Eine Frage des Pfunds

Nach dem überwältigenden Wahlsieg von New Labour hoffen die EU-Staaten auf einen baldigen Beitritt Großbritanniens zur Eurozone.
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Ein »Sieg für Europa« sei der Wahlausgang in Großbritannien, behaupteten die deutschen Parteien, »unglaublich wichtig« für die EU ist die erneuerte Mehrheit der Labour-Partei im Unterhaus nach Ansicht des schwedischen Premiers und EU-Ratspräsidenten Göran Persson, und der belgische Premierminister Guy Verhofstadt freute sich besonders, dass »anti-europäische Themen in der Kampagne nicht funktioniert haben«. Der britische Premierminister Tony Blair hingegen äußerte sich wie gewohnt zweideutig zu der Frage, wie die künftige Europapolitik seiner Regierung aussehen wird: »Was Europa und die Welt betrifft, müssen wir Veränderungen machen, um eingebunden zu sein - mit dem Selbstvertrauen, der Welt nicht den Rücken zuzukehren und uns in Isolationismus zurückzuziehen. Diese Veränderungen werden nicht einfach sein.«

Der überwältigende Wahlsieg des als pro-europäisch geltenden Blair ließ vor allem in der gebeutelten Europäischen Zentralbank (EZB) Hoffnungen aufkommen, dass der wichtigste Finanzplatz Europas, die Londoner City, in absehbarer Zeit Teil der Eurozone werden und der Einheitswährung aus der Dauerkrise helfen könnte. Schließlich hatte der konservative Oppositionsführer William Hague versucht, die Wahlen als eine Abstimmung über die Beibehaltung des britischen Pfunds darzustellen und war damit gescheitert. Einen einzigen Sitz konnte die Konservative Partei hinzugewinnen, damit hat sie weiterhin fast 250 Mandate weniger als Labour.

Hague zog schon am Tag nach der Wahl die Konsequenz aus der verfehlten Kampagne zur Rettung des Pfunds und trat als Parteivorsitzender zurück. Der Abgang des Nationalisten führte zum Einbruch des Pfundkurses gegenüber dem US-Dollar. Die Finanzmakler erwarteten, dass die Konservativen auf absehbare Zeit in Führungskämpfe verwickelt sein werden und Blair diesen Umstand nutzen wird, um in der Öffentlichkeit für den Euro zu werben. Wegen der Aussicht auf eine damit verbundene Abwertung des Pfunds zogen sich die Anleger auf den Dollar zurück. Gegenüber dem Euro allerdings gab das Pfund nur unwesentlich nach.

Ob Blair die Vorbereitung auf das von ihm bereits im Februar angekündigte Referendum über den Euro »innerhalb der nächsten zwei Jahre« tatsächlich vorantreibt, ist fraglich. Die größte Überraschung im neuen Kabinett war die Ersetzung des Außenministers Robin Cook, eines Befürworters des Euro, durch den bisherigen Innenminister Jack Straw. Die strikt anti-europäische Sun, die als erste von Cooks Entlassung wusste, verkündete triumphierend: »Der außergewöhnliche Schachzug sendet ein klares Signal von Blair nach Brüssel, dass er Britannien nicht zur Aufgabe des Pfunds drängen wird.« Das Massenblatt gehört zum Medienimperium des rechten Verlegers Robert Murdoch, dessen Unterstützung für New Labour als entscheidend gilt. Kaum vorstellbar, dass Blair es wagen würde, gegen die Meinungsmacht Murdochs eine Euro-Kampagne zu beginnen.

Straw, der als Innenminister vor allem durch seine Law-and-Order Politik und die Hetze gegen Immigranten auffiel, ist ein Vertrauter des Euro-Gegners und Schatzkanzlers Gordon Brown. Der Rivale Blairs um die Führung der Labour-Partei hat nun die Macht, ein eventuell stattfindendes Referendum zu beeinflussen: in seinem Ministerium wird darüber entschieden, wann die »fünf Euro-Tests« beginnen werden und ob diese Prüfungen positiv ausfallen.

Gemeint ist damit eine scheinbar objektive Untersuchung, ob der Euro von Vorteil wäre für den Arbeitsmarkt, für Investitionen, für die Londoner City als größten Finanzmarkt Europas und ob nach dem Euro-Beitritt weiterhin ein flexibler Arbeitsmarkt und genügend Freiraum zur Reaktion auf Wirtschaftszyklen gewährleistet bleiben. Natürlich können alle diese Fragen unterschiedlich beantwortet werden, und nach Angaben des Murdoch-Blattes Sunday Times ließen Browns Vertraute durchblicken, dass das Thema womöglich für Jahre »auf Eis« gelegt wird.

Ohnehin war der Wahlsieg Labours kein Mandat für einen Euro-Beitrtitt. Die Wahlbeteiligung lag bei 59 Prozent, das war die niedrigste seit 1918. Dank des britischen Wahlrechts reichten die Stimmen von nur einem Viertel aller Wahlberechtigten, um Labour zu einer riesigen Mehrheit im Unterhaus zu verhelfen. Umfragen hingegen zeigen eine konstante Zwei-Drittel-Mehrheit der Briten gegen den Euro, und diese Stimmung zu kippen, dürfte wegen der andauernden Kursschwäche der europäischen Währung schwierig sein. Die britische Mittelklasse ist seit Anfang der neunziger Jahre, als sich Großbritannien wegen eines überhöhten Pfundkurses über Nacht aus dem Europäischen Währungssystem (EWS) zurückziehen musste, misstrauisch gegenüber Währungsexperimenten. Unter der damaligen massiven Abwertung des Pfunds hatten vor allem Kleinanleger und Sparer zu leiden.

Ohnehin hat Brown bereits in seiner ersten Amtszeit das wichtigste Instrument für eine Währungsanpassung aus der Hand gegeben. Seit der Entlassung der Bank von England in die politische Unabhängigkeit fehlen der Regierung die Mittel, den überhöhten Pfundkurs an den Euro anzugleichen. Blairs Kabinett könnte versuchen, das Pfund herunterzureden, was beim Wahlvolk nicht besonders gut ankommen dürfte.

Zwar beschweren sich exportorientierte Firmen seit Jahren über den hohen Kurs - allein zwischen Februar und April gingen fast 10 000 industrielle Arbeitsplätze wegen der Schließung des modernsten Stahlwerks Europas in Wales und einer Mobiltelefon-Fabrik in Schottland verloren. Doch die Finanzdienstleister können auch ohne den Euro ihre Brückenstellung zwischen der EU und den USA nutzen.

Mit dem Euro müssten früher oder später die arbeitnehmerfreundlicheren Gesetze und die höheren Steuern des Kontinents übernommen werden. Infolgedessen sind die Gewerkschaften die stärksten Befürwörter eines raschen Beitritts. Im Observer schrieb John Monks, der Generalsekretär des New Labour-treuen Gewerkschaftsverbands TUC: »Ich würde es gerne sehen, wenn die Regierung eine Politik beginnt, die den Beitritt zur Einheitswährung in absehbarer Zeit ermöglicht.«

Diese Position vertreten auch die Liberaldemokraten, die sich unter ihrem neuen Vorsitzenden Charles Kennedy als linksliberale Opposition profiliert haben. Die drittgrößte britische Partei konnte vor allem durch ihr Bekenntnis zu höheren Steuern für die Sanierung der wohlfahrtsstaatlichen Einrichtungen Boden gutmachen und hat mit 19 Prozent der Stimmen und 52 Sitzen im Unterhaus ihr bestes Ergebnis seit 1929 erreicht. Die LibDems konnten sowohl Labour als auch den Tories Sitze abnehmen - ein weiteres Zeichen, wie verfehlt die Kampagne der Tories war.

Die Angst vor einem EU-Superstaat, der die 800jährige britische Demokratie zerstören könnte, und rechtsextreme Positionen in der Asyldiskussion konnten allenfalls ihr rechtes Stammpublikum zum Votum für die Tories bewegen. Seit ihrer zweiten desaströsen Niederlage in Folge steckt die Konservative Partei, die einst als »natürliche Regierungspartei« bezeichnet wurde und das 20. Jahrhundert in Großbritannien politisch dominiert hat, in der tiefsten Krise ihrer Geschichte.

Nach dem Rücktritt William Hagues steht die Partei vor einem Nachfolgerkampf, in dem wahrscheinlich der vom Rechtsaußen zum »mitfühlenden Konservativen« gewandelte Michael Portillo gegen die autoritäre Ann Widdecombe antreten wird. Der als Favorit eingeschätzte Portillo würde voraussichtlich die EU-Position der Tories modifizieren, um sich die Unterstützung des in den letzten Jahren marginalisierten Pro-Euro-Flügels zu erhalten.

Blair hingegen wird versuchen, den von den europäischen Staatschefs und EZB-Ökonomen herbeigesehnten Euro-Beitritt des Vereinigten Königreichs weiterhin als Druckmittel zu benutzen, um angesichts der anstehenden Ost-Erweiterung der Union größeren Einfluss auf die Innen- und Wirtschaftspolitik der EU zu gewinnen.

Bereits im Februar hatte der Premierminister angekündigt, auf eine restriktive vereinheitlichte Asylpolitik hinwirken zu wollen. Die EU soll als politisches Instrument dienen, ohne dass die britische Regierung allzu viel Macht vor allem an Deutschland abgeben muss.