkriegs-Bosnien seit seiner Gründung steckt, eine neue Qualität erreicht; ungeachtet der immer wieder erweiterten Befugnisse des Hohen Repräsentanten bekommen die internationalen Institutionen die sezessionistischen Kräfte nicht in den Griff.

Daran hat auch die Entlassung von Ante Jelavic, der bis März als kroatisches Mitglied im gemeinsamen Staatspräsidium saß, nichts geändert. Er wurde von Petritsch gefeuert, nachdem er die Herzegowina für autonom erklärt hatte. Der Zusammenschluss von bosnisch-kroatischen und -muslimischen Gebieten war während der Verhandlungen in Dayton erst von den USA erreicht worden, die so ein territorial zusammenhängendes Gegengewicht zur Republika Srpska herstellen wollten.

Angesichts der sezessionistischen Bestrebungen in beiden Entitäten rückt deshalb immer wieder die Frage nach der Zukunft des Gesamtstaates in den Mittelpunkt der ausländischen Policy-Maker. Deren Hoffnung, die Regierungswechsel in Kroatien und in Serbien könnten den moderaten Kräften in Bosnien Auftrieb geben, hat sich zerschlagen.

Doch während Petritsch an den Regelungen von Dayton festhält - »Ich werde meine Befugnisse extensiv nutzen«, sagte er nach den Krawallen von letzter Woche -, denkt man anderswo schon an eine Aufkündigung des fragilen Friedensvertrags. So plädierte der frühere britische Außenminister und Unterhändler der EU während des Bosnien-Krieges, David Owen, schon im März für die Revision der 1995 gezogenen Grenzen nach ethnischen Kriterien. Und das nicht nur in Bosnien: »Um eine Lösung für den ganzen Balkan zu erreichen, brauchen wir eine zeitgemäße Konferenz nach dem Vorbild des Berliner Kongresses von 1878, mit vorher abgestimmten Grenzänderungen, unterstützt von den Großmächten.«