»Tigerland«

Ich war da, Mann!

Bisher handelte der Vietnamfilm vom Trauma der USA und ihrer Kämpfer. In »Tigerland« wird der heldische Mann als Kumpel wiedergeboren.

Birthplace of the Infantry Soldier«, Geburtsort des Infanteristen, steht auf dem Schild am Eingang eines US-Army-Ausbildungslagers von 1971. Hier beginnt eine Geschichte von Heldentum und Kameradschaft mit dem Titel »Tigerland«, an deren Ende tatsächlich ein Soldat geboren ist. Ein aufrechter, im Kern menschenfreundlicher »born leader«, der seinen Untergebenen Freund, Helfer und Führer zugleich ist. Er wird sie nach Vietnam bringen. Vietnam und Heldentum? Wie geht das zusammen, und welche (Kino-)Geschichte steckt in dieser Geschichte? Birthplace of the Vietnam-Hero?

Die erste Hollywood-Großproduktion, die sich des Vietnamkrieges in Form eines soldatischen Heldenstücks annahm, sollte zugleich für lange Zeit die letzte ihres Schlages gewesen sein. John Waynes »Die Grünen Teufel« (1968) trat gehörig und mit mythischem Nachdruck in Vietnamesen- und Kriegsgegner-Ärsche, indem sich Wayne als Oberst Kirby - »Hier draußen entscheidet eine Kugel über alles!« - den Vietnamkrieg zum Wildwest-Abenteuer klitterte. Und wer dem Titelsong aufmerksam lauschte, »Hurrah, hurrah, they mean just what they say, the brave men of the Green Berets«, zweifelte kaum daran, dass die letzte Kugel einen »Charlie« erwischen würde.

Aber es kam anders. Die Tet-Offensive, das Massaker von My Lai, bei dem US-Soldaten mehr als hundert unbewaffnete Zivilisten abschlachteten, die ansteigenden Verluste auf amerikanischer Seite, die eskalierenden Proteste in den USA, die Morde an der Kent State University 1970, die heimkehrenden, traumatisierten Kriegsversehrten und schließlich der symbolträchtige Fall von Saigon 1975 machten eine filmische Heroisierung des Vietnamkrieges in den USA - fürs erste - unmöglich. Anstelle von Stolz und Selbstvertrauen bot sich im weiteren Sinne das »Post-Traumatic Stress Syndrome« als Zustandsbeschreibung des Landes an, im Kino als »Degeneration« eines männlichen Körpers interpretiert. Der unbeirrte, siegreich kämpfende, schwere USA-Korpus, als der John Wayne sich wie eine Art fleischgewordene B-52 durch den Dschungel schob, hatte sich in einen verzweifelten und im Krieg zerstörten Körper verwandelt, der sich in Gestalt von Robert De Niro, Martin Sheen oder John Savage durch »Taxi Driver« (1975), »Apocalypse Now« (1979) und »Die durch die Hölle gehen« (1978) quälte.

Die nächste große Welle von Vietnamkriegsfilmen war ebenso divergent wie die erste, und doch spielte hier die Verarbeitung des Traumas in Form einer Rückeroberung eine große Rolle. Vor allem Chuck Norris (»Missing in Action« I-III, 1984-88) und Sylvester Stallone (»Rambo II«, 1985) erkämpften im Zeitalter der Reagonomics eine neue Position der Stärke. Die Rückkehr nach Vietnam wurde zu einem nachträglichen Sieg des erfahrenen Veteranen, der nun auch mit den Waffen des Vietcong anzeigen durfte, dass und wie der Krieg doch hätte gewonnen werden können. So genannte Antikriegsfilme wie Oliver Stones »Platoon« (1986) und »Geboren am 4. Juli (1989) unterstützten diese restaurative Identitätsstiftung, indem sie dem Vietnamkrieg posthum genau das einschrieben, was in den verstörenden Filmen der späten Siebziger hatte absent oder zumindest vieldeutig bleiben müssen: Sinn.

Der traumatisierte US-Körper kam über einen sinnvollen Abschluss des »Kapitels Vietnam« zu sich selbst und fand zu alter Stärke zurück. »Wir haben nicht gegen den Feind gekämpft, wir haben gegen uns selbst gekämpft, und der Feind war in uns«, resümiert Charlie Sheen am Ende von »Platoon«. »Diejenigen von uns, die davongekommen sind, haben die Verpflichtung etwas Neues zu schaffen.« Tom Cruise schließt in »Geboren am 4. Juli« mit den Worten: »Es war ein langer Weg für uns Veteranen. Und jetzt, seit kurzer Zeit, fühle ich mich wieder so, als wäre ich zu Hause.«

Wieder zu Hause, zurück am Ausgangspunkt, am Geburtsort. Über den »Birthplace of the Infantry Soldier« hatte Stanley Kubrick bereits 1987 einen Film gedreht, der mitten im Rückeroberungsprozess einen Schritt zurückging und dabei die Ikonografie des Vietnamkrieges durchbrach. Zurück, das bedeutete in »Full Metal Jacket« einen Blick auf die Ausbildung der jungen Rekruten im Jahre 1967 in South Carolina. Als Individuen gebrochen, sollen die jungen Marines unter der Knute des Ausbilders Hartman (R. Lee Ermey) zunächst zu »Ladies« werden, um dann auf dem Weg zur Männlichkeit ihr Gewehr wie eine Geliebte anzubeten, bis sie schließlich als »hervorragende Kerle«, als Kampfmaschinen, aus dem Geburtskanal des Drills ins Leben treten, um zu beweisen, »was ein einziger Marinesoldat und sein Gewehr vollbringen können«.

Feminisierung ist und bleibt dabei die höchste Strafe - ein Spiegelbild der US-Phantasie von Vietnam als einem weiblichen Körper, die sich u.a. in zahllosen Filmen von »The Green Berets« über Brian De Palmas »Die Verdammten des Krieges« (1989) bis zu Stones »Zwischen Himmel und Hölle« (1993) fortgepflanzt hat. Der erste Blick auf Vietnam in Kubricks Film ist dann auch der auf den Körper einer vietnamesischen Prostituierten, und bis zum Ende wird »Full Metal Jacket« diese dominante Perspektive reflektieren und auf ihre Implikationen befragen.

Vierzehn Jahre sind seitdem vergangen. Dank Produktionen wie »Forrest Gump« (1994) scheint sich der Sargdeckel langsam aber sicher über dem Vietnam-Trauma geschlossen zu haben, die Clinton-Administration hat neue diplomatische Beziehungen zu Vietnam geknüpft, und mit dem durchgedrehten George W. Bush weiß wieder jemand, dass »unsere Armee ausgebildet ist, Kriege zu führen und zu gewinnen«. Genau damit könnte man Joel Schumachers Handkamera-Soldatenschwank »Tigerland« beschreiben. Die nationale Kriegsverletzung ist verheilt, sodass der Krieg weder nachträglich gerechtfertigt noch überhaupt bebildert werden muss, dafür aber seine Teilnehmer, unsere Jungs, in ihrer Reinheit vor der Zeit in Vietnam glänzen können: Helden im Angesicht des Krieges wie Private Roland Bozz (Colin Farrell), der im Ausbildungslager »Tigerland« vom eigensinnigen Querulanten mit Herz zur Lichtgestalt seiner Einheit erwächst bzw. erzogen wird.

Dieser neue alte All-American Boy hält nichts von Folter (»Warum sollte ich einem anderen Menschen so etwas antun?«), begehrt erfolgreich gegen den einzigen echten Durchdreher und Rassisten Wilson (Shea Whigham) auf und beweist, dass das Militär noch aus dem unbändigsten Individualisten (»Der ist gefährlich für die ganze Armee!«) das Wertvolle herausschält. »Sie sind ein geborener Anführer«, redet ihm sein Captain erfolgreich ins Gewissen, »und Sie haben Angst davor, Verantwortung zu übernehmen.«

Aber wo ist Vietnam 1971 bzw. 2001? »The Land of Nam« bleibt hier das notorisch mysteriöse »Andere« und ist auf eine neue Art präsent und abwesend zugleich. Es existiert als unspektakuläres Symbol, als vorgezogenes Zitat des immer schon verlorenen Krieges und als ein sowohl gefürchteter als auch verheißungsvoller Ort der kathartischen Wahrheit, der wie jedes andere Schlachtfeld die männliche Identität prüft und beweist. Bereits das Ausbildungscamp ist ein solcher Platz: »Tigerland ist der Ort, an dem ihr aufhört, euch selbst zu bescheißen!«

Auch der quasi-dokumentarische Gestus der unruhigen Handkamera in »Tigerland« hat mit Vietnam, genauer gesagt mit dem transparenten Zeichen »Vietnamkrieg« zu tun. Einerseits ein verspätetes Aufspringen auf den europäischen Dogma-Zug, funktioniert die unruhige Kameraführung andererseits ebenso als Erinnerung an die Qualität der Fernsehbilder vom Vietnamkrieg. Die »bang bang«-Ästhetik der Nachrichtensendungen trug dank durch den Dschungel wackelnder Kameras die Merkmale einer teilnehmenden Beobachtung; der »Wohnzimmer-Krieg« ersetzte die Ordnung früherer combat reports durch eine neue.

Auch darum braucht der »Ich war da, Mann!«-Gestus von »Tigerland« überhaupt kein Bild von Vietnam, um »Vietnamkrieg« und »Heldentum« dennoch miteinander zu versöhnen. Schuss-Gegenschuss: Vielleicht könnte man mit »Tigerland«, der kompletten Umkehrung von »Full Metal Jacket«, davon zu sprechen beginnen, wie Krieg zwischen Präsenz und Abwesenheit im Kino sichtbar wird.

»Tigerland«, USA 2000. R: Joel Schumacher, D: Colin Farrell, Shea Whigham. Start: 24. Mai