Ende der großen Koalition

Putsch in Berlin

Das Hauptstadt-Karussell dreht sich: Die CDU fliegt raus, die PDS hüpft rein. Und der Bundestagswahlkampf für 2002 ist eröffnet.

Plötzlich ging alles ganz schnell. Die letzte Sitzung des Berliner Koalitionsausschusses von CDU und SPD fand am vorigen Mittwoch statt. Die CDU hatte sich noch einmal alle Mühe gegeben und ein 50-Punkte-Programm zur Haushaltskonsolidierung vorgelegt, doch es war zu spät. Den Sozialdemokraten gelang es, der CDU die alleinige Verantwortung für die Haushaltsmisere aufzubürden, sie verschafften sich damit einen eleganten Abgang aus der ungeliebten Koalition. Das Regierungsbündnis war geplatzt.

Entsprechend schlecht war der immer noch Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen auf seinen ehemaligen Koalitionspartner zu sprechen. In Anspielung auf ein mögliches Bündnis von SPD, Grünen und PDS sagte er: »Richtig konsequent wären die Sozialdemokraten, wenn sie die Neuwahlen am 13.August anstreben würden, am 40.Jahrestag des Baus der Mauer.«

Der CDU-Fraktionsvorsitzende im Berliner Abgeordnetenhaus, Frank Steffel, warnte die Hauptstädter: »Das ist der linke Putsch und führt die deutsche Hauptstadt in die schwerste Belastung seit dem Ende des SED-Regimes.« Solche Äußerungen lassen erahnen, welchen Wahlkampf die CDU führen will, sollte es im Herbst zu Neuwahlen kommen.

Schon am Donnerstag wollen SPD, Grüne und PDS Diepgen und alle CDU-Senatoren absetzen. Anschließend soll der SPD-Fraktionschef Klaus Wowereit zum Regierenden Bürgermeister gewählt werden. Spätestens dann wird Eberhard Diepgen merken, dass seine politische Karriere dem Ende entgegengeht. Irgendwer aus der CDU muss ihm allerdings noch erklären, dass er in Zukunft nicht mehr als Spitzenkandidat gebraucht wird. Es sind bereits andere Namen genannt worden: Volker Rühe etwa oder Wolfgang Schäuble.

Offensichtlich war man in der CDU nicht auf ein so schnelles Ende der Regierung vorbereitet. Der Vorwurf des Wortbruchs ließ jedoch nicht lange auf sich warten. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung zitierte vorige Woche aus einem Brief, den der Berliner SPD-Parteivorsitzende Peter Strieder 1999 im Wahlkampf an Diepgen geschrieben hatte: »Wider besseres Wissen unterstellt Ihre Partei der Berliner SPD die Absicht, nach den Wahlen am 10.Oktober ein wie auch immer geartetes Bündnis mit der PDS einzugehen, obwohl die SPD insgesamt und auch Walter Momper (...) eindeutig erklärt haben, dass ein Bündnis mit der PDS nicht infrage kommt.«

Auch wenn vorerst nur eine rot-grüne Regierung unter Tolerierung der PDS gebildet werden soll, kommt man einem solchen Bündnis doch recht nahe. Das sehen sogar einige Sozialdemokraten so. Nach Informationen der B.Z. wollen acht SPD-Abgeordnete nicht für die Absetzung Diepgens stimmen, weil sie keine gemeinsame Sache mit der PDS machen wollen. Das würde zwar die Mehrheit für die Abwahl nicht gefährden, zeigt aber bereits die Probleme, die auf den zukünftigen Regierenden Bürgermeister Wowereit zukommen.

Dabei unterstützt selbst Bundeskanzler Gerhard Schröder den neuen Kurs der Berliner SPD. Er versprach sofort nach dem Auseinanderbrechen der großen Koalition, den Parteigenossen in Berlin freie Hand zu lassen. Eine Regierungsbeteiligung der PDS ist für Schröder selbst in der Hauptstadt nicht mehr ausgeschlossen.

Vorbei sind die Zeiten der Dresdner Erklärung aus dem Bundestagswahlkampf von 1994, in der die SPD sich noch strikt von der PDS abgegrenzt hatte. Reinhard Höppner hatte 1998 enorme Probleme, kurz vor der Bundestagswahl seine von der PDS tolerierte Landesregierung in Sachsen-Anhalt gegen die Bundesspitze der SPD durchzusetzen. Schröder wollte sich damals seinen Wahlsieg nicht gefährden lassen.

Aber nach dem Tolerierungsmodell in Sachsen-Anhalt kam es im September 1998 in Mecklenburg-Vorpommern zur ersten SPD/PDS-Koalition auf Länderebene. Eine rot-rot-grüne Koalition in Berlin wäre ein weiterer Schritt zur Normalisierung solcher Bündnisse. Der brandenburgische SPD-Vorsitzende Matthias Platzeck hat bereits zu verstehen gegeben, dass er für das Jahr 2004 auch in seinem Bundesland eine SPD/ PDS-Koalition nicht mehr ausschließt.

Für die SPD ist es ein wichtiger strategischer Vorteil, im Notfall auch auf die PDS als Partner zurückgreifen zu können. Zum einen ist sie dadurch im Osten nicht mehr auf die CDU angewiesen. Und zum anderen ist die PDS prima zur Mäßigung des grünen Koalitionspartners einsetzbar. Je leichter es der SPD fällt, mit der PDS zu koalieren, desto unbarmherziger können die Sozialdemokraten den Grünen ihre Bedingungen diktieren. Außerdem bekämpft man einen Konkurrenten wie die PDS am besten, indem man ihn in den politischen Alltag aus Sozialkürzungen und nicht eingehaltenen Versprechungen einbindet.

Und die Bekämpfung dieses politischen Gegners ist für die SPD von großer Bedeutung. Die Sozialdemokraten erlitten bei den letzten Wahlen in Berlin nicht nur wegen des schlechten Ansehens der großen Koalition schwere Stimmenverluste. Die Schwäche der Berliner SPD hat auch mit der Stärke der PDS in Ost-Berlin zu tun. Und hier ist es vor allem ein Mann, der den Sozialdemokraten Ärger bereitet: Gregor Gysi. Die Forderungen, Gysi solle das Amt des Regierenden Bürgermeisters übernehmen, wollten in der letzten Woche nicht verstummen. Die taz schrieb: »Aber nur einer kann Berlin wirklich retten: Gysi muss ran!« Er liegt in den Umfragen weit vor dem SPD-Kandidaten Klaus Wowereit.

Dabei wirkt die Gysi-Euphorie wie eine gut inszenierte Kampagne der PDS. Denn Berlin wählt seinen Bürgermeister nicht direkt. Und dass Gysi im Abgeordnetenhaus eine Mehrheit für sich bekommen könnte, ist wohl ausgeschlossen. Es ist kaum zu erwarten, dass die SPD einen PDS-Bürgermeister wählt. So weit fortgeschritten ist die Annäherung nun doch nicht.

Aber alleine die Tatsache, dass die SPD in Berlin ein rot-rot-grünes Bündnis erwägt, hat das politische Koordinatensystem, auch in Bezug auf die Bundespolitik, verändert. Die SPD hat ihre Möglichkeiten entscheidend ausgebaut. Sie könnte, sollte der Berliner Coup gelingen, sowohl in den Ländern wie auch im Bund in Koalitionsfragen zwischen CDU, FDP, Grünen und PDS auswählen.

Dagegen ist die CDU praktisch »isoliert« (FAZ). Momentan steht ihr nur die FDP als möglicher Partner zur Verfügung, doch die Liberalen liebäugeln seit einiger Zeit selbst mit der SPD. Und schwarz-grüne Bündnisse sind vielleicht in einzelnen Städten möglich, wie seit voriger Woche in Saarbrücken, aber auf Länderebene oder gar im Bund sind sie momentan noch schwer vorstellbar.

Die CDU steckt strategisch in der Klemme, das einzige, was ihr bleibt, ist ein heißes Wahlkampfthema. Die »Rote-Socken-Kampagne« aus dem Jahr 1994 dürfte in Berlin ein Comeback erleben. Der Generalsekretär Laurenz Meyer kündigte bereits an, die Zusammenarbeit von SPD und PDS auch im Bundestagswahlkampf zu thematisieren. Vielleicht kann man demnächst an CDU-Ständen in den Fußgängerzonen mit einer Unterschrift gegen die Machtübernahme der Kommunisten protestieren.

Eine Anti-PDS-Kampagne wird der CDU sicherlich helfen, ihre Stammwählerschaft zu mobilisieren. Ob es allerdings zu einem entscheidenden Einbruch in die von Schröder besetzte politische Mitte reicht, bleibt zu bezweifeln. Es hat sich inzwischen herumgesprochen, dass die PDS ungefähr so kommunistisch ist wie der Arbeiter-Samariterbund.

Das weiß auch die Parteivorsitzende der CDU, Angela Merkel. Ihr passt die Strategie von Laurenz Meyer nicht unbedingt ins Konzept, will sie doch auch in Ostdeutschland Stimmen holen. Sie ging letzte Woche mit einem Grundsatzpapier an die Öffentlichkeit. »Ich trete ein für eine moderne Politik der Mitte« war ihr Text in der Zeitung Die Welt überschrieben. Merkels Thesen stellen den Versuch dar, Schröders Inhalte neu zu verpacken und für die CDU zurückzuerobern. Das hört sich ein bisschen konservativer und verstaubter an, ein bisschen nach der Rhetorik der fünfziger Jahre, könnte aber helfen, über die CDU-Stammwählerschaft hinaus Wähler zu gewinnen.

Aber auch bei Merkel dürfen Seitenhiebe gegen den »Urreflex des Sozialismus« nicht fehlen. So kritisiert sie die von Schröder eingesetzten Kommissionen zur Biotechnologie und zur Einwanderung und spricht von einer »demokratisch nicht gedeckten Parallelpolitik einer neuen Räterepublik«.