Legalisierung des US-Dollar

Ein Job, zwei Löhne

Der Regierung brachte sie Devisen, vielen Kubanern westliche Konsumgüter. Doch nicht jeder profitiert von der Legalisierung des US-Dollar.

In der Eingangshalle der Galerias de Paseo in Havanna schlendern Kubaner mit prall gefüllten Einkaufstüten zum Ausgang. Einige bleiben noch einmal stehen, um einen letzten Blick auf den kanariengelben Sportwagen der Marke Nissan zu werfen, der dort ausgestellt ist. Nur wenige Kubaner können sich ein derartiges Luxusauto leisten, sicherlich ein Grund dafür, dass kein Preisschild an dem Flitzer hängt.

Den Einkauf in den modernen Kaufhäusern gönnen sich jedoch von Jahr zu Jahr mehr Kubaner. Knapp 60 Prozent, so die offizielle Regierungsstatistik, haben Zugang zum US-Dollar. Und die zirkulierende Dollarmenge möchte die Regierung abschöpfen, um Devisen zu bekommen. Dafür wird kräftig investiert und importiert. Das Gros der Produkte, die in den Galerias de Paseo angeboten werden, stammt aus dem Ausland und wird mit einem satten Preisaufschlag an die kubanischen Kunden weitergegeben. Konkurrenz zu den staatlichen Anbietern gibt es nicht.

Sergio Ramirez hat Verwandte in Miami, auf die er zählen kann, und er vermietet Zimmer für Dollars an Touristen. Doch er kritisiert die hohen Preisaufschläge: »Ich kann es weitaus eher verstehen, dass die Regierung Konsumartikel teuer verkauft, aber es sind schließlich auch Lebensmittel, die unverhältnismäßig teuer angeboten werden, so zum Beispiel Speiseöl.«

Ohne Speiseöl läuft in der kubanischen Küche, wo fast alles fritiert wird, kaum etwas. Und die Menge, die jedem Kubaner nach seiner Rationierungskarte, der Libreta, monatlich zusteht, reicht bei weitem nicht. Zudem kommt es immer noch vor, dass in den staatlichen Peso-Verkaufsstellen, den Tiendas, die Regale leer sind. 2,40 Dollar kostet die Flasche Öl in den Dollar-Tiendas, der Importpreises liegt bei etwa 40 Cent.

Mit den Grundsätzen der kubanischen Revolution ist das kaum zu vereinbaren. Rund eine Milliarde US-Dollar wurde 1999 auf diesem Wege abgeschöpft. Nahezu exakt die Summe, die Schätzungen US-amerikanischer Kuba-Spezialisten zufolge jedes Jahr von Exilkubanern an Verwandte in Kuba transferiert wird - ganz legal mittlerweile, die US-Regierung hat den Transfer bis zu einer Höhe von 1 200 Dollar im Jahr erlaubt.

Fidel Castro hat bereits am 26. Juli 1993 schweren Herzens die Währung der USA in Kuba legalisiert. Das Finanzministerium hatte errechnet, dass rund 500 Millionen Dollar zusätzlich benötigt würden, um die notwendigsten Importe bis zum Jahresende zu finanzieren. So besann sich die Regierung darauf, die in der Bevölkerung zirkulierenden Dollars abzuschöpfen. 574,8 Millionen waren es damals, wie im Jahresbericht der kubanischen Nationalbank von 1995 nachzulesen ist.

Bald nach seiner Legalisierung wurde der Dollars zur inoffiziellen Leitwährung. Das hatte Fidel Castro zwar genauso befürchtet, wie er die gesellschaftlichen Ungleichgewichte prognostiziert hatte, aber auch acht Jahre später ist die maßgebliche Währungseinheit in Kuba der Dollar. Das allerdings will Nationalbankpräsident Francisco Soberón ändern. Bei einem Umtauschkurs von zehn Peso würde sich das Finanzministerium auf eine Währungsreform einlassen, so Vizeminister Rubén Toledo Díaz.

Derzeit aber liegt der Kurs bei 22 Peso für einen Dollar, und nur mit einem kräftigen Wachstum des Angebots auf dem Peso-Markt würde die kubanische Währung an Wert gewinnen. »Zwar hat sich das Angebot in der nationalen Währung in den letzten Jahren spürbar erhöht, aber immer noch gibt es eine Reihe von Produkten, die man nur unregelmäßig oder in schlechter Qualität bekommt«, gibt der Soziologe Juan Valdés Paz unumwunden zu.

Wer keine Dollars hat, muss sich auf die Suche nach den knappen Waren begeben und mit minderer Qualität vorlieb nehmen, bestätigt Ricardo, ein 29jähriger Türsteher in einer Diskothek. Seit einem Jahr arbeitet er sechs Nächte pro Woche in der Disco und ist froh, dass er den Job ergattert hat. 200 Peso verdient er im Monat. Viel zu wenig, um seine Frau und die beiden Kinder zu ernähren, denn eine vierköpfige kubanische Familie braucht 800 bis 1 000 Peso im Monat für das Notwendigste. Doch Ricardo erhält neben seinem Lohn noch einhundert US-Dollar als Prämie, die seinen Job so attraktiv machen.

Jobs wie jener von Ricardo sind nach wie vor rar. Mittlerweile erhalten nach Angaben der kubanischen Gewerkschaften 1,2 Millionen Kubaner, rund 25 Prozent der Erwerbstätigen, einen Teil ihres Salärs in Dollars oder in Devisenprämien. Im Tabaksektor, wo solche Anreize bereits 1994 eingeführt wurden, um den Export der Habanas wieder anzukurbeln, werden sechs Prozent des Lohns in Devisen ausgezahlt. Auch in anderen Schlüsselindustrien herrscht dieses System seit Mitte der neunziger Jahre. Viele Arbeiter erhalten am Ende des Monats auch einen Warenkorb mit raren Produkten.

Die Erfolge der Anreizsysteme schlagen sich in der Wirtschaftsbilanz der Regierung nieder, sie führen aber auch zu einer Segmentierung der Erwerbsbevölkerung. Aus ideologischer Perspektive kein erwünschter Effekt, wie Vizefinanzminister Rubén Toledo betont, der derartige Maßnahmen als Notlösungen begreift. Sie haben auch dazu geführt, dass hochqualifizierte Kubaner lieber als Fremdenführer, Kofferträger, Kellner, Taxifahrer oder Zigarrendreher arbeiten, weil sie dank Trinkgeldern oder Prämien dort mehr verdienen.

Wer keinen der begehrten Jobs im Dollarsektor ergattert, macht es wie Ricardos Bruder Ariel. Er ist Maurer in einer staatlichen Brigade. Mit 180 Peso liegt sein Monatslohn noch unterhalb des offiziellen Durchschnitts von 229 Peso. Ariel zweigt auf den Baustellen hier und da Zement, Bauholz, Steine und Ziegel für den Schwarzmarkt ab. Nur mit ihren Nebeneinnahmen kommen die Bauarbeiter über die Runden.

»Uns bleibt gar nichts anderes übrig«, sagt er schulterzuckend. Alle Kollegen machen es so, und in vielen Betrieben ist das üblich. Besonders gefragt sind deshalb auch die Jobs in den staatlichen Devisengeschäften, wo Kleidung und Konsumartikel verkauft werden. »Seinen Anteil nehmen«, wird das scherzhaft genannt, denn in Kuba gehört schließlich alles dem Volk. Das mindert natürlich die Produktivität der nationalen Betriebe. Wer solche Möglichkeiten nicht hat, findet andere Wege. Fast jeder hat eine oder mehrere zusätzliche Einnahmequellen - die einen legal, die anderen illegal.

Daran wird sich nichts ändern, solange die Löhne nicht in einer erträglichen Relation zu den Preisen stehen, die auf dem nichtstaatlichen Peso-Markt verlangt werden, noch zu denen, die in den staatlichen Dollar-Tiendas der Regierung gelten. Kuba wird vorerst ein Land mit zwei Währungen und zwei Klassen bleiben.