Koalitionskrise in Schwerin

Holters Poldermodell

Der Koalitionskrach von Schwerin stärkt die so genannten Reformer in der PDS. Dem neuen, ideologisch gesäuberten Programm muss die Basis aber noch zustimmen.

Worum es in dem Konflikt eigentlich ging, zeigte sich am Sonntagabend. Drei Tage nach dem Ende des Koalitionskrachs zwischen SPD und PDS in Mecklenburg-Vorpommern war Helmut Holter wieder ganz der Alte. Denn seit dem Wochenende regiert im Landkreis Ostvorpommern mit Barbara Syrbe die erste PDS-Landrätin Deutschlands. Ein »Super-Ergebnis«, jubelte der PDS-Landesvorsitzende und stellvertretende Ministerpräsident, der Wahlausgang bestärke ihn darin, dass es richtig gewesen sei, die Koalitionskrise in Schwerin so schnell zu beenden.

Für Helmut Holter hätte es den sechs Tage währenden Streit in der rosa-roten Regierung ohnehin nicht geben müssen. Während die PDS-Vorsitzende Gabi Zimmer und der Bundestagsfraktionschef Roland Claus ihre Ablehnung der Rentenreform immerhin inhaltlich begründeten und deshalb auf eine Enthaltung des Landes bei der Abstimmung im Bundesrat vor zwei Wochen pochten, hatte der 47jährige Arbeitsminister nie etwas gegen die private Altersvorsorge einzuwenden. Im Gegenteil: Als Bundeskanzler Gerhard Schröder die PDS-Spitze vor zwei Wochen ins Gästehaus der Bundesregierung nach Berlin-Dahlem geladen hatte, stand Holter klar auf der Seite seines Ministerpräsidenten Harald Ringstorff (SPD). Dieser hatte ihn schon vor längerem als »lupenreinen Sozialdemokraten« bezeichnet und ihm attestiert, er »würde ganz gut in die SPD passen«.

Holter, Gregor Gysi, Schröder sowie Ringstorff sollen Fraktionschef Claus und Zimmer im Laufe einer langen Nacht geradezu bekniet haben, der Reform doch zuzustimmen. Als Gegenleistung für das »Ja« zur Einführung der kapitalgedeckten Altersvorsorge bot der Kanzler Zugeständnisse bei den Ostrenten an und eine mögliche Kooperation von PDS und SPD in der Berliner Landesregierung.

Doch die Vorsitzenden von Partei und Bundestagsfraktion blieben hart, Ringstorff hätte sich dem Koalitionsvertrag zufolge bei der Abstimmung in der Länderkammer enthalten müssen. Dass er es nicht tat, sondern für Riesters Reform stimmte, sorgte vorige Woche für das, was der Spiegel am Montag als »das erste ernsthafte Kräftemessen zwischen den Sozialdemokraten und den Postkommunisten« beschrieb. Das Normalste der Welt also: Wie jede andere Partei im realexistierenden Parlamentarismus auch, strebt die PDS vor allem im Osten danach, ihren Einfluss stärker geltend zu machen.

Während das für die Ost-Sozialdemokraten in Sachsen oder Thüringen bedeutet, ihr Image als »wahre Opposition« zu schärfen, um sich so für die nach den nächsten Landtagswahlen mögliche Teilhabe an der Macht zu profilieren, heißt es in der rosa-roten Regierung in Schwerin eben, dem größeren Koalitionspartner auch mal zu widersprechen. Dafür, dass der Widerspruch nicht zu groß wird, sorgt schon Holter. »Die Koalition ist in der Krise, ich denke aber, dass es eine überwindbare Krise ist«, erklärte er bereits am Tag nach Ringstorffs »Ja« im Bundesrat.

Das rosa-rote Bündnis ist für ihn nichts weiter als ein Mittel zum Zweck, schließlich soll die PDS eines Tages auch im Bund mitregieren, und zwar am besten nach Schweriner Vorbild. »Messlatte kann nur die Koalitionsvereinbarung sein, der wir zugestimmt haben, und nicht das Wahlprogramm oder gar das Parteiprogramm«, skizzierte er schon nach einem Jahr SPD/ PDS-Regierung in Schwerin im Herbst 1999 die Arbeitsgrundlage für weitere sozialdemokratische Bündnisse. Die Koalition an der Küste gilt auch dem Nachfolger Gysis an der Spitze der Bundestagsfraktion, Roland Claus, als wichtigstes Pfund für eine mögliche Regierungsbeteiligung in Berlin. »Man kann nicht mit der SPD in Schwerin regieren und eine SPD-Regierung in Magdeburg mit Koalitionsabsicht unterstützen und andererseits sagen, mit der SPD im Bund wollen wir nichts am Hut haben.«

Dafür, dass dieser Eindruck nicht entstehen konnte, hatten Claus, Holter, Zimmer und der Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch in den vergangenen Wochen nachhaltig gesorgt. Nachdem sie sich vor vier Wochen für die Zwangsvereinigung von KPD und SPD im Jahr 1946 entschuldigt hatten, folgte Ende April der Entwurf eines neuen Parteiprogramms, dessen Systemkonformismus das Godesberger Programm der SPD wie einen Aufruf zum Umsturz erscheinen lässt.

Trauten sich die westlichen Sozialdemokraten 1959 wenigstens noch, die in Artikel 15 des Grundgesetzes offen gehaltene Möglichkeit der Vergesellschaftung von Grund, Boden und Produktionsmitteln offensiv zu verteidigen, so reduziert sich dieser Ansatz bei der gemeinwohl-geschädigten SED-Nachfolgepartei auf »die Stärkung von genossenschaftlichem Eigentum« und »den Übergang bisher staatlichen Eigentums in die Verfügung vieler Träger«. Holters Forderung von 1999, die Partei solle »Abschied von dem Selbstverständnis einer Umverteilungspartei nehmen und wirtschafts- wie finanzpolitische Kompetenz zeigen«, erscheint heute wie eine Blaupause für den Entwurf.

Denn kapitalismuskonforme Begründungen für die Abkehr vom Staatseigentum liefern dessen Autoren - der heutige Europa-Abgeordnete André Brie, sein Bruder Michael und der Leiter der PDS-Grundsatzkommission, Dieter Klein, waren schon Ende der achtziger Jahre als Vertreter eines »modernen Sozialismus« für eine reformierte SED eingetreten - gleich seitenweise: »Dies verstehen wir als progressive Schritte der Entbürokratisierung und tatsächlichen Vergesellschaftung.« Nimmt man dann noch hin, dass »Unternehmertum und betriebswirtschaftliches Gewinninteresse (...) wichtige Bedingungen von Innovation und Effizienz« sind, wundert man sich auch nicht mehr, dass der erste Satz der Präambel mit dem des Grundgesetzes übereinstimmt. Allerdings wird er mit einem Ausrufezeichen geschmückt: »Die Würde des Menschen ist unantastbar!«

Der Entwurf scheint wie geschaffen, auch die letzten Zweifler in der SPD davon zu überzeugen, dass mit der 20-Prozent-Partei östlich der Elbe sehr wohl ein Staat zu machen ist. Sieben Jahre, nachdem der damalige SPD-Vorsitzende Rudolf Scharping in der Dresdner Erklärung von 1994 jegliche Zusammenarbeit mit der PDS ausschloss, entspricht das Verhältnis nun dem im parlamentarischen Rahmen üblichen und in Mecklenburg-Vorpommern gerade exemplarisch vorexerzierten Wechsel zwischen Kooperation und Konkurrenz.

Käme der Entwurf, über den ein Parteitag nach derzeitiger Planung im Frühjahr 2002 entscheiden soll, tatsächlich durch, könnte die PDS allerdings ein paar hochrangige Partner im SPD-Bundesvorstand dazugewinnen. Denn so wie die Widerstände der SPD-Rechten gegen eine Regierungsbeteiligung der Grünen sich erst auflösten, als die einstigen Ökopaxe ihr formales Bekenntnis zur Bündnistreue in der Nato und zu Uno-Kampfeinsätzen ablieferten, so wird es ohne sicherheitspolitische Zugeständnisse der PDS nach 2002 im Bund kein rosa-rotes Experiment geben.

Aber auch hier haben Klein und die Brie-Brüder vorgesorgt. Der Satz, die PDS lehne »die von den USA und ihren Verbündeten praktizierte Missachtung des internationalen Gewaltmonopols des Sicherheitsrats der Uno strikt ab« formuliert ex negativo, was zwei Drittel der Delegierten auf dem Parteitag im Münster 1999 ablehnten: künftig von Fall zu Fall zu entscheiden, ob vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mandatierten Kampfeinsätzen zuzustimmen sei.

Wie die Mehrheit des Präsidiums stimmte Holter im April 1999 für den umstrittenen Vorstandsantrag, auch wenn programmatische Entscheidungen seine Sache eigentlich nicht sind. Schon deshalb scheint ihm das neue Programm auf den Leib geschneidert worden zu sein, heißt es dort doch, dass »sozialistische Politik immer Realpolitik« sein müsse.

Das müssen auch seine Parteifreunde aus dem mecklenburgischen Landkreis Güstrow beherzigt haben, die vor der Stichwahl des Landrats am Sonntag der PDS-Basis zur Wahl des CDU-Kandidaten Uwe Rethmeyer rieten. Anders als im rund 100 Kilometer östlich gelegenen Greifswald aber, wo sich Barbara Syrbe durchsetzte, folgten die Wähler nicht der Empfehlung der pragmatischen Genossen. Mit Lutz da Cunha gewann das sozialdemokratische Original.