Bürgermeisterwahl in Los Angeles

Kein Latino für L.A.

Bei der Bürgermeisterwahl in Los Angeles scheiterte der linksliberale Kandidat Villaraigosa an einer rassistischen Kampagne.

Er wollte der erste »post-ethnische Bürgermeister« von Los Angeles werden. Und nicht der erste »Latino-Bürgermeister«, als den ihn die Massenmedien unbeirrt und ausnahmslos titulierten. Am Ende reichte es für keines von beidem. Bei der Stichwahl vorletzte Woche unterlag der 48jährige Antonio Villaraigosa mit 46,5 zu 53,5 Prozent seinem weißen Gegenkandidaten James Hahn. Beide Spitzenreiter galten als linksliberal, die konservativen Bewerber wurden bereits in der ersten Wahlrunde geschlagen.

Zu einer Kommunalwahl mit nationaler Bedeutung hatten die US-Medien den Kampf um das Rathaus von L.A. erklärt. Zu Recht. Denn am Verlauf des Wahlkampfes in der mit 3,7 Millionen Einwohnern zweitgrößten Metropole der USA lassen sich Entwicklungen ablesen, die die Stadt in den letzten 30 Jahren umgepflügt haben - und die langfristig die ganzen USA verändern werden.

Villaraigosa ist der Sohn mexikanischer Einwanderer und wuchs im bitterarmen Ostteil von Los Angeles auf. Später war er Gewerkschaftsaktivist, wurde 1994 in den Landtag von Kalifornien gewählt und brachte es bald zum Parlamentspräsidenten. Trotz seines Charismas galt er als chancenloser Außenseiter, als er vor zwei Jahren seinen Wahlkampf mit dem wohl fortschrittlichsten Programm in der Geschichte der Stadt begann: Mindestlöhne, von denen man tatsächlich leben kann (living wage), mehr Sozialwohnungen, mehr öffentliche Grünflächen, eine wirksame zivile Kontrolle über die berüchtigte Polizei.

Sein Gegner war der 50jährige James Hahn, bisher eine Art Justizsenator der Stadt. Er kommt aus einer weißen Politikerdynastie und verfolgt ähnliche Ziele wie Villaraigosa. Allerdings führte er einen scharfen Law-and-Order-Wahlkampf und montierte in seinen TV-Werbespots Villaraigosa, Crack-Pfeifchen und Straßengangs zusammen. Die Stichwahl gewann Hahn vor allem mit den Stimmen der konservativen weißen Mittelschicht in den Vorstadtbezirken des San Fernando Valley. Außerdem erhielt er sensationelle 80 Prozent der afro-amerikanischen Stimmen. Das verbindende Element dieses ungewöhnlichen Bündnisses war der Widerstand gegen den zunehmenden politischen Einfluss von Latinos.

In den vergangenen 30 Jahren hat sich der Großraum Los Angeles stark verändert. Die frühere Industriestadt verlor Zehntausende Jobs. Geblieben sind zwar Rüstungsfirmen und der Hafen, aber heute dominieren Dienstleistungen und Unterhaltungsbranche. Mit der Ökonomie hat sich die Bevölkerungsstruktur geändert: Viele Weiße - 1965 stellten sie noch 85 Prozent der Bevölkerung - verließen Los Angeles und zogen in die schier endlosen Vorstädte. Gleichzeitig kamen viele Einwanderer aus Mexiko und Zentralamerika. Die amtliche Statistik klassifiziert heute 46 Prozent der Einwohner als Latinos, 30 Prozent als Weiße und jeweils elf Prozent als Schwarze und Asiaten. Mit typischer Bescheidenheit wird L.A. deshalb bisweilen als »Hauptstadt der Dritten Welt« bezeichnet, auch wegen der krassen sozialen Unterschiede zwischen einer überwiegend weißen Oberschicht und einem überwiegend nicht weißen Dienstleistungsproletariat.

Die Stadt gilt heute als Gewerkschaftshochburg. Der Bundesverband AFL-CIO hat in den vergangenen Jahren in L.A. mehrere Millionen Dollar in die Werbung neuer Mitglieder investiert, vor allem im Dienstleistungssektor. In Branchen wie Gebäudereinigung oder Gastronomie wurden viele Belegschaften in den vergangenen zehn Jahren komplett ausgetauscht. Latinos, viele davon ohne Aufenthaltspapiere, ersetzten die alteingesessenen afro-amerikanischen Beschäftigten. Das hat auch die Gewerkschaften umgekrempelt.

Sie sind heute - abgesehen vom Militär und der katholischen Kirche - in den USA die einzigen großen Institutionen, in denen verschiedene »ethnische« Gruppen vertreten sind. Aber trotz ähnlicher Interessen führte die sozio-ökonomische Umstrukturierung auch innerhalb der Gewerkschaftsbewegung zu Konflikten. In Los Angeles dominieren heute die kämpferischen Dienstleistungsgewerkschaften mit hohem Latino- und Frauenanteil. Aus diesem Milieu stammt auch Villaraigosa, der vom AFL-CIO mehr als eine Million Dollar und mehrere tausend freiwillige Helfer für seinen Wahlkampf bekam. Dagegen wurde Hahn von vielen »alten« Gewerkschaften im öffentlichen Dienst und in der Baubranche unterstützt, in denen schwarze und weiße Mitglieder überwiegen.

Villaraigosa versuchte fast verzweifelt, sich nicht auf eine »Latino-Identität« festnageln zu lassen. Er beschränkte seine Wahlwerbung auf die englischsprachigen Fernsehkanäle und schickte besonders viele Freiwillige in die schwarzen und weißen Wohnviertel. Den Aufstieg vom armen Ghetto-Kind zum Parlamentssprecher feierte er in seiner Biografie als Verwirklichung des »American Dream«, er propagierte »Einigkeit« und »Hoffnung statt Angst« - amerikanischer geht es kaum. Doch so einfach wurde Villaraigosa nicht aus seiner Herkunft entlassen. American Patrol, eine Art Bürgerwehr, inserierte etwa: »Eine Stimme für Villaraigosa ist eine Stimme für die mexikanische Übernahme von L.A.« Und: »Wenn Villaraigosa der Bürgermeister wird, dann wird (der Gewerkschaftsvorsitzende) Miguel Contreras der König.«

Auch wenn Hahn selbst offen rassistische Töne vermied, gelang es ihm doch, ein Bündnis gegen Migration zu schmieden, bestehend aus konservativen Weißen, vielen Schwarzen und selbst einigen alt-eingesessenen Latinos. Dieselbe Koalition war schon Mitte der neunziger Jahre erfolgreich. Damals wurde in Kalifornien per Volksabstimmung die so genannte Proposition 187 beschlossen, die verschiedene Maßnahmen gegen »papierlose« Immigranten vorsah.

Dies führte aber auch zu einer Gegenbewegung, von der nun Villaraigosa profitiert hat. In den vergangenen Jahren haben sich in Kalifornien hunderttausende Einwanderer einbürgern und in die Wählerlisten eintragen lassen. Während 1993 bei der vorletzten Bürgermeisterwahl in L.A. nur knapp zehn Prozent der abgegebenen Stimmen von Latinos stammten, waren es jetzt 22 Prozent.

Die aufgeklärteren Teile des Establishments ziehen ihre Konsequenzen. So rief die Los Angeles Times in einem Kommentar zur Wahl von Villaraigosa auf: »Die Stadt hat sich verändert und wird sich weiter verändern, auch wenn die älteren Einwohner dagegen schimpfen - oder dagegen stimmen. Das alte Los Angeles kann nur hoffen, dass der Wechsel in Form eines flexiblen Kandidaten wie Villaraigosa geschieht.« Denn die Alternative dazu wäre ein Bewerber, der viel direkter »Latino-Interessen« vertritt. Selbst der bisherige Bürgermeister, der weiße Republikaner Richard Riordan, unterstützte nicht Hahn, dem er politisch näher stand, sondern Villaraigosa. Wahrscheinlich ein Kuhhandel. Denn Riordan will im kommenden Jahr bei den kalifornischen Gouverneurswahlen antreten. Und da braucht er die Stimmen der Latinos.