Anschlag in Tel Aviv

Rätselraten um Arafat

In Ramallah und in Teilen von Gaza wurde der Anschlag mit Jubel begrüßt, berichtete die Jerusalem Post, und angeblich telefonierte Scheich Hassan Nasrallah, das Oberhaupt der Hisbollah aus dem Libanon, mit Führern des Islamischen Dschihad in den palästinensichen Gebieten, um sie zu dem erfolgreichen Schlag gegen den »zionistischen Feind« zu beglückwünschen.

Vorangegangen war der mörderischste Terroranschlag in Israel seit Jahren. Ein palästinensischer Selbstmordattentäter hatte Freitagnacht in Tel Aviv vor einer Diskothek seine Bombe gezündet. Bis zum Wochenende starben 20 israelische Jugendliche, überwiegend junge Frauen, 90 zum Teil schwer Verletzte kamen ins Krankenhaus.

Zunächst erklärte sich nach Angaben der Jerusalem Post der Islamische Dschihad, dann eine Gruppe namens Palästinensische Hisbollah für das Attentat verantwortlich; beide Erklärungen wurde später zurückgezogen. Am Sonntagabend schließlich bekannten sich die Issedin el Kassem-Brigaden, der bewaffnete Arm der Hamas, zu dem Attentat.

Keineswegs kam das Selbstmordattentat unerwartet. Dutzende palästinensischer Terrorzellen seien bereit, in Israel zuzuschlagen, hatte ein israelischer Polizeikommandeur bereits in der Vorwoche gewarnt. Noch am Tag vor dem Attentat hatte der Sprecher des Islamischen Dschihad von Gaza, Abdallah al-Chami, vor 1 500 Demonstranten erklärt, dass »die Operationen der Märtyrer tief im Innern des zionistischen Gebildes weitergehen« würden, berichtete Le Monde.

Der Anschlag markiert auch keine neue Qualität. Bereits in der Woche zuvor hätte ein palästinensischer Selbstmordanschlag auf einen Supermarkt in Netanja ebenso viele oder sogar mehr zivile Opfer fordern können, wäre ein Wachmann nicht auf den Attentäter aufmerksam geworden. Und es sind auch nicht mehr allein die Islamisten, die Israel terrorisieren. Zu einem Autobomben-Anschlag in Jerusalem am vorletzten Sonntag bekannte sich nach Agenturmeldungen die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) und erklärte, den Tod von »palästinensischen Märtyrern« zu rächen.

Angesichts der Abscheu der ganzen Welt und aus Furcht vor israelischer Vergeltung kündigte Yassir Arafat am Samstag an, alles Notwendige zu unternehmen, um »eine sofortige, bedingungslose, reale und wirkungsvolle Waffenruhe« zu erreichen.

Doch am Sonntag trafen sich zwölf Fraktionen der PLO sowie Vertreter der Hamas und des Islamischen Dschihad, um Arafats Ankündigung zu diskutieren. In einer gemeinsamen Erklärung betonten sie das Recht des »Volkes«, sich gegen Aggression, Besatzung und Siedlungen zu »verteidigen«. Die Palästinenser sollten sich zusammenschließen und in »volle Alarmbereitschaft« versetzen, um sich auf israelische Angriffe vorzubereiten. Von einer Waffenruhe war keine Rede.

Zuvor behaupteten einige palästinensische Offizielle aus dem Sicherheitsapparat, sie hätten allen Fraktionen mitgeteilt, dass die Palästinenserbehörde keine Attacken innerhalb Israels mehr tolerieren werde.

So kann das alte Spiel weitergehen. Arafat erklärt sich unter Druck zu Konzessionen bereit, Dschihad, Hamas oder obskure Gruppen wie die Palästinensische Hisbollah bomben erneut, und das allgemeine Rätselraten geht los, ob Arafat diese Gruppen nicht kontrollieren kann oder nicht kontrollieren will. Nur einer zeigt sich davon unbeeindruckt: Der deutsche Außenminister Joseph Fischer, der zur Zeit des Anschlags in Israel war, sah sich unversehens in der Lage, sich als Vermittler aufzuspielen.