Paulas Album »Liebe«

Demnächst scheint die Sonne wieder

Paula sind künstlich, kindlich, britisch, zart und leicht.

Paula sind schön. Ihre Sängerin Elke Brauweiler ist schöner. Ihr Gesicht könnte man in jede Werbeanzeige hineinmontieren. Nein, nicht weil es wie das einer Puppe wirkt. Es hat mehr etwas von einem Menschen. Nicht glücklich, nicht traurig. Einfach da. Und ausgeliefert. In die Welt gesetzt. Man könnte dieses Foto-Set dann nach Berlin-Prenzlauer Berg versetzen oder in den Bus nach Bahrenfeld. Das Gesicht würde nie fremd wirken in der jeweiligen Szenerie. Oder es würde überall fremd wirken. Komisch.

Genauso wie ihr Name. Elke Brauweiler. Man kann ihn rauf- und runterbuchstabieren. Er will einfach nicht passen. Oder hat man schon einmal jemanden sagen hören: Elke Brauweiler ist eine richtig coole Pop-Sängerin. Glaubt einem doch keiner. Der Name passt eher zu dem Satz: Sie kann ganz toll singen. So wie man halt im Kindergarten über Kinder spricht. Man nimmt sie nicht ernst. Und trotzdem: Die Sängerin von Paula heißt wirklich so. Und in jeder Musikzeitschrift steht der Name. Ein wirklich unpassender Name, aber heutzutage ist ja alles authentisch.

Paula sind künstlich. Sie erzählen davon, wie sie die Welt sehen. Oder wie sie sich sie vorstellen. Oder auch irgendwie beides. Und doch bleibt nicht der ranzige Nachgeschmack wie beim Genuss anderer Bands. Paula sagen nicht ständig: So wollen wir's haben. Das macht sie sehr sympathisch. Sie erzählen und erzählen und erzählen. HipHop ohne HipHop. Fast wie die fantastischen Eins Zwo. Ohne die Wirkung vorher einkalkuliert zu haben. Wie ein kleines Kind. Eben natürlich, könnte man sagen. Infantil? Nein, das nicht. Aber Paula wollen halt manchmal ganz anders sein. Anders als man sein muss. Gekünstelt. Spielerisch. Leicht.

Und doch lassen sie sich nicht in den allgemeinen Pop-Trend zur Infantilisierung von hello kitty bis rosarote Brille einordnen. Denn dafür haben Paula schon zu »viel gesehen« (»Alles liegt in deiner Hand«). Keine katzenliebhabende, vom Germanistikstudium enttäuschte Mittzwanzigerin aus dem Altbau wird sich Paulas Musik reinziehen können, ohne sich selbst in den Gedichten voller Selbstmitleid wieder zu erkennen. Paula träumen. Träume sind Schäume, weiß man hierzulande. Paula sind der Beweis dafür, dass man aus Träumen zumindest Musik machen kann. Alles ist möglich. Das zeigt nicht nur die Stimme von Elke Brauweiler, die in ihrem mädchenhaften Geträllere etwas Französisches hat, aber auch leidlich aggressiver ist, in ihrer Helle fast schon die Penetranz von Michelle hat. Nicht zufällig hieß das erste Paula-Album »Himmelfahrt«, das aktuelle »Liebe«. Man muss nur die Kraft haben, sich den Traum auszumalen und den Mut, sich nicht schon vor seinem Ende aufwecken zu lassen, wollen Paula wohl sagen.

Paula sind klug. Sie wissen schon allerhand. Das macht sie ziemlich traurig. Denn das ist nicht schön. Das ist nicht »living in a magazine« (Zoot Woman). Dabei wäre es so schön. »Wir liegen rum / Du bleibst die ganze Nacht lang hier« (»Von guten Eltern«). Es geht nicht. Er muss zur Lohnarbeit. Der Traum ist aus.

Es ist nicht so, wie die neue deutsche Literatur, der Film, die Economy, wie es heute alle versprechen: »Wir sind von guten Eltern, wir wissen, was sich ziemt, uns wird die Sonne scheinen, das haben wir verdient« (»Von guten Eltern«). Die Sonne scheint aber nicht. Nicht mal im Juni. Aber irgendwann einmal wird sie es wieder tun. Nicht nur am Tag. »Jour et nuit« (Song-Titel).

Paula mögen es glänzend. Nicht so schüchtern. Funky, aber elegant. Die Sängerin ist ein wenig Euro-Dance, ein wenig Madonna. Ein wenig Aqua-Barbie Girl, aber auch ein wenig Courtney Love-Hysterie und ein unvermeidlicher Schuss Rosenstolz. Schillernd ist die Musik allemal. Eigentlich passt die Musik gar nicht zu den Texten. Oder sie passt. Die ganze Zeit fragt man sich: Meinen sie es ernst? Nein, das können sie gar nicht ernst meinen. Deshalb kann auch die Reduzierung auf die kindliche Pose nicht ernst gemeint sein. Die Selbstüberhöhung von Musik, Text und Posing ist bei Paula wohl ihre Aufhebung. Paula eignen sich das in der Inszenierung an, was sie gerade nicht sein möchten. Wenn wir den Glamour für uns vereinnahmen, bleibt vom falschen Glamour nichts übrig, könnte wohl die Strategie lauten. Aber welcher Glamour ist der falsche?

Paula sind anders. Kein Andreas Dorau-Pathos. Kein Hamburger Schule-Seminar. Kein Sportfreunde Stiller-Rock. Keine Adidas-Trainingsanzüge wie Surrogat oder Kante. Einfach Gedanken in Musik verpackt. Vom Komponisten, Texter und Multi-Instrumentalisten Berent Intelmann, dem männlichen Teil von Paula, wenn »männlich« in diesem Kontext überhaupt ein zulässiges Adjektiv ist.

»Ich habe mich verlaufen, also bleib ich lieber stehn« (»Verlaufen«). Zu Paula kann man nicht pogen, wie zu den Sternen oder zu Tocotronic. Dafür sind Paula zu melancholisch. »Wir hängen rum, doch wenigstens zu zweit.« (»Wir hängen rum«). Vielleicht wird ihr Stil deshalb von vielen dem »Neuen Deutschen Minimalismus« zugerechnet: Synthesizer, Drumcomputer und Stimme, ab und an ein paar Streicher, fertig! Als musikalisches Vorbild gelten die Pet Shop Boys, andere dichten ihnen die Verwandtschaft zu verschiedenen NDW-Acts an. Wahrscheinlich stimmt es: Ohne NDW keine Paula, aber Pet Shop Boys wird ihnen doch mehr gerecht.

Paula sind britisch. Warum? Diese Assoziation drängt sich quasi automatisch auf. Sogar die Texte klingen englisch. Zurückhaltend, kühl, gelassen, niveauvoll, aufgeschlossen, unaggressiv, cool. Das hat was vom bedächtigen After-Eight-Genuss. Es ist ein neuer, unaufdringlicher Ton, ein betontes Understatement.

Paula: Liebe (Orbit Records; Virgin/EMI); 2001