Neue Platte von Jan Delay

Endlich mal was los

Jan Delay will in Deutschland HipHop machen, aber nicht zum deutschen HipHop gehören. Das funktioniert. Das funktioniert nicht.

Kein Zweifel. Jan Delay aka Eißfeldt gehört zu den Intelligenteren im deutschen HipHop. Auf dem Absolute-Beginner-Album »Flashnizm« wusste er »schon früh, ich wollt kein Deutscher sein«. Nie haben Jan Delay oder die Beginner - trotz »Liebeslied« - zu denjenigen gehört, die aus ihrer Musik eine Neue Mitte-Philosophie made in Germany gemacht haben, wie es seit 1989 üblich ist. Deutscher HipHop hatte und hat musikalisch wie popkulturell keine Existenzberechtigung: Er ist als Underground- wie als Mainstream-Produkt eine Erfindung ethno-nationalistischer Pop-Linker, größenwahnsinniger Kleinbürger aus dem Ländle und Majorlabel-Yuppies.

Zweifel. Wie kann man intelligent sein im deutschen HipHop, wenn diesem jede künstlerische wie politische Intelligenz abgeht? Andererseits: Wie kann es sein, dass jemand, der in Interviews wie Lyrics mehr oder weniger offen mit der RAF sympathisiert, auf der In&Out-Liste des ZDF-Videotextes gepriesen wird? Wie kann es sein, dass Delays Song »Ich möchte nicht, dass ihr meine Lieder singt« von RTL über den Spiegel bis zur Zeit genauso zum Must des Sommers erklärt wird wie das kleinkarierte Vichy-Karo? Ist er einfach nur Pop? Pop, dem der Inhalt gleichgültig ist? Wird Delays RAF-Begeisterung nur deshalb nicht ernst genommen, aber gerne konsumiert, weil ja sowieso kaum noch eine Modezeitschrift ohne die Accessoires RAF-Stern und Guevara-Patronengürtel auskommt? Ja und Nein.

Kein Zweifel. Nichts ist interessanter. Die Meldung über Berlusconis Wahlsieg ist für die »Bürger von Konsolien« (Titel eines Delay-Songs) genauso interessant wie die Berichte über den Lebenswandel von Ulrike Brandts Mörder. Wir sind die Guten. Schlechte gibt's eigentlich gar nicht mehr. Nur noch welche, die das nicht verstanden haben, die ihre Chance nicht nutzen und die aus der Reihe tanzen. Keiner weiß mehr, was denn nun richtig ist. Pop hat keine Ideale mehr - nur REM (»das gute Gewissen des Pop«, wie sie der Top of the Pops-Moderator nennt) und Jan Delay, der Top of the Pops boykottiert, haben welche.

Was auf den gleichen Werbeeffekt hinausläuft. Auffallen, wo's geht. Wo nichts mehr geht. Was heißt RAF? Wer waren Baader und Meinhof? Schon mal gehört. So dumm sind wir nicht. Prada-Meinhof. Die, von denen neulich der Sozialkunde-Lehrer erzählt hat? Deutscher Herbst, Bullen, Maschinenpistolen? Ach so. Cool. Endlich mal was los. Mucke mit Sinn. Geht was ab. Geil. Branding. Identity. Auf der sicheren Seite. Kein Zweifel. Namen werden zu Symbolen, wer die Symbole versteht, gehört zur Gemeinschaft oder zur Community. Gemeinschaft der Guten, der Coolen.

Zweifel. Jan Delay singt über seine Lieder: »Denn gegen Euch tu ich die machen.« Dem Rest will er aus pädagogischen Gründen erklären, wofür denn nun »RAF« die Abkürzung ist. Das kann man glauben. Aber wer ist mit »Euch« angesprochen? Keiner - oder alle. Er singt: »Alles ist vergiftet!« Er hat recht - denn er meint's anders als die Müslis. Seine Landsleute schätzt er völlig richtig ein: »Denn vor allem können die Babylonier nicht klatschen und tanzen!« Warum landete er trotzdem in den Media Control-Charts zwischen Rammstein und Michelle? Gerade deshalb. Er meint es gut. Wohl zu gut. Er glaubt, die einen würden ihn hassen und die anderen würden ihn verstehen. Nichts da. Alle verstehen sie ihn. Nur zu gut.

Einer wie Jan Delay wird Teil und Objekt des nationalen Popgesprächs - gerade weil er's nicht darauf anlegt. Seit die 68er und 98er in der Hauptstadt angekommen sind, hat der Pop seine Grenzen nach außen verschoben. Keiner darf mehr nicht dazugehören. Denyo 77, Delays Beginner-Genosse, dessen Debüt-Solo »Minidisco« gleichzeitig mit »Searching ...« herauskam, bringt sein Missfallen an der Vereinnahmung in einem Interview auf den Punkt: »Mein Engagement ist, glaube ich, in erster Linie, Dinge nicht zu tun. Und zwar, nicht an irgendwelchen 'Rock gegen Rechts'-Veranstaltungen teilzunehmen, und wenn, dann auf eine krasse Art und Weise, weil diese 'Rock gegen Rechts'-Sachen eigentlich Promo-Veranstaltungen sind und im Endeffekt einem kleinen Ausländer nichts helfen, in keiner Art und Weise. (...) Ich bin Schwarzer, und damit tue ich genug.« Er hat recht. Und leider werden alle ihn verstehen.

Zielgruppe? Wem sollen sie sich in die Arme schmeißen? Der HipHop-Szene? Geht nicht, alle doof, denn das sind »die mit dem Sonnenbankfunk und dem Talkshowsoul«. Den Soziologiestudenten mit Gerechtigkeitssinn? Noch schlimmer, das sind »die mit dem Kaufhauspunk und hannoveranischem Rock&Roll«. Der Jugend als solcher? Never: »Ihr wählt doch sonst auch immer das Falsche, wenn ihr die Wahl habt«, heißt es in »Ich möchte nicht«. Den Linken? Den Übriggebliebenen? Oder den Antifas? Um deren Gunst buhlt schließlich ein nicht unerheblicher Teil der HipHop-Szene: »Die ganze linke Kultur geht mir am Arsch vorbei, wenn's die überhaupt noch gibt, die linke Szene, dann sind das wirkliche Neurotiker, die halt irgendwie Politik mit ihren eigenen Problemen verwechseln.«

Völlig richtig beobachtet. Ausweg? Gibt es diesmal keinen: »Das ist halt leider schade, aber ich bin zu sehr Musiker, um wirklich sagen zu können, ich bin noch da und da und mach noch das und das«, erklärt Denyo 77.

Kein Zweifel. Jan Delay und Denyo 77 wollen nicht dazugehören. Und je mehr sie es nicht wollen, desto mehr werden sie dazugehörig gemacht. Wer was zu sagen hat, soll sich melden. Wir hören dir zu. Ganz doll. Und du darfst sogar widersprechen. Wenn du ein Schwarzer bist, darfst du sogar böse sein. Das gehört zum Spiel. Das ist Demokratie. Jeder darf mal ran. Das ist das Problem. Jan Delay und Denyo 77 haben das Spiel zu lange mitgespielt, als dass sie heute als Spielverderber gelten können. Was die Inhalte betrifft, gehören sie nicht dazu. Was die Form betrifft, allemal. Sie besetzen die Figur des Pubertierenden, dem man's auch noch austreiben wird.

Zweifel. Hätte Jan Delay überhaupt ein Spielverderber werden können? Hat er nicht auf dem »Pop 2000«-Sampler der gleichnamigen, vielbeachteten und gelobten ARD-VIVA-Sendereihe den Nena-Song »Irgendwie, irgendwo, irgendwann« neu interpretiert? War »Pop 2000« nicht der geglückte mediale Abschluss der Eindeutschung des Rock'n'Roll und die Heiligsprechung antikommunistischer Zonen-Banden wie der Puhdys? Auf welche romantische Volkstümelei bei Alt-Links und Neu-Deutsch spekuliert Delay, wenn er im »Ich möchte nicht ...«-Videoclip ein Palästinenser-Tuch, eine Maschinenpistole und einen Patronengürtel trägt? Kommt Delay Zeitgeist-Mode-technisch nicht gerade richtig mit seiner Seventies-angehauchten Reggae-Musik, die das verklärte Ursprüngliche und das Unvermittelte immer mit transportiert? Sind Reggae, Raggamuffin und Dancehall in ihren Original-Varianten nicht zu großen Teilen sexistisch und gewaltverherrlichend? Wenn das back to the roots von Freundeskreis Schrott ist, warum dann nicht Jan Delays musikalischer Bezug darauf? Auch wenn Delay den immanenten Rassismus in der deutschen Soul- und Black-Music-Betrachtung in Interviews und in einem Song (»Rebecca und Svenja«) selber anspricht, wie will er ihn seinem Publikum austreiben?

Kein Zweifel. Jan Delay gehört - genauso wie Skills en Masse - nicht zum deutschen HipHop, er versucht nur, in Deutschland HipHop zu machen. Jan Delay macht Texte, wo der restliche deutsche HipHop nur das Dissen kennt. Und doch will er cool sein, so wie man im deutschen HipHop halt männlich ist: Er schimpft auf »diesen ganzen Wyclef-Jean-Jovanotti-Scheiß« und die »Multikulti-Crossover-Spacken«. Folgerichtig arbeitet er mit dem HipHop-Naturalisten Torch, mit Samy Deluxe und D-Flame zusammen. Weil er weiß, was gut ist, singt er mit Schorsch Kamerun und Xavier Naidoo. Jan Delay taugt nicht zum Helden, er hat auf Anraten seiner Anwälte die Textzeile »Sag mir, wo die Terroristen sind?« gestrichen - obwohl gerade er sie sich leisten könnte und die Pop-Koketterie aus dem Feuilleton in den vorderen Zeitungsteil hätte tragen können. Jan Delay ist hörbar, mehr nicht - der Anteil der jungen Leute an der Wählerschaft von Bündnis 90/Die Grünen wird konstant bleiben. Und trotzdem: Jan Delay hat die einzig richtige Einstellung zu seiner Heimat: »Fick Deutschland!«

Jan Delay: »Searching For The Jan Soul Rebels« (Buback/Groove Attack)

Denyo 77: »Minidisco« (Buback/Motor)