Bundeskanzler Schröder in Wien

Gestreichelt wird nicht

Gerhard Schröder hat während seines Österreich-Besuchs die meiste Zeit bei der Opposition verbracht. Nun fühlt sich Blau-Schwarz gegenüber der kommenden italienischen Rechtsregierung benachteiligt.

Für gewöhnlich gilt Alfred Gusenbauer, der Vorsitzende der österreichischen Sozialdemokraten, als politisches Narkotikum der Alpenrepublik - allerdings ohne Suchtpotenzial. Obwohl er die größte politische Partei Österreichs seit mehr als einem Jahr führt, schafft er es kaum, die nach 30 Jahren Regierungsbeteilung nun erstmals in der Opposition gelandete SPÖ als politische Alternative zur blau-schwarzen Wenderegierung darzustellen, sondern kommt bloß zufällig in Österreichs Medien vor.

Obwohl jung an Jahren, hat Gusenbauer durchaus fossile Züge in seinem Wesen, die zu vertuschen ihm ernsthafte Schwierigkeiten bereitet. Doch am vergangenen Freitag konnte er endlich seine 22 Stunden Ruhm genießen. Gerhard Schröder besuchte Österreich, und Gusenbauer war der erste, der dem deutschen Bundeskanzler am Flughafen Wien-Schwechat die Hand schütteln durfte.

Vertreter der österreichischen Bundesregierung hingegen fehlten am roten Teppich. Nur ein Protokollbeamter des Bundeskanzleramtes wurde abkommandiert. Mit dem kleinen Bahnhof am Flughafen begann eine mittelschwere diplomatische Krise, weil Schröder der Wiener Regierung genau das verweigerte, wonach sie sich seit ihrem Amtsantritt vor mehr als einem Jahr und besonders seit der Aufhebung der Sanktionen geradezu hysterisch sehnt: Anerkennung und diplomatische Streicheleinheiten.

Für die Regierung in Wien war das Besuchsprogramm eine nicht enden wollende Demütigung. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel schenkte er gerade mal eine Stunde Aufmerksamkeit, die FPÖ-Minister wollte Schröder überhaupt nicht treffen.

Mit Gusenbauer jedoch redete er mehr als eine Stunde lang, ließ sich dann zu einem Fest der oppositionellen Aktion Kritischer Wähler ins politische Mausoleum der österreichischen Staatslinken chauffieren, in die Villa des verstorbenen sozialdemokratischen Bundeskanzlers Bruno Kreisky, und nahm am Samstag auch noch an einem formlosen Plausch mit Intellektuellen in der Privatwohnung des Künstlers André Heller teil. »Das ist die Fortsetzung der Sanktionen mit anderen Mitteln«, schnaubte der Klubobmann von Schüssels konservativer Österreichischer Volkspartei (ÖVP), Andreas Khol.

Der Ärger ist verständlich. Immerhin hatte sich Schröder im Frühling des letzten Jahres vehement für die Sanktionen gegen die blau-schwarze Regierungskoalition in Wien eingesetzt, nun sollte er wohl durch einige Nettigkeiten indirekt zugeben, dass diese Sanktionen ein Fehler waren.

Weit gefehlt. »Ich sehe die Sanktionen nicht als Fehler«, erklärte Schröder während einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem ziemlich zerknittert wirkenden Wolfgang Schüssel. Jörg Haider reagierte sofort. »Schröder gebärdet sich wie ein Feudalherr aus dem 19. Jahrhundert mit dicker Zigarre und bombigem Stil«, giftete der Kärntner Landeshauptmann, der Schröder schon im Februar dieses Jahres als »Koffer in Berlin«, als famosen Trottel also, bezeichnet hatte.

So vertrottelt aber agierte Schröder während seines Besuches gar nicht, vielmehr hat er eine durchaus amüsante Methode gefunden, einer unbeliebten Regierung durch diplomatische Finten zu zeigen, dass sie trotz der mühseligen Aufhebung der Sanktionen noch immer nicht everybody's darling ist: »Man hat ja nicht nur Verstand, sondern auch Herz, und das schlägt hier. Wer es mir übel nehmen will, der soll es tun«, schmunzelte er während des Festes in der Villa Kreiskys.

Die Philosophin Isolde Charim, Mitveranstalterin des ungewöhnlichen Kanzlerfestes, bei dem Vertreter der Regierung übrigens unerwünscht waren, sieht die Zuneigung Schröders zur österreichischen Opposition so: »Das Repräsentationsmonopol der Regierung wird in Frage gestellt und gleichzeitig ihr prekäres internationales Ansehen sichtbar.«

Aber auch klassische sozialdemokratische Gefühlsregungen werden mit Schröders Besuch bedient. In besagter Villa im noblen Wien-Döbling fanden in den siebziger Jahren die legendären Treffen des sozialdemokratischen Dreigestirns Bruno Kreisky, Willy Brandt und Olof Palme statt. Die traurige Gestalt des Alfred Gusenbauer machte aber klar, dass aus irgendwelchen sozialdemokratischen Gestirnen zur Zeit wohl nichts werden wird.

Und Andreas Khol, der Klubobmann der Volkspartei, hat schließlich auch Recht, wenn er den Besuch Schröders als Fortsetzung der Sanktionen »mit anderen Mitteln« bezeichnet. Denn nachdem die 14 EU-Staaten drei Weise ernannt haben, die der Regierung in Wien einen Persilschein auszustellen hatten, ist man in Brüssel und den anderen europäischen Hauptstädten gar zu lahm geworden.

Als die Sanktionen in Kraft getreten waren, gelang es der Wiener Regierung nur allzu gut, jene Maßnahmen »gegen die Bundesregierung« als Sanktionen »gegen Österreich« innenpolitisch zu instrumentalisieren. Die kritische Opposition taumelte in die Patriotismus-Falle und die Gegner Haiders wurden im öffentlichen Diskurs zu Gegnern Österreichs.

Seitdem ist es schlecht bestellt um die von der EU versprochene »Beobachtung der Wiener Regierung«. Da konnte der Justizminister fordern, Journalisten notfalls inhaftieren zu lassen, da konnte Jörg Haider während des Wiener Wahlkampfs im März antisemitische Stereotypen verbreiten, da wurden die österreichischen Wirtschaftsverbände von Regierungskritikern gesäubert, da schränkte Jörg Haider als Landeshauptmann die Rechte der in Kärnten angesiedelten Minderheiten ein. Europa schweigt beharrlich, weil die 14 nicht erneut eine politische Pleite erleben möchten wie bei den Sanktionen.

So gesehen, waren die Sanktionen tatsächlich ein Fehler. Sie haben die Sensibilität für das autoritäre Staatsverständnis der Wiener Regierung beseitigt und an ihre Stelle duckmäuserhaftes Schweigen gesetzt. Der sozialdemokratische EU-Parlamentarier Hannes Swoboda bemerkt eine beträchtliche Abstumpfung: »Selbst wenn Haider Kanzler werden sollte, ist nicht mehr mit scharfen Reaktionen der EU zu rechnen.«

Auch Italiens designierter Ministerpräsident Silvio Berlusconi, dessen Haus der Freiheiten eine gemeinsame Regierung mit der rassistischen Lega Nord und der postfaschistischen Alleanza Nazionale bilden will, profitiert von der Beißhemmung der EU. Zwischen Madrid und Berlin überschlagen sich Politiker in Ausflüchten, warum die römische Allianz ja eigentlich gar nicht so schlimm sei. »Mussolini ist eben nicht Hitler«, erklärte der französische Europaminister Pierre Moscovici, und auch Gerhard Schröder will »die Entscheidung des italienischen Volkes akzeptieren«.

Aber noch seltsamere Argumente werden angeführt. »In Italien ist der Koalitionspartner Umberto Bossi knapp vier Prozent stark, in Österreich hat Haider 27 Prozent bekommen. Die Chance, dass Bossi Premierminister wird, ist sehr gering. In Österreich vor einem Jahr sah die Sache anders aus«, konstruierte Moscovici einen Zusammenhang zwischen irgendwelchen »europäischen Werten« und dem Wahlverhalten der Italiener.

Tatsächlich aber dürfte die politische Zurückhaltung vor allem mit Opportunismus zu erklären sein, wie der grüne EU-Parlamentarier Johannes Voggenhuber dem österreichischen Magazin Format erklärte: »Den Opportunismus, beim mächtigen italienischen Ministerpräsidenten plötzlich keinen Faschismus und keine Gefahr durch sein rechtsextremes Bündnis zu sehen, diskreditiert ja nachträglich die ganze Verurteilung der österreichischen Regierung in Europa.«

Weshalb zwei Seelenverwandte einander in den nächsten Monaten recht innig danken können. Berlusconi und Schüssel können die gemeinsame Zukunft an der Spitze ihrer Staaten nutzen, um ein moralinfreies Gegenmodell zu den einstigen »europäischen Werten« zu entwickeln.