Während der Fußballeuropameisterschaft häuften sich rechtsextreme Vorfälle

Regenbogenmannschaft, Graue Wölfe und Gigi D’Agostino

Ganz so fröhlich, bunt und friedlich wie beschworen ist die Fußball-Europameisterschaft weder auf den Rängen noch beim Partyvolk verlaufen.

Es ist vorbei. Am vorvergangenen Sonntagabend endete die Fußball-Europameisterschaft der Männer in Deutschland mit dem Finalsieg Spaniens über die englische Auswahl. Das deutsche Team war da schon ausgestiegen. Die spanische Furia Roja durchkreuzte die Titelhoffnungen der Adlerträger bereits im Viertelfinale. Und damit war es das zunächst einmal hierzulande. Zwar bewarb sich der Deutsche Fußball-Bund (DFB) um die Weltmeisterschaft der Frauen 2027, doch den Zuschlag bekam Brasilien. Fürs heimische Partyvolk fallen sogenannte Sommermärchen fürs Erste flach.

Der gemeine linke Vaterlandsver­räter atmet einmal kräftig durch, schließlich waren vier Wochen voller patrio­tischer Dröhnung erst einmal ­genug. Aber war es denn wirklich so schlimm? Zwar faselte vom Feuilleton bis zum troglodytischen Sportreporter jedermann von einer vermeintlich vereinenden Kraft, die die Erfolge der bundesrepublikanischen Elitekicker in ein gespaltenes Land tragen sollten, doch der ganz große nationale Rausch blieb eher aus.

Es ist vorbei. Der gemeine linke Vaterlandsverräter atmet einmal kräftig durch, schließlich waren vier Wochen voller patriotischer Dröhnung erst einmal genug.

Bescheiden und skeptisch wie eh und je musste die deutsche Auswahl erst einmal ein, zwei Spiele gewinnen, bevor für den heimischen Fußballfan der ­Euro-Sommer so richtig begann und die schwarz-rot-geilen Fahnen entstaubt wurden. Doch noch bevor man sich so richtig traute, vom nächsten deutschen Sommermärchen zu fabulieren, setzte ein 28jähriger Spanier namens Mikel Merino in der 119. Spielminute dem kollektiven Glücksgefühl ein Ende.

Dabei war, so ehrlich muss man sein, die deutsche Nationalelf so gut zu ertragen wie selten zuvor. Geschickt vermarktete der DFB bereits vor der Europameisterschaft völlig losgelöst und durchaus kreativ das Bild einer vielfältigen und geradezu multinationalen Einheit. Ein lila-pinkes Auswärtstrikot bricht mit alten Traditionen, erzielt Verkaufsrekorde – und sorgt für Schnapp­atmung bei denen, denen die Farbe Weiß auf dem Trikot fast ebenso wichtig ist wie im Gesicht der Spieler.

»Fuck auf Nazi-Kahbas«

Im zugehörigen Werbespot »Typisch deutsch« des Ausrüsters Adidas ist gar die Rede von »zwei Mannschaften«, die man als Deutscher mit Migrationshintergrund im Turnier habe. Von dem Hype lässt sich so manch einer anstecken. Die Rapper Celo und Abdi agitieren im DFB-Jogger: »Fuck auf Nazi-Kahbas und deren Propaganda«. Kein Wunder, dass man sich am rechten Rand mit der »Regenbogenmannschaft« (Maximilian Krah, AfD) »nicht mehr identifizieren« (Björn Höcke, AfD) mag – und dass obwohl die Mannen um Kapitän İlkay Gündoğan doch allesamt brav die Na­tionalhymne mitsingen.

Doch klar ist auch weiterhin: Wer sich nationales Miteinander wünscht, bekommt nationalistisches Gegeneinander geliefert. Und auch das ging schon vor Turnierstart los. Einer repräsentativen Umfrage des WDR zufolge wünschten sich 21 Prozent der Deutschen mehr weiße Spieler in der Nationalmannschaft. Bundestrainer Julian Nagelsmann wütete zwar, er hoffe, »nie wieder von solchen scheiß Umfragen lesen zu müssen«; einfach zu ignorieren, dass ein Fünftel der Bundesdeutschen ein manifestes rassistisches Weltbild offenbarte, kann aber auch nicht der Weisheit letzter Schluss sein.

Und so konnte es wenig verwundern, dass sich im Zusammenhang mit der Europameisterschaft landauf, landab rechte Vorfälle ereigneten – und von kritischen Beobachtern des Fußballspektakels sehr akribisch dokumentiert wurden. So starteten einige Deutsche mit dem Klassiker vergangener Tage in den EM-Sommer: T-Online berichtete von Hitlergrüßen zum EM-Auftakt in Bremen, Warnemünde und St. Wedel. Andere grölten rassistische Parolen zur Melodie von Gigi D’Agostinos »L’amour toujours«.

»Free Gigi«-Plakat

Dies war beileibe kein exklusiv deutsches Phänomen – die Meldestelle für Diskriminierung im Fußball in Nordrhein-Westfalen (Medif-NRW) berichtete von Hitlergrüßen italienischer Fans; den D’Agostino-Klassiker mit abgewandeltem Text sangen unter anderem auch österreichische, schweizerische und ungarische Anhänger. Letztere, von denen einige bereits bei der vergangenen EM 2021 mit stramm rechtem Auftreten aufgefallen waren, malten zudem ein »Free Gigi«-Plakat, nachdem der EM-Ausrichter Uefa das Abspielen des Lieds in den Stadien untersagte. Die Zeit veröffentlichte eine Karte, auf der deutschlandweit zahlreiche Orte zu sehen sind, an denen zu den Klängen D’Agostinos rassistisch gehetzt wurde.

Ungarische Fans posierten in diesem Sommer zudem mit einem Anti-Antifa-Plakat und erhielten damit sicher reichlich Zustimmung von einigen österreichischen und tschechischen Anhängern. Diese zeigten nämlich jeweils im Stadion ein Transparent mit der ­Parole der extrem rechten identitären Kampagne »Defend Europe«.

Der österreichische Fußballverband ÖFB verurteilte die Aktion und kündigte an, gegen die Urheber vorzugehen. Der deutsche Trainer Österreichs, Ralf Rangnick, hatte bereits vor dem Turnier eindringlich vor einem Erstarken des Rechtsextremismus gewarnt und wiederholte diese Botschaft während der EM. Viele Spieler Frankreichs warnten ebenfalls vor einer Rechtsentwicklung in ihrer Heimat und riefen zur Teilnahme an der Stichwahl zur französischen Nationalversammlung auf, die während der Europameisterschaft stattfand und überraschenderweise ein linkes Bündnis als Sieger hervorbrachte.

Mit Affenlauten rassistisch beleidigt

Am Rande der Spiele der Balkan-Länder gab es hingegen kaum Überraschungen. Auf den Rängen wurden hier ethnische und religiöse Konflikte aus dem ehemaligen Jugoslawien, wie es scheint, nach Herzenslust zelebriert, rechtes Gedankengut findet dabei leider allzu häufig einen Platz in der Kurve.

Serbische Fans sollen englische Spieler mit Affenlauten rassistisch beleidigt, den Namen des russischen Präsidenten Wladimir Putin gerufen und eine Al­banien-Fahne verbrannt haben. Für die Präsentation einer Fahne, auf der der Kosovo zu Serbien gehört, musste der serbische Verband 10.000 Euro Strafe an die Uefa zahlen. Serbische und slowenische Anhänger riefen gemeinsam: »Kosovo ist das Herz von Serbien«.

Albanische Fans wiederum verbrannten eine serbische Fahne und zeigten die Umrisse Großalbaniens. Im Chor mit der kroatischen Kurve tönte es: »Töte den Serben«. Der aus dem Kosovo stammende Spieler Mirlind Daku wurde für zwei Spiele gesperrt, als er nach dem Auftaktspiel der Albaner gegen Kroatien eine antimazedonische Parole durch ein Megaphon rief.

Posse um den Wolfsgruß

Und dann war da natürlich noch die Posse um den sogenannten Wolfsgruß. Mit dieser Geste, Erkennungsmerkmal der extrem rechten Grauen Wölfe, feierte der türkische Nationalspieler Merih Demiral seinen Siegtreffer im Achtel­finale gegen Österreich, weswegen die Uefa auch ihn für zwei Spiele sperrte.

Während sich deutsche Politiker und Medien vor Empörung geradezu überschlug – selbstredend nachdem jahrelang das Treiben der Grauen Wölfe weitgehend unter dem Radar gelaufen war –, bemühte man sich auf türkischer Seite eilig, das Symbol als harmlose Folklore abzutun. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan reiste in Begleitung des ehemaligen deutschen Nationalspielers Mesut Özil, inzwischen selbst Träger eines Graue-Wölfe-Tattoos, zum Viertelfinale nach Berlin, wo Tausende Fans auf den Tribünen während der türkischen Nationalhymne den Wolfsgruß und andere fragwürdige Symbole zeigten.