Atomkonsens zwischen Regierung und Energiekonzernen

Das Ende der Blockade

Der zwischen der Regierung und der Atomindustrie ausgehandelte Atomkonsens orientiert sich an den Bedürfnissen der Energiekonzerne. Von einem Ausstieg kann nicht die Rede sein.

jochen stay

Trittin strahlt. Nach dreijährigen Verhandlungen zwischen der Stromindustrie und der Bundesregierung konnte der grüne Bundesumweltministers den Atomkonsensvertrag endlich als seinen Erfolg verbuchen. Alle Beteiligten hatten einen weiten Weg hinter sich gebracht, als die Vereinbarung zur weiteren Nutzung der Atomenergie in Deutschland am Montag der vergangenen Woche von den Chefs der vier großen Energiekonzerne abgesegnet wurde.

Bereits 1992 hatten der damalige niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder und sein energiepolitischer Berater Werner Müller, der heutige Wirtschaftsminister, die ersten Konsensgespräche mit den Strommanagern begonnen. Mehrmals scheiterte der große Deal, und Schröder musste erst Kanzler werden und die Grünen mit ins Boot nehmen, um schließlich eine Einigung auszuhandeln.

Die rot-grüne Bundesregierung war eigentlich mit dem Versprechen angetreten, den Ausstieg aus der Atomenergie zu organisieren. Die Rahmenbedingungen dafür waren zum damaligen Zeitpunkt so günstig wie selten zuvor. Die AKW-Betreiber hatten kurz vor der Bundestagswahl 1998 durch den Skandal um die jahrzehntelang verschwiegene Kontamination der Castor-Behälter jegliches Renommee eingebüßt. Außerdem mussten sie sich nach dem noch von der damaligen Umweltministerin Angela Merkel verhängten Stopp aller Atommülltransporte mit erheblichen Legitimationsproblemen herumschlagen.

Von den Ankündigungen der Regierung ist nichts übrig geblieben. Wer glaubt, dass der endgültige Ausstieg aus der Atomkraft mit dem Vertragswerk besiegelt sei, der irrt. Öffentlich wurde zwar schon während der Konsensgespräche betont, dass die Energiewirtschaft das Primat der Politik anerkennen müsse. Doch schnell war deutlich geworden, dass sich die Bundesregierung vor allem an den ökonomischen Interessen der Atomindustrie orientiert.

Mit der nun ausgehandelten Vereinbarung sind die Konzerne mehr als zufrieden. »Die Bundesregierung hat uns den ungestörten Betrieb und die Entsorgung unserer Kraftwerke auf lange Sicht zugesichert«, frohlockte Gert Maichel, Vorstandsvorsitzender der RWE Power AG und Präsident des Deutschen Atomforums, nach der Unterzeichnung des Vertrages. »Für die Branche bedeutet dies zunächst einmal das Ende unkalkulierbarer und großer wirtschaftlicher Risiken.«

Faktisch hat Rot-Grün eine einseitige Friedenspflicht anerkannt. So wird es etwa jene Praxis, die in den neunziger Jahren in manchen Bundesländern als so genannter ausstiegsorientierter Gesetzesvollzug praktiziert wurde, künftig nicht mehr geben. Oft konnten durch eine relativ enge Auslegung der Sicherheitsbestimmungen immer wieder Anlagen zumindest kurzfristig stillgelegt werden. Auch die fehlenden Entsorgungsnachweise für den Atommüll werden der Atomwirtschaft keine Probleme mehr bereiten. Bundesumweltminister Jürgen Trittin hat schon in den letzten Monaten bewiesen, dass er notfalls auch bereit ist, gegen geltende Bestimmungen zu verstoßen, um die Reaktoren vor der Atommüllverstopfung zu bewahren. So zwang er das Land Baden-Württemberg Anfang des Jahres per bundesaufsichtlicher Weisung, die von geltenden Gesetzen kaum gedeckte Lagerung von Castor-Behältern auf dem Gelände des AKW Neckarwestheim zuzulassen.

Aber auch die vertraglich vereinbarte Restlaufzeit für AKW können die Atombosse als Erfolg verbuchen. Denn sie reicht an das technische und ökonomische Ende der Reaktoren heran. »Die Reststrommengen, die wir vereinbart haben, entsprechen ziemlich genau der Strommenge, die bis heute in allen deutschen Kernkraftwerken zusammen erzeugt wurde«, sagt Gert Maichel, »somit ist der Ausstieg noch weit entfernt. Es wurde allenfalls zur Halbzeit gepfiffen.«

Atomkraftwerke dürfen durchschnittlich 35 Jahre am Netz bleiben. Wenn alte, unrentable Anlagen abgeschaltet werden, darf deren Reststrommenge auf andere, profitablere Reaktoren übertragen werden. So ist ein Weiterbetrieb der neueren Reaktoren über das Jahr 2030 hinaus möglich. Die Verträge mit den Betreibern von Wiederaufarbeitungsanlagen (WAA) im Ausland werden erfüllt. Bis 2005 soll es noch 400 Transporte nach La Hague und Sellafield geben. Danach ist geplant, den Atommüll in riesigen Lagerhallen direkt bei den Kraftwerken zu lagern. Ein Endlager soll es zwar auch künftig nicht geben, aber nach Gorleben soll weiterhin hoch radioaktiver Abfall aus den WAA geschafft werden.

Für die Industrie ist das letzte Wort in Sachen Zukunft der Atomkraft ohnehin noch nicht gesprochen. »Mit der jetzt getroffenen Vereinbarung haben wir nun viele Jahre Zeit, die Stärken dieser Energieerzeugungsart erneut unter Beweis zu stellen«, so Maichel. »Gleichzeitig haben wir nach einer langen Zeit der Blockadepolitik nun die Chance, ideologisch fundamentalistischen Positionen wirkungsvoller entgegenzutreten und für unseren Industriezweig ein normales Image zu generieren.«

Doch bevor die Energiekonzerne eine neue Sympathiekampagne starten können, muss erst noch der Konsensvertrag in ein neues Atomgesetz verwandelt werden. Bis zuletzt stritten Regierung und Industrie über Formulierungen und finanzielle Details der Atomgesetznovelle. Die Konzerne hatten nämlich ihre Zustimmung an die Bedingung geknüpft, dass sie den genauen Wortlaut des neuen Gesetzes kennen und er ihren Interessen entspricht.

So hatte etwa die juristische Abteilung des Bundesumweltministeriums in den Gesetzentwurf geschrieben, dass die Laufzeiten der AKW deshalb begrenzt werden sollen, weil der Betrieb der Reaktoren allzu große Risiken mit sich bringe. Die Betreiberfirmen befürchteten, dass Klagen von AtomkraftgegnerInnen auf sofortige Stillegung eine reelle Aussicht auf Erfolg hätten, sofern sie sich auf diesen Passus bezögen. Also musste die inkriminierte Stelle deutlich abgeschwächt werden.

Bis zum Ende des Jahres will Trittin den Gesetzentwurf in den Bundestag einbringen. Dort dürfte es zu einer Premiere kommen, denn die Abgeordneten dürfen das Gesetz nur noch abnicken, aber nicht mehr verändern. Im Konsensvertrag steht: »Über die Umsetzung der Atomgesetznovelle wird auf der Grundlage des Regierungsentwurfs zwischen den Verhandlungspartnern beraten.« Und danach muss alles so bleiben wie vereinbart. Ulrich Hartmann, der Vorstandsvorsitzende von Eon, drohte deshalb dem Bundestag: »Wenn es Änderungen zu unseren Lasten geben sollte, dann entfällt für uns die Geschäftsgrundlage.« Hartmann kann beruhigt sein. Denn es ist nicht zu erwarten, dass der Bundestag dies riskieren wird.

Von Ausstieg kann also nicht die Rede sein, auch wenn große Teile der Presse und die ehemalige Anti-Atom-Partei Bündnis 90/Die Grünen dies behaupten. Nun könnte man glauben, dass die jahrzehntelang starke außerparlamentarische Bewegung gegen die Atomkraft am Ende die Auseinandersetzung doch noch verloren hat. Doch weit gefehlt, denn es gelingt weder den Betreibern noch der Polizei, die seit April wieder rollenden Transporte zu den WAA zur Normalität werden zu lassen. Die Proteste dagegen reißen nicht ab, weder auf der deutschen noch auf der französischen Seite der Grenze. Inzwischen werden die Atommüllzüge meist auf freier Strecke gestoppt. Selbst starke Polizeiaufgebote können dagegen nichts ausrichten, und angesichts der Häufigkeit dieser Großeinsätze dürfte es zunächst Personalprobleme geben. Am Freitag wurde der nächste Transport nach Gorleben genehmigt, der im Herbst stattfinden soll.

Und in Bayern hat sich jüngst gezeigt, wie man sich selbst die wirtschaftlichen Interessen der Energiekonzerne zunutze machen kann: Der Stromriese Eon hat seinen Liefervertrag mit dem Betreiber des tschechischen AKW Temelin gekündigt, weil viele bayerische Städte angesichts der Risiken von Temelin damit gedroht haben, ihre Verträge mit dem Atomkonzern zu kündigen. Dazu sagte Ulrich Hartmann: »Wir sind dabei, Eon als Marke aufzubauen und werben auch um den Endkunden. Ob einem das gefällt oder nicht: in so einer Situation muss man auch auf Emotionen Rücksicht nehmen.«