Dem Präsidenten Wahid droht die Amtsenthebung

Die Stunde der Generäle

Im Kampf gegen seine Amtsenthebung hat der indonesische Präsident Wahid kaum noch Verbündete. Von der politischen Krise profitiert vor allem das Militär.

Immer wenn das indonesische Repräsentantenhaus in den vergangenen Monaten Abdurrahman Wahid rügte oder gegnerische Politiker seinen Rücktritt forderten, reagierte der bedrängte Präsident mit diffusen Drohungen. Dieser Tradition blieb er auch treu, nachdem das Parlament am 30. Mai eine Sondersitzung der Beratenden Volksversammlung (MPR) beantragt hatte, um ihn seines Amtes zu entheben. Nach dem Freitagsgebet forderte er vor Gläubigen in einer Moschee der Hauptstadt Jakarta die Einstellung des Verfahrens: »Ich gebe eine Frist bis Freitag nächster Woche, danach werden wir weiter sehen.«

Nähere Ausführungen zu diesem Ultimatum machte er nicht. Am gleichen Tag aber erklärte er in einer Rede vor der Presse: »Wenn die Sicherheit der Nation auf dem Spiel steht, werde ich entschiedene Schritte unternehmen«. Schließlich, so Wahid, drohe bei seinem Rücktritt die Sezession von sechs Provinzen: »Viele lokale Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, nicht Vertreter des Staates, sagten mir, dass sie ihre Unabhängigkeit erklären, wenn ich zurücktrete.«

Trotz solcher Prophezeiungen scheinen Wahids Chancen, bis zu den regulären Neuwahlen im Jahr 2004 durchzuhalten, derzeit gering. Die Sitzung der MPR soll am 1. August stattfinden. Wenn es Wahid dann nicht gelingt, sich zur Zufriedenheit der Abgeordneten zu rechtfertigen, kann die Versammlung ihn absetzen. Die MPR besteht aus den 500 Mitgliedern des Repräsentantenhauses und 200 ernannten Vertretern. Da am 30. Mai 365 Abgeordnete gegen Wahid votierten, kann er sich wenig Illusionen über den Ausgang der Abstimmung machen.

Als ehemaliger Chef der islamischen Massenorganisation Nahdatul Ulama, deren Mitgliederzahl auf 30 bis 40 Millionen geschätzt wird, kann Wahid sich zwar auf eine außerparlamentarische Mobilisierung stützen. Im Laufe des Amtsenthebungsverfahrens, das mit einer ersten parlamentarischen Rüge im Februar begann, hatten seine Anhänger mehrfach in Ostjava und in Jakarta zu seiner Unterstützung demonstriert (Jungle World, 8/01). Doch als es Ende Mai wieder zu militanten Demonstrationen kam, ließ die Armeeführung als deutliche Warnung 800 Fallschirmjäger über dem Unruhegebiet abspríngen.

Für andere »entschiedene Schritte« fehlt Wahid der Rückhalt in den staatlichen Institutionen. Als er am 28. Mai den Ausnahmezustand ausrufen lassen wollte, scheiterte er am Widerstand der Generäle. »Wir haben dem Präsidenten gesagt, dass die Ausstellung eines Notstandsdekrets die Lage verschlechtern würde«, erklärte Militärsprecher Marschall Graito Usudo. Mit der Weigerung, sich den Anordnungen des Präsidenten zu fügen, haben sich die Generäle endgültig der von den Parteien der Rechten geführten Kampagne gegen Wahid angeschlossen.

Die Forderung nach seinem Rücktritt war zunächst mit der angeblicher Verwicklung in zwei Korruptionsfälle begründet worden. Doch der mit den Ermittlungen beauftragte Attorney General Marzuki Darusman sprach Wahid am Montag vergangener Woche von allen Vorwürfen frei. Dessen Gegner zeigten sich unbeeindruckt. Die Korruptionsfälle seien schließlich nicht der einzige Grund für das Misstrauensvotum, so Parlamentssprecher Akbar Tandjung, letztlich gehe es um Wahids »Leistung, Haltung und Politik«.

Tatsächlich ist die Bilanz seiner Präsidentschaft dürftig. Seine Regierung war angetreten, um die Wirtschaft zu liberalisieren und für ausländische Investitionen zu öffnen. Die aber bleiben wegen der ungeklärten Machtverhältnisse und der Unruhen in verschiedenen Landesteilen weitgehend aus, der Wert der indonesischen Rupie fällt ständig. Die kaufkräftigen Schichten haben sich von der Asienkrise erholt, ihr Konsumniveau hat den Stand von 1997 wieder erreicht. Für die restlichen 85 Prozent der Bevölkerung gilt das nicht, im Frühjahr kam es zu massiven Protesten gegen die soziale Misere, die von der linken Demokratischen Volkspartei (PRD), radikalen Studentenorganisationen und Gewerkschaften getragen wurden.

Wahids ambitioniertestes Projekt, politische und wirtschaftliche Vollmachten an die Lokalregierungen zu delegieren, führte dazu, dass viele Provinzpotentaten nun neue Steuern und Abgaben erheben, die den Binnenhandel behindern und die Inflation anheizen. Ausländische Investoren, die jetzt mit den lokalen Regierungen neue Verhandlungen führen müssen und häufig mit zusätzlichen Steuerforderungen konfrontiert werden, sind verärgert. IWF-Vertreter kritisierten bei einem Besuch im April die Dezentralisierungspolitik und entschieden, einen Kredit von 400 Millionen Dollar vorerst nicht auszuzahlen. Die Verzögerung, so der Far Eastern Economic Review, sei darauf zurückzuführen, dass »der IWF einen Regierungswechsel erwartet«.

Wahid kann nur an der Macht bleiben, wenn es ihm gelingt, die Koalition seiner Feinde aufzusprengen. Gänzlich aussichtslos ist dieses Unterfangen nicht. So wird zwar allgemein erwartet, dass Vizepräsidentin Megawati Sukarnoputri die Nachfolgerin Wahids wird, doch die Verfassung schweigt sich zu diesem Thema aus. Die MPR ist frei in ihrer Entscheidung. Megawatis Indonesische Demokratische Partei (PDI-P) ist die stärkste Fraktion im Parlament, stellt aber nur etwa ein Drittel der Abgeordneten. Um Präsidentin zu werden, muss Megawati sich die Unterstützung anderer Gruppierungen sichern.

Doch die in der Axis Group zusammengeschlossenen Parteien der islamischen Rechten, die sie derzeit unterstützen, verhinderten im Oktober 1999, dass sie Präsidentin wurde. Die damals von führenden islamischen Rechtsgelehrten ausgesprochene Fatwa, der zufolge eine Frau nicht in das höchste Staatsamt gewählt werden dürfe, wurde nie widerrufen. Ein ebenso unzuverlässiger Bündnispartner wäre die ehemalige Regierungspartei Golkar, einst die wichtigste politische Stütze der 1998 gestürzten Diktatur Suhartos. In der Golkar vereinigen sich hohe Bürokraten und jener Flügel der Bourgeoisie, der unter Suharto von staatlicher Protektion profitierte. Sie sehen ihre Interessen durch die vom IWF geforderten Reformen und die Dezentralisierung gefährdet.

Megawati hat durch einen strikt nationalistischen Kurs die Gunst des Militärs gewonnen, das seine Position als hegemoniale Macht in einem zentralisierten Staat erhalten will. Zudem sind die Offiziere aus den Zeiten der Diktatur regelmäßige Beförderungen gewöhnt. Diese als Mutasi bezeichnete Postenschieberei blockiert Wahid seit mehr als einem Jahr. Zweifellos erwartet das Offizierskorps, dass eine neue Regierung die alten Sitten wieder einführt. Doch auch die Armee ist in politische Fraktionen gespalten.

Megawati, die als Präsidentin mit zahlreichen konkurrierenden Forderungen ihrer Unterstützer konfrontiert wäre, müsste damit rechnen, das Wohlwollen ihrer Koalitionspartner schnell wieder zu verlieren. Ein Teil der PDI-P befürwortet deshalb eine Einigung mit Wahid. Megawati aber hat dessen Angebote, ihr einen Teil seiner Macht abzutreten, bislang abgelehnt. Auch Wahids jüngster Versuch, ihre Unterstützung zu gewinnen, scheint erfolglos zu bleiben.

Bei der dritten größeren Kabinettsumbildung seiner Amtszeit entließ er am Freitag vier Minister. Nachfolger des Sicherheitsministers Susilo Bambang Yudhoyono wurde Agum Gumelar, ein ehemaliger General, der als enger Verbündeter Megawatis gilt. Wahid erläuterte den Zweck dieser Maßnahme: »Ich will eine Person, die gute Beziehungen zu Megawati fördern kann, um uns vor einer Spaltung zu bewahren.« Doch Megawati, die vor der Kabinettsumbildung nicht konsultiert wurde, boykottierte die Zeremonie zur Amtseinführung Gumelars.

Unabhängig vom Ausgang des Kampfs um die Präsidentschaft stehen die politischen Sieger bereits fest. Bürokratie und Militär haben sich als lenkende Macht hinter den Parteien etabliert und deutlich gemacht, dass wichtige Entscheidungen nicht ohne ihre Zustimmung getroffen werden dürfen. Am Freitag entließ Wahid den Polizeichef General Suroyo Bimantoro. Doch dieser weigert sich, die Entscheidung des Präsidenten zu akzeptieren. Hohe Polizeioffiziere versammelten sich am Samstag in Jakarta, um ihn zu unterstützen, auch der Parlamentssprecher und Golkar-Politiker Tandjung stellte sich hinter den ungehorsamen General. Nach dem Treffen verkündete Bimantoro selbstbewusst: »Ich bin immer noch der Polizeichef.«