Regierungsbildung in Italien

Das Kabinett des Doktor Berlusconi

Die neue italienische Regierung steht. Ihre populistische Seite ist mindestens ebenso stark wie ihre neoliberale.

Seine Regierung hat Silvio Berlusconi in Rekordzeit gebildet. Trotzdem beklagte er sich, dass - wie die Verfassung es nun einmal vorsieht - fast ein Monat zwischen der Wahl vom 13. Mai und der Vereidigung seines Kabinetts vergangen ist. Er kann es eben nicht abwarten, an die Arbeit zu gehen.

Sicher, sein Kabinett ähnelt weniger als das von 1994 einer Zirkustruppe. So genannte Fachleute sind berufen worden, beispielsweise der Diplomat und ehemalige Direktor der Welthandelsorganisation Renato Ruggiero als Außenminister, der in den achtziger Jahren sozialistischer Außenhandelsminister war. Daneben der Ingenieur und Besitzer eines Tunnelbauunternehmens Pietro Lunardi als Transportminister, die Topmanagerin und »eiserne Lady« Letizia Moratti als Bildungs- und Forschungsministerin, der IBM-Manager Lucio Stanca als Minister für »technologische Neuerungen« und der Stammzellenforscher und Organverpflanzer Gerolamo Sirchia als Gesundheitsminister.

Solche Leute mögen zwar parteilos sein, das Ausland beruhigen und der bürgerlichen Presse Anlass geben, befriedigt festzustellen, langsam versammle Berlusconi doch eine seriöse neue Führungsschicht. Aber es sind überzeugte Neoliberale, und es wird sich zeigen, ob sie wirklich weniger Schaden als die Berufspolitiker anrichten werden, die immerhin noch auf ihre Klientelen und Wähler Rücksicht nehmen müssen.

An Berufspolitikern fehlt es sowieso nicht, und die populistische Seite der Regierung ist mindestens ebenso stark wie die neoliberale. Um alle seine Bündnispartner und die Parteigrößen seiner Forza Italia zu befriedigen, hat auch Berlusconi trotz seiner anfänglichen Chefattitüde um die Posten feilschen müssen, die Zahl der Minister und Staatssekretäre wieder auf Rekordhöhe getrieben und sogar ein phantomartiges »Ministerium zur Verwirklichung des Regierungsprogramms« für einen seiner Getreuen, Giuseppe Pisanu, geschaffen.

Der Vorsitzende der Alleanza Nazionale (AN), Gianfranco Fini, wurde wie angekündigt Vizepremier. Eine Schlüsselposition hat wie bereits 1994 der Wirtschafts- und Finanzminister Giulio Tremonti inne, der Einnahmen wie Ausgaben des Staates kontrollieren wird. Innenminister wurde der ehemalige Christdemokrat Claudio Scajola, dessen einzige Qualifikation darin besteht, Organisationschef der Forza Italia zu sein.

Auf besondere Kritik der Opposition stieß die Ernennung des Vorsitzenden der Lega Nord, Umberto Bossi, zum Minister für die »Reform der Institutionen und die Devolution« (die geplante Kompetenzerweiterung der Regionen) und des Leghisten Roberto Castelli, von Beruf Ingenieur, zum Justizminister. Beide haben sich bislang als demonstrative Verächter der Institutionen des italienischen Gesamtstaats hervorgetan und standen deswegen schon vor Gericht. Die Nummer zwei der Lega, Roberto Maroni, darf sich als Arbeits- und Sozialminister austoben, zu dessen Betätigungsfeld auch die Immigrationspolitik gehört. Als Gegengewicht zu Bossis Autonomieplänen für Norditalien wurde der Sizilianer Enrico La Loggia (Forza Italia) zum Minister für Regionalangelegenheiten berufen.

Nicht nur die Lega bekam ihr schlechtes Wahlergebnis zu spüren, ist doch diesmal die Forza Italia in einer ungleich stärkeren Position gegenüber ihren Koalitionspartnern als 1994. Auch die Alleanza Nazionale muss sich mit dem Umwelt-, dem Landwirtschafts- und dem Kommunikationsministerium zufrieden geben. Außerdem bekam der AN-Veteran Mirko Tremaglia ein symbolisches Ministerium, das den Auslandsitalienern das schon seit vielen Jahren vorgesehene Wahlrecht verschaffen soll. Tremaglia kämpfte am Ende des Zweiten Weltkriegs für die von den Nazis eingerichtete Republik von Salò, war stets bekennender Faschist und trug immer ein schwarzes Hemd. Noch 1994 musste Berlusconi deshalb darauf verzichten, ihn zum Minister zu ernennen. Sieben Jahre später ist so etwas kein Hinderungsgrund mehr.

Nur zwei Frauen sind dabei. Und im Gegensatz zu früher, als die regionalen Gewichte innerhalb der Regierungen sorgfältig austariert wurden, existiert diesmal ein eindeutiges Übergewicht des Nordens und vor allem der Lombardei: ein anderes Zeichen der Unternehmerkultur, für welche diese Regierung steht.

Den ersten Erklärungen der Minister ist zu entnehmen, dass heikle Themen wie die Rentenreform, über die Berlusconis erste Regierung gestolpert war, und die Einschränkung des Kündigungsschutzes erst einmal ausgespart werden sollen. Die Mindestrenten sollen in Kürze sogar angehoben werden, den Gewerkschaften werden versöhnliche Signale gesendet.

Offensiv wird die Regierung eher dort werden, wo sie weniger Widerstand vermutet, z.B. in der Umwelt- und Baupolitik. Geplant sind die jahrelang von den Grünen blockierte Verdoppelung der Autobahn Bologna-Florenz, neue Linien für Hochgeschwindigkeitszüge, zahlreiche Tunnel, vor allem aber die berüchtigte Brücke über die Meerenge von Messina. Geschätzte Kosten: zehn Milliarden Mark.

Berlusconi biederte sich zunächst dem US-Präsidenten George W. Bush an, indem er dessen Weigerung, das Protokoll von Kyoto zu unterzeichnen, unterstützte; allerdings machte er schnell einen Rückzieher. Ein Ausscheren aus der EU-Politik zugunsten einer engeren Verbindung mit den USA zeichnet sich auch schon hinsichtlich des Weltraumschildes ab. Es ist bereits von einer Achse Berlusconi-Aznar-Blair die Rede. Der Ost-Erweiterung der EU will die neue Regierung nur zustimmen, wenn sie nicht den Subventionsfluss nach Süditalien mindert, dessen Verwaltung ein einträgliches Geschäft ist.

Die fast ausschließlich katholischen Privatschulen sollen auf Staatskosten kräftig gefördert, Konkurrenz und Marktprinzipien dort ebenso wie im Gesundheitswesen eingeführt werden. Die in den letzten Jahren durchgeführte bescheidene Schul- und Gesundheitsreform will Berlusconi rückgängig machen. Einer neoliberalen Kahlschlagspolitik im Sozialbereich stehen allerdings die katholische Komponente der Regierung und die weitverzweigten Korporativinteressen aller Art im Weg. Der Neoliberalismus italienischer Art wird sowieso weniger in ausdrücklichen Regelwerken oder deren ausdrücklicher Abschaffung bestehen als vielmehr im stillschweigenden Gewährenlassen.

Zu privatisieren bleibt außer dem Staatsfernsehen Rai nicht mehr viel. Aber seitdem sich seine Rückkehr zur Macht abzeichnete, zeigte sich Berlusconi daran nicht mehr sehr interessiert. Besonderen Wert legt er auf eine die Unabhängigkeit der Richter einschränkende Justizreform sowie auf Kleinigkeiten wie die Beseitigung der Strafverfolgungspflicht bei Delikten wie Bilanzfälschung. Menschlich verständlich, steht er deswegen doch derzeit vor Gericht.

Der Chef der katholischen Kleinpartei CDU, Rocco Buttiglione, erklärte sofort, das Abtreibungsgesetz ändern zu wollen. Er stößt dabei aber auf Widerstand bei einem Teil seiner Bündnispartner und bei den wenigen Frauen im Regierungslager wie Alessandra Mussolini und der neuen Ministerin für »Chancengleichheit«, der 34ährigen Stefania Prestigiacomo.

Was den so genannten Interessenkonflikt zwischen dem Unternehmer und dem Politiker Berlusconi angeht, so soll in Kürze eine Lösung vorgestellt werden, die für beide »nicht von Nachteil« ist. Darauf kann man Gift nehmen.

Berlusconis Gegner machen sich wenig Illusionen. Diese Regierung hat alle Chancen, stabil zu sein und lange an der Macht zu bleiben. Die »starken Mächte« und auch das Ausland haben diesmal ihren Segen gegeben. Und den Protesten der Mitte-Links-Opposition gegen den Extremismus haftet etwas Heuchlerisches an. Die meisten von Christdemokraten und Sozialisten gebildeten Regierungen der Vergangenheit waren auch nicht besser. Damals war zwar noch ein wenig antifaschistische Rhetorik üblich und der neofaschistische MSI aus der Regierungssphäre ausgeschlossen. Aber es gab trotzdem bis in die höchsten Regierungskreise ein geheimes Einverständnis mit der Mafia und mit der extremen Rechten.