Großbritannien vor der Wahl

Die rollende Polltax

Tony Blair scheint zwar eine zweite Amtszeit sicher zu sein, doch die Privatisierungspolitik der Labour-Regierung stößt auf Kritik.
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Selten ist eine britische Regierung unter besseren Vorzeichen zur Wahl angetreten. Der Premier Anthony Blair musste zwar den Termin am 3. Mai wegen der Maul- und Klauenseuche auf den 7. Juni verschieben. Doch seitdem sich die Aufregung darüber gelegt hat, scheint einer zweiten Amtszeit des Advokaten für »den Dritten Weg« nichts mehr im Wege zu stehen, zumal die wirtschaftliche Konjunktur nach wie vor gut ist.

Am vergangenen Dienstag eröffnete Blair den Wahlkampf statt wie üblich vor seinem Amssitz in Downing Street in einer Londoner Schule, um sein Engagement für das Bildungssystem zu unterstreichen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden die Briten am 7. Juni Blairs Labour-Partei erneut eine Mehrheit im Unterhaus verschaffen. Diese guten Aussichten hat die Regierung allerdings weniger der eigenen Politik zu verdanken, die gemeinhin »solide, aber nicht sensationell« genannt wird, als vielmehr dem ideologischen Loch, das die einst dominierende Konservative Partei nach dem Abschied Margaret Thatchers und ihrer Ziehkinder hinterlassen hat.

Der Tory-Vorsitzende William Hague war in der vergangenen Woche durch die von ihm selbst initiierte rassistische Debatte um die Einwanderungs- und Minderheitenpolitik in die Enge geraten. Mit unverblühmten Reden von den Briten als einer durch Einwanderung »bastardisierten Rasse« brachten einige Konservative ihn in arge Bedrängnis.

Vor allem jedoch fehlt den Tories ein überzeugendes Programm. Der radikale Wirtschaftsliberalismus, mit dem Margaret Thatcher in den achtziger Jahren die Deindustrialisierung des Landes vorantrieb, fällt nun auch auf die damaligen Profiteure aus der oberen Mittelklasse zurück. Die öffentlichen Institutionen, insbesondere das staatliche Gesundheits-, Bildungs- und Verkehrssystem, sind nach einer langen und brutalen Sparpolitik nur noch eingeschränkt funktionstüchtig.

Die Wahlversprechen der Tories konzentrieren sich auf massive Steuersenkungen. Gleichzeitig soll jedoch der Haushalt ausgeglichen bleiben, und die »vorrangigen« öffentlichen Dienste sollen saniert werden. Die Konservativen erklärten sogar, die Budgetpläne der Labour-Partei in den »Schlüsselbereichen« Bildung und Gesundheit zu überbieten.

Diese widersprüchlichen Vorhaben werden sie wohl nicht realisieren müssen, denn Labour führt in den Umfragen mit 20 Prozent Vorsprung. Eine Plakatkampagne im Vorwahlkampf mit dem Slogan »Du hast die Steuern gezahlt - Wo sind die Züge?« gab die Tories lediglich der Lächerlichkeit preis. Über Nacht wurden die Plakate überklebt: »Ihr habt sie privatisiert.«

Doch auch die Bilanz der ersten Amtszeit von Blairs Kabinett nimmt sich recht mager aus. Die versprochene Verbesserung der öffentlichen Infrastruktur ist ausgeblieben. Der inzwischen zu verzeichnende Überschuss im Staatshaushalt ist dem seit Jahren anhaltenden wirtschaftlichen Boom zu verdanken und der Tatsache, dass die Londoner City sich zum europäischen Finanzzentrum entwickelt hat. Dies hat unter anderem zu niedrigen Kreditzinsen geführt, die in Verbindung mit dem Vorhaben, die ebenfalls niedrige Einkommenssteuer nicht zu erhöhen, Labour die anhaltende Sympathie der Mittelklasse sichern werden.

Trotzdem wird der Schatzkanzler Gordon Brown nun sogar von Parteifreunden genötigt, den Haushaltsüberschuss von etwa 23 Milliarden Euro in diesem Jahr nicht nur für den Schuldendienst, sondern auch für Neuinvestitionen zu verwenden. Als Brown im Februar den neuen Haushalt vorstellte, kam er diesen Forderungen allerdings nur eingeschränkt nach: »Wir sind entschlossen, unseren disziplinierten Ansatz beizubehalten und nicht die alten britischen Fehler zu begehen, zu viel auszugeben, mit höheren Zinsen und weniger Jobs als Folge.«

Um höhere Ausgaben wird Labour jedoch nicht herumkommen. Öffentliche Mittel in Höhe von 97 Milliarden Euro sollen während der nächsten zehn Jahre in die dringend ausbau- und sanierungsbedürftige Infrastruktur der Bahn fließen. Die von der Vorgängerregierung unter John Major zu verantwortende Privatisierung der British Rail hat sich als Desaster erwiesen. Das staatliche Unternehmen wurde unter mehreren privaten Betreibern aufgeteilt und die Infrastruktur, in erster Linie die Gleis- und Signalanlagen, der eigens gegründeten Aktiengesellschaft Railtrack übertragen.

Doch das Zugunglück von Hatfield im vergangenen Oktober, bei dem vier Menschen ums Leben kamen und 33 weitere verletzt wurden, riss die hoch subventionierte Railtrack in eine tiefe Krise. Obwohl das Unternehmen bereits seit einem Jahr darüber informiert war, dass die betroffenen Gleise in Hatfield brüchig waren, verzögerten das Kommunkationschaos und der Streit zwischen der zuständigen Baufirma Balfour Beatty, Railtrack und den Zugbetreibern den Beginn der Sanierung. Da Instandsetzungsarbeiten viel Geld kosten, werden sie häufig verzögert. Nach dem Unglück von Hatfield wurden zwar alle Gleise untersucht und gegebenenfalls instand gesetzt. Allerdings führten die Arbeiten zu einem monatelangen Verkehrschaos, das allein für Railtrack einen Umsatzausfall von etwa 800 Millionen Euro bedeutete.

Für den Staat erwies sich die Privatisierung der britischen Bahn nicht nur als äußerst kostspielig. Auch die Fahrpreise sanken dank der Konkurrenz unter den privaten Anbietern nicht, wie ursprünglich erwartet worden war. Inzwischen bezeichnen viele Briten die Bahn ironisch als »Poll Tax auf Rädern«. Das Institute for Public Policy Research, ein Think-Tank, der Labour nahe steht, fordert mittlerweile, Railtrack wieder zu verstaatlichen.

Wie sehr Labour nach wie vor an die heilenden Kräfte des freien Marktes glaubt, zeigt der Konflikt um die Modernisierung der Londoner Untergrundbahn. Der aus der Labour-Partei ausgeschlossene Bürgermeister von London, Ken Livingstone, streitet sich seit seinem Amtsantritt vor einem Jahr mit der Regierung über die geplante Public Private Partnership (PPP). In deren Rahmen sollen die Schienen- und Signalanlagen sowie die U-Bahnhöfe für 30 Jahre an Privatfirmen verpachtet werden, der Zugbetrieb hingegen soll in öffentlicher Hand bleiben.

Livingstone argumentierte dagegen, dass die privaten Unternehmen hauptsächlich daran interessiert seien, die in bester Lage befindlichen U-Bahn-Stationen in Einkaufszentren zu verwandeln, während für sie die Sicherheit der Fahrgäste zweitrangig sei.

Kurz vorm Beginn des Wahlkampfes hat Blair sich mit Livingstones Verkehrsbeauftragten Bob Kiley, einem erklärten Gegner der Teilprivatisierung, geeinigt. Kiley leitet nun die Verhandlungen mit den Bietern um die Pachtverträge und erhält die »volle Management-Kontrolle« über alle U-Bahn-Bereiche.

Damit hat Blair zwar das kontrovers diskutierte Thema, das sich zum Fiasko für Labour entwickelt hatte, aus den Schlagzeilen bekommen. Kiley könnte Blairs Befriedungsplan jedoch einfach platzen lassen: »Wir werden in wenigen Wochen wissen, ob wir einen Fortschritt gemacht haben.« Sollten die Verhandlungen nicht zu den gewünschten Ergebnissen führen, kündigte er gerichtliche Schritte gegen die Regierung an. Aber erst nach den Wahlen.