Brothers Keepers und Kanak Attack

Die Scheiße wirklich halten

Geballte Fäuste zeigen statt Hände reichen: Brothers Keepers und Kanak Attak holen die Politik zurück in den deutschsprachigen HipHop.

Wer vor sieben Jahren behauptet hätte, er höre gerne »Deutschrap«, der wäre in der HipHop-Szene ausgelacht worden. Darüber hinaus hätte man ihn vielleicht gefragt, was er überhaupt mit diesem Begriff meine. Eine »deutsche« Version von HipHop? »Neue Deutsche Reimkultur«, wie die bürgerlichen Medien damals den Erfolg von »Die Da« feierten?

Ähnlich wie in Frankreich war HipHop in den Achtzigern in Deutschland eine Subkultur, die vor allem von Migrantenkids getragen wurde. Sowohl die Kinder türkischer oder kurdischer Einwanderer als auch viele afrodeutsche Jugendliche konnten sich mit den internationalistischen Idealen des Old School-HipHop, wie sie in den Filmen »Wild Style« und »Beat Street« zum Ausdruck kamen, identifizieren. Die kreativen, individualistisch-solidarischen Elemente der HipHop-Kultur erschienen vielen Migrantenkids, für die in der deutschen Gesellschaft weder politisch noch kulturell ein Platz vorgesehen war, wie eine Offenbarung. Hier liegt einer der Gründe für den Enthusiasmus, mit dem unzählige Rapper, Breaker, DJs und Writer auch nach dem Abflauen der großen Breakdancewelle der HipHop-Kultur die Treue hielten.

Doch während Rap in Frankreich bis heute als Sprachrohr der sozial Deklassierten funktioniert, kam es in Deutschland in den frühen Neunzigern zu einer folgenschweren Verschiebung. Das nach dem Erfolg der Fantastischen Vier erwachende Interesse der Medien orientierte sich plötzlich an einer Definition von HipHop, die mit den Idealen der Szene nichts mehr zu tun hatte. Die Forderungen nach einer »deutschen« Version von HipHop wurde laut. Begriffe wie »Deutschrap« oder »Neue Deutsche Reimkultur« wurden zur Genrebezeichnung.

So spielt das Leben: Eine Subkultur wird von der Industrie aufgesogen, bestimmte Elemente werden übernommen, andere abgestoßen; die einen haben Erfolg, die anderen nicht. Woche für Woche kommen mittlerweile neue Platten mit deutschsprachigem HipHop heraus, und jede Plattenfirma, die etwas auf sich hält, hat eine Deutschrap-Abteilung.

Was die Deutschrapper jedoch weniger interessiert als Kiffen, Schimpfwörter sagen, die anderen Rapper blöd finden und die ewigen Themen des HipHop - Sellout, Underground, Style, Battle und Party -, ist der Rassismus in diesem Land. Ereignisse wie die Ermordung von Alberto Adriano durch Neonazis im Sommer vergangenen Jahres sind kein Thema.

Adriano ist das 120. Todesopfer rechter Gewalt in Deutschland seit 1990. Er hinterlässt, wie viele andere, die von deutschen Nazis aus der fahrenden U-Bahn geworfen, durch Glastüren getreten oder schlicht und einfach totgeprügelt wurden, Familie, Verwandte und Freunde. Zwar gibt es auch im Deutschrap die reflexartige Berufung auf HipHop als eine schwarze und somit per se rebellische und antirassistische Kultur, doch ist sie nicht mehr als eine Phrase, die jedem das Recht gibt, nichts mehr sagen zu müssen über die Verhältnisse »da draußen«. Ist ja Politik, hat doch mit HipHop nichts zu tun.

Zwei Projekte versuchen nun HipHop und Politik wieder zu vereinen. Da gibt es »Dieser Song gehört uns« von Kanak Attak, ein Stück, das in diesem Monat auf 3Finger Records erschienen ist, dem HipHop-Label von Murat G. Es vereint TCA, Boulevard Bou, Aziza A, Murat G, Elena Lange von Stella und einige andere. »Logisch, dass ein normaler Mensch in Deutschland überschnappt/ wenn man sieht, wie Unterschriften gesammelt werden/ von geistigen Brandstiftern, die mit Integration werben!« (Boulevard Bou)

»Was wir reichen, sind geballte Fäuste und keine Hände«, singt Xavier Naidoo in »Adriano (Letzte Warnung)«, einem Stück, das genau ein Jahr nachdem Alberto Adriano von deutschen Neonazis ermordet wurde, bei dem Kölner HipHop-Label Nitty Gritty herauskommt. Das Projekt nennt sich Brothers Keepers und wurde von den Kölnern Adegoke Odukoya und Thomas Hürtgen ins Leben gerufen. Die Idee war, afrodeutsche HipHop-, Reggae- und Soul-Künstler zusammenzubringen und ein Statement zu rassistischer Gewalt und ihren persönlichen Erfahrungen mit Deutschland abzugeben. Es versammelt Künstler wie Afrob, Xavier Naidoo, Torch, Ebony Prince, Ono, Adé, Don Abi, Tyron Ricketts, Denyo, D-Flame, Sekou, Chima, Patrice, G.E.R.M., DJ Desue und Samy Deluxe. Alle Künstler arbeiteten unentgeltlich. Die Gewinne aus dem Release werden zur finanziellen Unterstützung von Opfern rechter Gewalt verwendet.

Die Motivationen der einzelnen Mitglieder von Brothers Keepers sind unterschiedlich. Da gibt es Tyrone Ricketts, den ehemaligen Moderator von Wordcup, der Hiphop-Sendung auf Viva, Schauspieler und Chef der afrodeutschen Modelagentur Panthertainment, dem es vor allem darum geht, »Aufmerksamkeit zu schaffen« und dafür zu sorgen, dass der Rassismus »ein Thema wird«. Da gibt es den Rapper Chima, der darauf besteht, dass es »nicht um schwarz und weiß, sondern um privilegiert und unterprivilegiert, um Wohlstand und Perspektivlosigkeit« geht. Und es gibt D-Flame, Dancehall-Toaster aus Frankfurt, der sagt, ihm gehe es darum, »den Kindern von Adriano und anderen Kraft zu geben«. Trotz aller Unterschiede versammelt Brothers Keepers auffallend viele HipHop-Aktivisten der ersten Stunde, die sich noch lebhaft an den Klimawechsel zu Beginn der neunziger Jahre erinnern können. Von Murat G, Adé, Don Abi oder D-Flame hatte man Jahre nichts gehört.

Ein Projekt wie Brothers Keepers dürfte den Deutschrap nicht unbeeindruckt lassen: Trotz des ökonomischen Erfolgs stellt sich bei seinen Protagonisten zunehmend Ernüchterung ein. Wer rappt schon gerne für 14jährige, die einem kollegial auf die Schulter klopfen und sagen, dass sie Kiffen auch für eine prima Sache halten. Trotzdem könnte der Kontrast nicht größer sein. Auf der einen Seite Leute, die dazu beitragen möchten, dass Adrianos Sohn nicht voller Angst durch dieses Land gehen muss. Auf der anderen Seite Leute, die über Doppelreime, Styles und Real-Sein diskutieren, und die es nicht interessiert, wie viele Menschen im Knast der benachbarten Kleinstadt in »Abschiebehaft schwitzen« (Samy Deluxe).

Allerdings lassen die bisherigen Reaktionen auf die Projekte Kanak Attack und Brothers Keepers eher befürchten, dass das antirassistische Engagement der migrantischen Künstler vor allem begrüßt wird, weil das Sprechen über Rassismus in diesem Land sich so auf eine family affair reduzieren lässt.

Brothers Keepers: »Adriano (Letzte Warnung)«. Nitty Gritty / WEA

Kanak Attak: »Dieser Song gehört uns«.

3 Finger Records / Efa

Hannes Loh arbeitet zur Zeit gemeinsam mit Murat Güngor an dem Buch »HipHop, Migration und die Krise des Deutschrap«, das Anfang 2002 bei Hannibal erscheint.