Der Feind steht rechts IV

Ergriffen vom Staat

Der Feind steht rechts IV. Auch nach seinem Sturz bleibt Wolfgang Schäuble der wichtigste Ideologe der Union.

Wolfgang Schäuble ist ein Mann, der Demut und Zurückhaltung kennt: »Mein Leitspruch war schon immer der aus dem alten Don Camillo-Film, wo der Gekreuzigte zum Don Camillo sagt: Nimm dich nicht so wichtig. Ich sage das nicht nur aus protestantischer Bescheidenheit, sondern weil ich überzeugt bin, es hält den Blick offener und freier. Bewerten - das müssen andere.« An anderer Stelle präzisiert Schäuble seine Haltung, er sagt, er habe »die Bereitschaft, Führung zu ertragen«.

Doch ist Schäuble nicht wie viele seiner Parteikolleginnen und -kollegen zum Bückling geboren, er lebt ganz idealistisch und diszipliniert nach einer Moral. Daher ordnet er sich in gleicher Weise unter, wie er es von anderen verlangt. »Der entscheidende Punkt ist: Wenn man nicht die Nummer eins ist, muss man auch einsehen, dass man nicht die Nummer eins ist. Dann muss man sich zurückhalten. Und darum bemühe ich mich. Aber ich bemühe mich auch, meinen Beitrag zu leisten - im Präsidium der Partei und in der Fraktion.«

Der 1942 in Freiburg geborene Schäuble hat bis zum 10. April 2000 eine glänzende Parteikarriere absolviert. Bereits mit 30 Jahren Mitglied des Bundestages, wird er früh gefördert und 1981 zum parlamentarischen Geschäftsführer der Unionsfraktion ernannt, 1984 beruft Kohl ihn zum Leiter des Bundeskanzleramts. Schäuble beteiligt sich an keiner der vielen unionsinternen Aktionen gegen Kohl und bekommt Anfang 1989 seinen Lohn: Er wird Bundesinnenminister.

In dieser Funktion plant er die Wiedervereinigung, deren Finessen als sein größter politischer Coup gelten. Obschon 1990 ein Attentat auf ihn verübt wird, gibt er seine politische Arbeit nicht auf. Im Gegenteil, er wird Fraktionsvorsitzender und ist in den Neunzigern prägend für alle innenpolitischen Entscheidungen der CDU.

Doch obwohl Schäuble seinem Meister so gut diente, wird ihm schlecht gedankt: Kohl verzichtet für ihn 1998 nicht nur nicht auf die Kanzlerkandidatur, er stürzt seinen Nachfolger im Parteivorsitz auch, als dessen Mitverantwortung in der Parteispendenaffäre bekannt wird und er sich weigert, die politische Verantwortung zu übernehmen. Schäuble tritt im April 2000 zurück.

Doch anders als der ambitionierte Heiner Geißler taugt Schäuble nicht zum Opfer. Er betreibt weiter Politik, mahnt nicht selten die neue CDU-Doppelspitze, ist gefragter Gesprächspartner und Kolumnist und gilt in seiner Partei als heimlicher Vorsitzender. Denn das CDU-Präsidiumsmitglied Schäuble ist einer der wenigen Intellektuellen seiner Partei und wird nicht grundlos von der autoritätsgläubigen CDU nach dem Verlust des Übervaters Kohl als Ratgeber aufgesucht.

Schäuble ist schlagfertig, wälzt beispielsweise in einem Satz (»Wir haben einen Bundesinnenminister, der sagt, das Boot ist voll«) den staatlichen Rassismus auf Otto Schily ab, und präsentiert so den willigen Nachahmer als eigentlichen Urheber. Auch ist er wie kaum eine andere Figur innerhalb der CDU-Spitze fähig, eine politische Vorgehensweise zu definieren und die strategische Ausführung einer Kampagne zu planen.

Und Schäuble verfügt über einen festen politischen Willen. Der Publizist Warnfried Dettling unterstellt ihm, er wolle »so etwas wie eine neue konservative Revolution in Deutschland«. Tatsächlich predigt Schäuble über Jahre hinweg unermüdlich den gleichen Wertekatalog. Er beschwört die »klassischen christlichen Tugenden wie Nächstenliebe, Opferbereitschaft, Treue, Pietät, Wahrhaftigkeit« und beschwert sich: »Fleiß, Ordnungsliebe, Pünktlichkeit sind gar als 'Sekundärtugenden' diffamiert worden. Dass unter solchen Bedingungen auch Autorität schwindet, liegt auf der Hand.«

Doch wie er in seinem leider kaum beachteten Buch »Und der Zukunft zugewandt« ungewöhnlich unverhohlen schreibt, hat das Rekurrieren auf all diese »Tugenden« vor allem einen Zweck: ein Staatsvolk zu formieren. Zu diesem Zweck scheut sich Schäuble auch nicht im geringsten, Forderungen nach Inlandseinsätzen der Bundeswehr zu stellen, den »Nationalismus« zu instrumentalisieren oder mit einer Unterschriftensammlung gegen die doppelte Staatsbürgerschaft vorzugehen.

»Von mir stammt die Idee zur Kampagne (...) Ich bin mir aber wirklich sicher, dass wir ohne diese Unterschriftenaktion heute mehr Ressentiments gegen Ausländer hätten, nicht weniger. Ich bin mir noch sicherer, dass die Wahlergebnisse für rechtsextreme Parteien 1999 viel besser gewesen wären, wenn wir die Kampagne nicht gemacht hätten. Diese Kampagne war also Integration konkret, auch wenn ich akzeptiere, dass man gegen diese Aktion sein konnte, und zugebe: Es war ein Risiko dabei, weil es natürlich auch Leute gab, die gefragt haben, wo man gegen Ausländer unterschreiben kann.«

Schäuble ist aber anders als viele seiner Parteikollegen kein genuiner Rassist, er will, darin offensichtlich Schüler von Carl Schmitt, einen starken, autoritären Staat. Schmitt prägte die Idee eines wehrhaften Staates, und Schäuble versucht stets, diesen durchzusetzen. In der Debatte um Sebnitz fordert er »Autorität und Konsequenz«. Was nicht mehr Einsätze der Polizei gegen Nazis bedeutet, sondern eine Einschränkung des Versammlungsrechts.

Im März dieses Jahres behauptete er, dass die Republikaner nicht mehr im baden-württembergischen Landtag vertreten seien, weil »wir in Baden-Württemberg die wesentlichen Probleme gelöst haben, die die Menschen bei früheren Wahlen fälschlicherweise veranlasst haben, die Republikaner zu wählen«.

Der konservative Verfassungsdenker Schäuble ist mit seinem Staatsfetischismus ein Fall für die Psychoanalyse. Auch sein ochsengleicher Unterwerfungszwang und sein nahe-zu sadomasochistischer Hierarchieglaube sind mit der Liebe zum Staat eher erklärbar als mit klassischem Kriechertum. Er liebte Kohl auch nur deshalb, weil dieser den deutschen Staat mit seinem ungeheuren Körper geradezu sinnbildhaft verkörperte. Mit Kohls tiefem Sturz konnte sich Schäuble leicht von ihm lösen.

Zurück allerdings blieb die Schande für den Staat. Vor allem sie hat Schäuble so angegriffen aussehen lassen. Aber gerade weil er nicht ein nur von obskuren Obsessionen besessener, dahergelaufener Dumpf-Rassist oder Nationalist ist, sondern weil er »Nationalgefühle« und Ängste, die der Bevölkerung zugeschrieben werden, schürt und instrumentalisiert, um sich seinen autoritären Staat herbeizuschaffen, ist er ein großes Problem. Denn Schäuble wird ernst genommen.