ORF-Reality-Show »Taxi Orange«

This is Television Taxi

In Österreich ist vor kurzem die zweite Staffel der Reality Soap »Taxi Orange« angelaufen. Weil das Format ein Renner ist, will Sat.1 es übernehmen.

Fahrgast, leicht angetrunken, aber dennoch bei klarem Verstand. Taxifahrer, völlig nüchtern, aber irgendwie außer sich: »Die Fernsehtaxler haben ja keine Ahnung von unserem Geschäft. Wenn ich so fahren würde wie die, könnte ich gleich aufgeben. Stellen Sie sich vor, Sie hätten mit einem von den orangen Taxis diese Tour gemacht. Da hätten Sie vier Stunden und eine Menge Geld gebraucht. Ein Skandal ist das.«

Wiener Taxifahrer haben derzeit wieder viel zu erzählen und noch mehr zu giften. Seit dem 20. April bringt der öffentlich-rechtliche ORF wieder seine Reality Soap »Taxi Orange«. Obwohl es die zweite Staffel ist und damit quotentechnisch eigentlich ein Todeskandidat sein müsste, funktioniert das Betäubungsprogramm besser als erwartet. Die Quoten sind teilweise sogar höher als bei der ersten Staffel.

Dass die Ermüdungserscheinungen, die bei »Big Brother« auftraten, hier ausgeblieben sind, liege am bodenständigen Konzept der österreichischen Variante: »Die Kandidaten haben zwar eine gemeinsame Aufgabe, aber dabei verlieren sie nicht den Kontakt zur Außenwelt. Sie haben ja echte Fahrgäste in ihren Taxis. Wir kreieren also keine Ausnahmesituation, in der ein weltfremdes Bild gezeichnet wird«, erklärt Mischa Zickler, Erfinder von Taxi Orange, den ungewöhnlichen Erfolg.

Denn im Unterschied zu den Insassen des Container-Gulags von RTL sind die ORF-Taxler beschäftigt. Sie müssen ihr kameraüberwachtes Haus verlassen, um als Taxichauffeure ihren Unterhalt zu verdienen. Zwei Wagen stehen ihnen zur Verfügung, mit denen sie das Geld für Miete, Einkäufe und Sprit einfahren müssen. Die absurden Wochenaufgaben, bei »Big Brother« stets ein Ärgernis, spielen eher eine Nebenrolle in der Dramaturgie. Auch auf im Fernsehen schwer zu vermittelnde »Back to Basic«-Gefühle der Endemol-Produktion verzichtet »Taxi Orange«. Warum soll es für den Zuschauer ein besonderer Thrill sein, wenn die Container-Insassen kalt duschen?

Kameras in den Duschen bleiben den Österreichern erspart, denn sie liefern, so die Erfahrungen aus dem Kölner Projekt, keine erotischen Bilder. Gerhard Weis, der Generalintendant des ORF, sieht »Taxi Orange« als fernsehkompatibles Startup-Unternehmen: »Kameras in den Duschen haben mit Unternehmensgründung nichts zu tun. Dass auch Unternehmer duschen, ist wohl klar.« Dass Unternehmer hin und wieder die Wohnung putzen, den Müll raustragen oder auf einer Hollywoodschaukel sitzen, ist auch nicht so ganz unrealistisch. Trotzdem wollen rund 40 Prozent der österreichischen Haushalte jeden Abend um 20.15 Uhr dabei sein, wenn die Taxi-Unternehmer die Wohnung putzen, den Abfall entsorgen und im Garten schaukeln.

Möglicherweise sind die Zuseher auch schon in Wien mit dem Taxi gefahren und kennen die einschlägigen und meist mühseligen Dialoge zwischen Taxifahrer und Fahrgast. Ganz im Stillen lächelt der Zuschauer dann, wenn er sieht, dass die Taxifahrer im Fernsehen genau die gleichen Blindgänger sind wie jene Taxler, deren Dienste man manchmal in angetrunkenem Zustand benötigt. Und er sitzt schenkelklopfend vor dem Fernseher, wenn Kandidat Alex, ein permanent amoklaufgefährdeter Ex-Knacki aus Linz, einen feinsinnigen Dialog mit zugestiegenen japanischen Touristen entspinnt: »This is television taxi.« Fahrgast: »Is that a problem for you?« Alex: »Na, for me net.«

Überhaupt ist Alex derzeit der prominenteste Bewohner. Österreichs Medien berichten genussvoll, dass er vor ein paar Jahren ein rechter Schläger war und wegen Drogenhandels und Körperverletzung gesessen hat. Alex und seine Wandlungen imponieren auch der FPÖ Jörg Haiders. »Alex ist ein gelungenes Beispiel für die Resozialisierung von Drogenabhängigen«, sagte eine Wiener Lokalpolitikerin der Freiheitlichen. Die Genialität des Castings zeigt sich an Kandidatin Nicy, einer Kärntner Übergewichtigen. Sie war drogensüchtig und damit beinahe eine Kundin von Kollege Alex. Jetzt ist sie aber weg von Drogen und bei der Bibel gelandet.

Trotzdem ist »Home of the Whopper«, wie Nicy bei Fans der Sendung heißt, letzte Woche rausgeflogen. Kandidaten wie Alex und Nicy sind das Ergebnis einer genauen Zielgruppenanalyse, die der ORF vor Beginn der zweiten Staffel durchgeführt hat: 100 Kids wurden als Vertreter der Hauptzielgruppe ins ORF-Zentrum eingeladen und durften rauskrakelen, wen sie gerne bei »Taxi Orange« sehen würden. Das Testpublikum wollte einen »Ex-Häftling«, und den hat es mit Alex auch gekriegt.

Auch ein »richtiges Genie« sollte es sein, mit Martin aus Oberösterreich wurde auch diesem Wunsch einigermaßen entsprochen. Der Filmemacher - nach eigenen Angaben meist selbstmordgefährdet und damit im suizidalen Österreich ziemlich akzeptiert - veranstaltet mit seinen Kollegen philosophische Geisterfahrten und trägt so recht gekonnt dazu bei, die redundanten Gespräche der Bewohner über sich selbst, ihre Feinde in der WG und das übliche Intrigantentum zurückzudrängen. Außergewöhnlich ist unter den zehn Bewohnern auch noch die Quoten-Dumpfbacke Didi, ein Typ, der immer zur Stelle ist, wenn eine Bewohnerin eine Massage braucht, und der ansonsten mit seinen spontanen Anwandlungen als Librettist eigener Songs enorm nervt: »Du kleiner, süßer Williwuff, komm he-er-er-ei-ei-n!«

Das Spektakel »Taxi Orange« hat gegenüber »Big Brother« auch den Vorteil, dass es relativ zügig über die Bühne geht. Nur insgesamt 69 Tage verbringen die Hobby-Taxler im Fernsehkasten, und auch die zweiwöchigen Kölner Nominierungsmarathons hat man sich in Österreich erspart: Jeden Freitag fliegt einer raus.

Ab Herbst wird es dasselbe dann auch in Berlin geben. Sat.1 hat die Rechte an »Taxi Orange« gekauft und will orangefarbene Taxis in der Hauptstadt herumkurven lassen. Nach der Pleite des Senders mit dem »Girlscamp« kann da eigentlich nichts mehr schief gehen.