Albanien vor den Parlamentswahlen

Arbeit für Albanien

Vor den Parlamentswahlen setzen die beiden größten albanischen Parteien auf neoliberale Reformen.

Kurz vor den Parlamentswahlen am Sonntag in Albanien gibt sich Sali Berisha ungewöhnlich moderat. In einem Interview mit der französischen Zeitschrift Courrier International antwortete der Vorsitzende der nationalkonservativen Demokratischen Partei (DP) Ende Mai auf die Frage, wie er sich die politische Zukunft des Kosovo vorstelle: »Nein zum Paternalismus, ja zu einer strategischen Partnerschaft zwischen Tirana und dem Kosovo.« Er wünsche sich vor allem eine Lösung der Pristina-Frage. Schließlich werde die Stadt von den zwei Millionen Kosovo-Albanern als Hauptstadt angesehen. Was der zwischen 1992 und 1997 als Staatsoberhaupt amtierende Berisha damit gemeint haben könnte, fragte sich offenbar auch Courrier International und betitelte das Interview: »Haben Sie ðGroßalbanienÐ gesagt?«

Immerhin war der überzeugte Antikommunist bisher für die Unterstützung großalbanischer Ambitionen bekannt. Einige Jahre spielte Albanien für die Milizen der Kosovo-Befreiungsarmee UCK eine zentrale Rolle. Und umgekehrt: Im März 1997 kam es in Albanien infolge der Zahlungsunfähigkeit einiger Investmentfirmen mit staatlicher Beteiligung, die Hunderttausende um ihre Erparnisse brachte, zu Aufständen. Um sie niederzuschlagen, bediente sich Berisha nationalistischer Milizionäre, von denen viele aus dem Kosovo und aus Mazedonien kamen.

Im Juni 1997 wurden unter dem Druck von Beobachtern von EU und OSZE Neuwahlen durchgeführt. Zwar gewann die sozialistische Partei (PS), die Nachfolgerin von Enver Hoxhas Partei der Arbeit, und der unter Berisha verfolgte PS-Chef Fatos Nano wurde Premierminister. Aber Berisha gab nicht auf. Im September 1998 versuchte er zu putschen. Auch damals fand er die Untertützung der UCK-Kämpfer. Als der geplante Staatsstreich misslang, zogen sich die Milizen in den Norden des Landes, die traditionelle Hochburg des Berisha-Clans, zurück.Nordalbanien wurde auch zum militärischen Rückzugsgebiet für die UCK, als sie ihre Offensiven im benachbarten Kosovo verstärkte.

Der Schriftsteller Fatos Lubonda, der heute zu den wenigen linken Intellektuellen in Tirana zählt, ist der Meinung, dass die so genannte panalbanische Frage bei den bevorstehenden Wahlen nicht im Vordergrund stehe. Zwar herrsche in der albanischen Öffentlichkeit noch immer ein latenter Nationalismus. Die sozialen Probleme seien aber so gravierend, dass sie die nationalistischen Parolen vorerst in den Hintergrund drängten. Tatsächlich gilt Albanien nach wie vor als Armenhaus Europas. Schon seit langem übertreffen die Geldüberweisungen von Hunderttausenden im Ausland arbeitenden Albanern die Erlöse aus dem Außenhandel um mehr als das Dreifache.

Allerdings hat die Entwicklung der gesamten Region während des letzten Jahrzehnts gezeigt, dass nationalistische und ethnisch motivierte Propaganda gerade dort, wo soziale und ökonomische Krisen am heftigsten sind, auf fruchtbaren Boden fällt. Deshalb scheint für die Behauptung Lubondas, die panalbanische Frage sei im Vorfeld der Wahlen sekundär, gewichtiger zu sein, dass der aktuelle Konflikt in Mazedonien von der Bevölkerung Albaniens anders beurteilt wird als der Krieg im Kosovo.

»Den Kampf der Albaner im Kosovo hielten die Leute für legitim«, meint der in Frankreich und Spanien erfolgreiche albanische Autor Bashkim Shehu, da die Albaner dort »ihrer Meinung nach von Milosevic unterdrückt wurden. Doch die Angriffe der Nationalen Befreiungsarmee UCK in Mazedonien können sie nicht verstehen.« Immerhin seien in Mazedonien die Parteien der albanischen Minderheit an der Regierung beteiligt. Eine Erweiterung der Rechte der albanischen Minderheit wird nach Einschätzung Shehus zwar befürwortet, den bewaffneten Kampf aber lehne die Bevölkerung Albaniens mehrheitlich ab.

Wohl auch deshalb forderte Staatspräsident Rexhep Meidani die mazedonisch-albanischen Separatisten am Wochenende auf, sich aus dem strategisch wichtigen Ort Aracinovo nahe der mazedonischen Hauptstadt Skopje zurückzuziehenn.

Die UCK in Mazedonien dagegen hält zwar an ihren großalbanischen Träumen fest. Als reelle Option besteht inzwischen jedoch nur noch ein Groß-Kosovo, auf das die Kommandostruktur der UCK zusteuert. Bevor man sich dem zuwendet, was im Kosovo verächtlich als das »arme und zurückgebliebene Mutterland Albanien« betrachtet wird, soll sich das Reich der UCK-Warlords auf das Kosovo, das Presevo-Tal und Nordmazedonien beschränken.

Im Wahlkampf, der einem Zweikampf zwischen den langjährigen Kontrahenten, dem PS-Chef Nano und Berisha, gleicht, haben sich alle Parteien überaus westlich präsentiert. Auch die Programme ähneln einander. Man setzt auf die Liberalisierung des Marktes und die Annäherung an die EU und die Nato. Die Sozialistische Partei mit dem seit Oktober 1999 regierenden Premier Illir Meta an der Spitze verspricht zwar im Falle eines Wahlsiegs, bis 2005 die Armut und die Arbeitslosigkeit abzuschaffen sowie die Hyperinflation, die zeitweise über 300 Prozent betrug, auf zwei bis vier Prozent zu senken. Darüber hinaus wollen die Sozialisten aber vor allem die Steuern für Unternehmer herabsetzen. Auch Berishas DP verspricht, die Armut mit einem weit reichenden, klassisch neoliberalen Programm zu beseitigen. Die Banken, die Telefongesellschaft sowie der Energie- und Bergbausektor sollen vollständig privatisiert werden.

Auf ihrem Balkangipfel Ende November vergangenen Jahres in Zagreb stellte die EU Albanien und den ehemaligen jugoslawischen Republiken eine Unterstützung von insgesamt 4,65 Milliarden Euro in den kommenden sechs Jahren in Aussicht. Die Sozialistische Partei träumt nun sogar von einem Assoziationsvertrag mit der EU, während Berisha vor allem ein rascher Beitritt zur Nato vorschwebt.

Verlässliche Prognosen über den Wahlausgang gibt es nicht, ein erneuter Sieg der Sozialisten gilt jedoch als wahrscheinlich. Allerdings könnte Berisha durch den Wahlsieg des rechten Hauses der Freiheiten in Italien begünstigt werden. Silvio Berlusconi und sein neuer Vize, Gianfranco Fini von der postfaschistischen Alleanza Nazionale, sprangen Berisha bereits während der Aufstände im Frühjahr 1997 zur Seite. Seit seiner Niederlage gegen Nano warf Berisha seinem Intimfeind zwar ein allzu unterwürfiges Auftreten gegenüber Italien vor. Doch nun liebäugelt er selbst offen mit der neuen rechten Regierung in Rom, obwohl Fini wie auch der an der Regierung beteiligte Vorsitzende der rassistischen Lega Nord, Umberto Bossi, in den letzten Jahren mehrfach Kampagnen gegen die albanischen Einwanderer führten und die Einstellung der finanziellen Hilfe für Tirana forderten.