Postmoderne Theorie im Internet

Adorno schlägt bell hooks

Auf der Website des britischen Medienwissenschaftlers David Gauntlett wird die postmoderne Theorie handlich gemacht.

Was haben Darth Vader und Michel Foucault gemeinsam? Beider Lebenswerk gilt den unterschiedlichen Formen der Macht. Während der französische Starphilosoph deren Mikrophysik erkundete, widmete sich der »Star Wars«-Superschurke ausgiebig ihrer dunklen Seite. Jetzt haben Vader und Foucault noch eine weitere Gemeinsamkeit: Als liebevoll gestaltete, voll bewegliche Spielzeugfiguren gehören sie in jede gut sortierte Puppenkiste.

Zu besichtigen ist die gut fünfzehn Zentimeter große Foucault-Action-Figure in Talar und mit Zeigestock auf der Internetseite www.theory. org.uk. Mit diesem Online-only-Angebot scheinen endlich die Wunschträume eines jeden Sammlers von Mattel-Merchandise und Merve-Bänden in Erfüllung zu gehen. Allerdings ist die Foucault-Action-Figure nur virtuell und wird es auch bleiben - that's edutainment.

www.theory.org.uk wird von dem britischen Kommunikationswissenschaftler David Gauntlett betrieben und bietet neben solchen Gadgets zahlreiche Links zu Gender- und Medientheorie-Seiten. Die Idee der Seite ist es, Sozialwissenschaften so darzustellen, dass sie auch für die Fans der Populärkultur interessant sind. Große Theorieentwürfe werden in eine allgemein verständliche Alltagssprache übersetzt und ziemlich respektlos kommentiert. Allerdings ist das who is who der Theorie-Ikonen höchst unvollständig. Adorno, Foucault, Butler, bell hooks und Anthony Giddens sind die Stars, um die sich die Debatten drehen. Mal geht es um Mangas, mal um die Propaganda der rechtsradikalen Moral Majority, die in den Teletubbies eine Gefahr für die Heterosexualität entdeckt haben will.

Das Beste, was diese Website zu bieten hat, ist allerdings ein Karten-Set: Theoretiker und wissenschaftliche Konzepte auf Sammelkarten, in Farbe und nach Download ausdruckbar. Wer die Auseinandersetzung mit den Denkschulen der letzten Jahrzehnte sucht, kann sich im Kartenspiel diskursive Gefechte liefern. Das handliche Set eignet sich für Zugfahrten und langweilige Seminare. Die Postmoderne, so erfährt man auf der entsprechenden Karte, ist ein umstrittenes und vielleicht gar nicht so neues Konzept. Allerdings seien die Aussagen der Postmodernen gleichermaßen zutreffend wie schwer zu kritisieren.

Adorno, so heißt es auf seiner Karte, wirke zwar elitär, was aber noch lange nicht bedeutete, dass er sich im Unrecht befindet. Und was macht die Psychoanalyse? Sie »wird auf grausame Weise von einfallslosen Filmtheoretikern und anderen missbraucht, die eine stupide Lesart auf die Popkultur anwenden«.

Das Kartenspiel funktioniert ähnlich wie die Pokémon-Kampfkarten. Auf jeder Karte werden die »Schwächen«, »Stärken« und »Spezialitäten« der Person oder Denkschule vermerkt. Mit diesen Wertungen werden die Spieler in den Diskurs geschickt. So schlägt Foucaults »realistisches und innovatives Modell von Macht« die Psychologie, der eine »hohe Widerstandsfähigkeit gegen postmodernen Selbstzweifel« attestiert wird. Selbstvertrauen ist schön und gut, aber was ist das für ein sozialer Gewinn? Judith Butler verliert wegen ihres »unverständlichen Schreibstils« gegen Anthony Giddens, den Haussoziologen von Tony Blair. Man kann Adorno, der »keinerlei Verständnis für die Vorlieben der Masse« hegte, gegen bell hooks ausspielen, weil die es »wagte«, Madonna zu kritisieren«.

Die Sammelkarten wurden begeistert aufgenommen. Nicht nur amerikanische und australische Zeitungen widmeten ihnen Berichte. Theoriefreaks aus der ganzen vernetzten Welt beschreiben im Gästebuch der Seite ihre Erfahrungen mit dem Kartenspiel. Eine neuseeländische Studentin teilte mit, sie habe mit dem »praktischen Wissen für die Hosentasche« ihr Butler-Referat bestritten. Allerdings gibt es auch Kritik. Eine Soziologieprofessorin aus Warschau bemängelte, die Karten seien zu unsystematisch konzipiert und böten zu viele Informationen, was einen organischen Spielablauf verhindere.

Neben den Theorie-Afficionados aus aller Welt wurde auch die Firma Topps auf das Spiel aufmerksam. Zeitweise waren Gerüchte im Umlauf, die Firma, die auch die »X-Men«-Karten herstellt, plane in Zusammenarbeit mit der École Normale Supérieure - der Uni, an der Foucault lehrte - eine französische Version der Karten auf den Markt zu bringen. Doch bevor es zum Jäger- und Sammler-Hype und zu Versteigerungen exorbitant teurer Jacques Derrida-Karten bei ebay kommen konnte, wurde die Serie nach zwölf Karten beendet.

Zuvor jedoch bekamen die Fans der Seite noch die Möglichkeit, die Trading-Card zu bewerten. Der Online-Poll geriet aber zu einer Abstimmung über die Beliebtheit einzelner Theoretiker, die Gestaltung der Karten spielte kaum eine Rolle. Es gewann, wie zu erwarten war, Foucault mit fast einem Viertel der Stimmen (23 Prozent) vor Judith Butler, die 17 Prozent erreichte. Insgesamt setzten sich postmoderne Theorien gegenüber soziologischen Ansätzen durch. Die große Ausnahme: Adorno. Er konnte zehn Prozent der Stimmen auf sich vereinen und kam auf einen respektablen fünften Platz. Damit liegt er vor Anthony Giddens.

Giddens ist neben dem Foucault-Ken die bisher einzige virtuelle Philosophenpuppe. Dabei wären noch ganz andere Action-Figures denkbar, vielleicht sogar im Doppelpack: Das dynamische Duo Adorno und Horkheimer zum Beispiel als »Negative Dialektik-Playset für Einsteiger«, inklusive kulturindustriellem Überbau zum Selberbasteln. Die Welt wartet auf Homer Simpson und Jacques Derrida im Grandmasters of Deconstruction-Set, ausgestattet mit Duff-Beer-Dose und im Dunkeln leuchtender Marx-Gespensterfigur.