Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern

Warten bis zum Tod

Trotz Rechtssicherheit müssen viele ehemalige NS-Zwangsarbeiter wohl noch Jahre auf Entschädigung warten - wenn das Geld überhaupt bei ihnen ankommt.

Eigentlich dürfte der Auszahlung der Entschädigung an die ehemaligen NS-Zwangsarbeiter nichts mehr im Weg stehen, nachdem der Bundestag nun die Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen festgestellt hat. Aber weit gefehlt, viele der Betroffenen müssen wohl noch Monate oder Jahre warten. Nur in Tschechien und Polen ist es realistisch, dass die Mehrheit der ehemaligen Zwangsarbeiter binnen weniger Wochen das Geld erhalten wird - allerdings nur die erste Rate; der Rest soll erst im kommenden Jahr folgen.

Die tschechischen und polnischen Partnerorganisation der deutschen Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft seien die einzigen, die die Auszahlung der Gelder hinreichend vorbereitet haben, erklärt Maria Raabe vom Internationalen Suchdienst des Roten Kreuzes in Bad Arolsen. Nur diese hätten »den Service unserer Organisation, Belege über die erlittene Zwangsarbeit zu ermitteln, im großen Umfang angewendet«. Kai Hennig von der Bundesstiftung erwartet in den beiden Ländern schon deshalb keine organisatorischen Schwierigkeiten, »weil die Leute dort in der Regel ein Bankkonto« hätten, was »in den GUS-Staaten in der Regel nicht der Fall« sei. Viele der dort lebenden ehemaligen Zwangsarbeiter können keine der geforderten Nachweise über ihre Zwangsarbeit vorlegen und deshalb ihren Anspruch auf Entschädigung nicht geltend machen.

Offiziellen Schätzungen zufolge leben noch 1,8 Millionen ehemalige NS-Zwangsarbeiter. Bis zu 15 000 Mark bekommt eine Person, die in einem Konzentrationslager oder einem ähnlichen Lager zur Arbeit gezwungen wurde. Wer Zwangsarbeit in der Industrie leistete, kann bis 4 500 Mark erhalten, wer in Privathaushalten oder in der Landwirtschaft zwangsverpflichtet war, bis 1 500 Mark.

Das heißt, es kann auch weniger sein. So überweist die deutsche Bundesstiftung Pauschalbeträge an Partnerstiftungen in den Heerkunftsländern der Zwangsarbeiter oder an internationale Organisationen wie die Jewish Claims Conference oder die International Organisation for Migration. Diese und nicht die deutsche Bundesstiftung müssen die Anträge entgegennehmen, sie prüfen und dann die Gelder auszahlen. Wenn die Summe nicht für alle reicht, sind die Organisationen gezwungen, die einzelnen Beträge zu senken. Außerdem werden frühere Entschädigungsleistungen, oft nur einige hundert Mark, auf die ohnehin niedrigen Beträge angerechnet.

Für die Ukraine etwa beträgt die Pauschale 1,7 Milliarden Mark für rund 600 000 Anspruchsberechtigte. Die Stiftung scheint damit zu rechnen, dass gerade für die so genannten Ostarbeiter aus der früheren Sowjetunion die Dokumentenbeschaffung eine oft unüberwindliche Hürde ist. Viele von ihnen haben die erforderlichen Papiere nach 1945 vernichtet, um nicht als »Nazi-Kollaborateure« zu gelten.

Marina Schubarth ist 35 Jahre alt, lebt in Berlin und hat schon vielen ukrainischen Zwangsarbeitern geholfen, Nachweise über ihre Zwangsarbeit aus deutschen Archiven zu besorgen. Vor drei Jahren drehte die deutsch-ukrainische Tänzerin mit einem Filmteam in der Ukraine, drei Autostunden von Kiew entfernt. Da zupfte sie eine alte Frau am Ärmel. Sie komme doch aus Deutschland, sagte die Frau. Ob sie ihr nicht ein Dokument besorgen könne über ihre Lagerhaft in Ravensbrück.

Die Ukrainerin hatte schon Monate vorher Geld aus Deutschland beantragt, aus einem symbolischen Fonds, den die Regierung Kohl im Rahmen der Zwei-plus-vier-Verhandlungen für Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion eingerichtet hatte. 640 Mark hätten der Ukrainerin für drei Jahre Ravensbrück damals zugestanden. Aber ohne Dokument war sie leer ausgegangen.

Marina Schubarth fuhr nach Ravensbrück. »Die Mitarbeiter dort waren freundlich und stellten mir schnell und unkompliziert die Haftbescheinigung aus.« Seither erhielt sie immer wieder Briefe aus der Ukraine mit der Bitte um Hilfe.

Die Leidensstätten der Ukrainer zu finden, ist für die junge Frau, die über keine historische Ausbildung verfügt, oft eine Puzzlearbeit. Sie lernte »Gameln« als »Hameln« oder »Berenbelsen« als »Bergen-Belsen« zu entschlüsseln. Manchmal konnten sich die alten Leute nur an Teile des Ortsnamens erinnern. Da blätterte Schubarth in Bibliotheken in alten Landkarten, deren Kauf sie sich von ihrer Arbeitslosenhilfe und von Filmhonoraren nicht leisten kann.

So schaffte die Berlinerin, die ehrenamtlich schon mehr als 500 Menschen rechtlich unterstützt hat, das, wozu die Nationale Stiftung der Ukraine bisher nicht in der Lage war. Nach dem Gesetz ist diese Stiftung zwar verpflichtet, den Antragstellern über den Internationalen Suchdienst des Roten Kreuzes bei der Beschaffung ihrer Dokumente zu helfen. Doch aus der Ukraine und aus Russland, den Ländern mit den höchsten Zwangsarbeiterzahlen, sind bisher kaum Suchanfragen eingegangen. Die wenigen Prüflisten aus den GUS-Staaten sind zudem häufig in kyrillischer Schrift verfasst; sie sind nicht EDV-lesbar, was die Suche zusätzlich erschwert.

Aber auch Marina Schubarth musste in vielen Fällen, in denen sie um Hilfe bei der Dokumentenbeschaffung gebeten wurde, schon resignieren. Etwa dann, wenn eine Firma behauptete, bei ihr hätte es keine Zwangsarbeiter gegeben. Dass Unternehmen ihre Archive öffnen müssen, ist im Stiftungsgesetz nicht eindeutig formuliert. Besonders berührt sie das Schicksal einer Gruppe von Männern und Frauen, die ihre Kindheit im Vernichtungslager Krasnij auf der Krim verbringen mussten. Die ukrainische Nationalstiftung hat ihnen ihre Anträge auf Entschädigung nicht abgenommen, weil Dokumente über das Lager nicht mehr existieren.

»Die ehemaligen Lagerinsassen haben mir erzählt, wie ihre Mitgefangenen vernichtet wurden. Im Winter mussten sie im Freien stehen, bis sie erfroren waren, und im Sommer wurden sie bei lebendigen Leibe im Feuer verbrannt.« Falls bis zum 11. August niemand ihren Antrag entgegennimmt, verfallen die Ansprüche. Denn dann endet die Antragsfrist, sofern der Bundestag das Gesetz nicht ändert.

Unklar ist auch das Schicksal jener Zwangsarbeiter, die 1941, unmittelbar nach dem Einmarsch der Wehrmacht in die Sowjetunion, »freiwillig« zur Arbeit nach Deutschland gingen, oft mit dem Versprechen auf größere Essensrationen. Nach dem deutschen Stiftungsgesetz haben diese Menschen keinen Anspruch auf Entschädigung, denn streng juristisch gesehen, so wird argumentiert, seien sie nicht verschleppt worden.