Mehr Genfood als Tiernahrung

Kannibalismus im Trog

Wegen der BSE-Krise setzt die EU jetzt auf mehr Genfood als Tiernahrung.

In Europas Futtertrögen fehlt es am Eiweiß. Denn Gras und Körner reichen nicht, um einen ausgewogenen Futterplan nach agrarwissenschaftlichen Gesichtspunkten zusammenzustellen. Damit Fleischzuwachs und Milchleistung stimmen, brauchen Hühner, Schweine und Kühe zusätzliche Proteine. Deshalb grassierte in den modernen Ställen der Kannibalismus; einen Teil des wertvollen Nahrungszusatzes lieferten gemahlene Tierkadaver.

Dank der BSE-Krise herrscht jetzt jedoch wieder Vegetarismus beim Vieh. Nachdem bereits 1994 die Verfütterung von tierischem Eiweiß an Wiederkäuer verboten worden war, beschloss die EU im Januar 2001, diese Proteine vom Speiseplan aller Nutztiere zu streichen.

Das könnte auch bedeuten: Statt Knochenmehl wird nun Gentechnik in den Trog geschaufelt. EU-Kommissar Franz Fischler hatte es den Europa-Abgeordneten Anfang April in Straßburg vorgerechnet. Um den Eiweißbedarf zu decken, müsse die EU mehr Sojaschrot importieren. »Soja ist vom wirtschaftlichen Standpunkt aus derzeit ohne Konkurrenz.«

»Die zusätzlichen Bedarfsmengen an Eiweiß werden die derzeitigen Einfuhren lediglich um drei bis fünf Prozent erhöhen«, fügt der EU-Kommissar hinzu. In der Hauptsache dient Sojaextraktionsschrot als Eiweißzusatz für Futtermittel. Und davon stehe auf dem Weltmarkt genügend zur Verfügung. Fischler verspricht: »Durch die Ausweitung der Sojaproduktion in Südamerika und in den USA wird sehr viel mehr Sojaschrot auf den Markt kommen, als die EU zusätzlich überhaupt brauchen kann.«

Dennoch: »Die Eiweißersatzmittel sind seit dem Tiermehlverbot teurer geworden«, beklagt ein europäischer Futtermittelhersteller. »Der Preisanstieg gilt besonders für genfreies Soja.« Die nicht manipulierten Sojabohnen kommen derzeit vor allem aus Brasilien, das immerhin die Hälfte des europäischen Bedarfs deckt. Der Konkurrenzdruck auf die traditionelle Produktion wächst. Argentinien und vor allem die USA bieten genmodifiziertes Soja auf dem Weltmarkt an, das in der Regel rund 15 Prozent billiger ist. In den USA werden etwa auf der Hälfte der Sojafelder, in Argentinien sogar auf zwei Drittel genmodifizierte Bohnen ausgesät.

Schon bald könnten jedoch auch auf Brasiliens Äckern genetisch modifizierte Sojabohnen sprießen. Bislang ist ihr Anbau dort verboten. Der US-Konzern Monsanto hofft jedoch darauf, sein manipuliertes Saatgut bereits in der nächsten Anbauperiode vermarkten zu können. Unterstützung bekommt das Unternehmen vom brasilianischen Präsidenten Fernando Henrique Cardoso, der im Dezember ein Gesetz unterzeichnete, das den Verkauf von Gentech-Saatgut erlaubt. Derzeit befinden die Gerichte über die Klagen der Verbraucher- und Umweltverbände.

»Eine Ausdehnung der Soja-Anbauflächen verschärft bereits bekannte Probleme«, meint die Agrar-Koordination des Bundeskongresses entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (Buko). Länder wie Brasilien benötigen nach Angaben der Buko ihre Anbauflächen für die Ernährung der heimischen Bevölkerung. Entwaldung und ein erhöhter Einsatz von Pestiziden seien die Folge der Soja-Monokulturen.

»Wir haben in dieser Frage eine pragmatische Haltung«, kommentiert César Borges de Souza, der Präsident des brasilianischen Dachverbands Abiove, die Entwicklung auf dem Soja-Markt. »Wenn die Verbraucher in Europa dies wünschen, liefern wir gerne natürliche Soja.« Solange allerdings die europäischen Importeure nicht bereit seien, für Natursoja mehr zu bezahlen, möchten in Brasilien viele Großbauern Manipulierte Soja anbauen.

Rein theoretisch könnte die Eiweißlücke in Europa zumindest teilweise durch eigene Protein-Produktion geschlossen werden. Immerhin wurden in der EU Tausende Hektar Ackerland wegen Überproduktion stillgelegt. Praktisch verhindert jedoch ein Wirtschaftsabkommen, dass mehr Eiweißpflanzen wie Raps, Erbsen oder Bohnen auf den Feldern der Europäischen Union wachsen. Im so genannten Blair-House-Abkommen hat die EU den USA zugesagt, nur bestimmte Mengen an Proteinträgern oder Ölpflanzen anzubauen.

»Vom wirtschaftlichen Standpunkt her gibt es keine überzeugenden Gründe, dass wir neue Stützungsmaßnahmen für die Eiweißerzeugung einführen«, stellte Franz Fischler in Straßburg fest. Eine EU-Direktive, die er im April vorlegte, sieht lediglich vor, Biobauern den Anbau von Ersatzfutter auf brachliegenden Flächen zu empfehlen.

Denn die biologische Landwirtschaft soll jetzt in der EU gefördert werden, da immer mehr VerbraucherInnen Biofood verlangen. Doch ob die Verfütterung von Gentech-Soja oder -Mais für den Menschen bedenklich ist, bleibt weiterhin unklar. Fest steht: Der Einbau fremder Erbinformation in Nahrungsmittel hat zur Folge, dass neue Proteine gebildet werden. Diese könnten allergische Reaktionen hervorrufen. Zudem könnten die in die neuen Pflanzen eingebauten Antiobiotika-Resistenz-Gene auf Mensch und Tier übertragen werden.

Brüssel setzt indessen in der Tierernährung weiterhin auf Risiko. Und schon bald könnte Tiermehl wieder einen Teil der Soja vom Markt verdrängen. Die EU-LandwirtschaftsministerInnen sprachen sich Ende April in Luxemburg gegen ein unbefristetes Tiermehlverbot aus. Ab 2002 werden womöglich wieder Tierreste zumindest in den Trögen der Schweine- und Hühnerställe landen.

Bis dahin, so hofft die Ministerrunde, könnten sich die aufgebrachten KonsumentInnen wieder beruhigt haben. Erleichtert stellte man fest, dass längst nicht mehr so viele EuropäerInnen die Fleischaufnahme verweigern wie zu Beginn der BSE-Krise. Im April 2001 wurde in der EU nur noch 18 Prozent weniger Fleisch verzehrt als vor dem Herbst 2000.

In Großbritannien ist der Fleischkonsum sogar wieder auf normalem Niveau. In Frankreich werden hingegen immer noch 20 Prozent weniger Entrecôtes und Escaloppes gegessen. Am hartnäckigsten sind die Deutschen; seit dem Beginn der BSE-Krise gehen 40 Prozent weniger Schweinshaxen und Kalbsschnitzel über deutsche Metzgertheken. Allerdings werden in normalen Zeiten recht beeindruckende Mengen an Fleisch verspeist: 63,2 Kilogramm pro Kopf und Jahr.

Gesund ist das nicht. Doch die EU-MinisterInnen hoffen, dass auch die Deutschen ihre alten Essgewohnheiten bald wieder aufnehmen. Denn trotz allen Ekels vor Kadaverfutter muss der Fleischberg schrumpfen, damit die Agrarwirtschaft leben kann.