Der Feind steht rechts V: Rudolf Scharping

Träne im Glück

Der Feind steht rechts V. Seine Reden während des Kosovo-Krieges sind unvergessen. Und auch in Friedenszeiten lieben alle Rudolf Scharping.

Er ist ein sinnenfroher Mann, ein Spaßmacher, ein Liebhaber der Künste und der Frauen. Einmal hat Rudolf Scharping, wie er selbst gestand, an einem einzigen Abend eine ganze Flasche Rotwein ausgesoffen. Manche Parteifreunde nennen ihn den Genossen Scharfsinn. Seine geschiedene Jutta beschloss, als die Liebe starb, einen Akupunkturkursus in Peking zu besuchen, aber »ein Foto von ihm hängt noch immer in der Küche. Das bleibt da auch.« Seine jetzige Tina findet ihn »spontan und witzig«.

Was Freund Wecker von ihm hält, der Schöpfer des Musicals »Schwejk it easy«, verrät Scharpings erster Biograph, Ulrich Rosenbaum: »Der Sängerpoet Konstantin Wecker, einer seiner Freunde außerhalb des Alltagsgeschäfts, mit dem er lieber die Brahmsschen Violinsonaten in der Interpretation von Nigel Kennedy hört, als über Asylpolitik zu diskutieren, sieht ihn so: ðEin aufrichtiger Mensch mit großem kulturellen Verständnis, der genießen und witzig sein kann.Ы

Eine Probe seines Witzes gab Scharping vor Jahren bei Harald Schmidt. Er sprach von seiner Begeisterung für die Tour de France. Einmal habe er im Auto des Trainers der Telekom-Mannschaft mitfahren dürfen. Er habe im Fond gesessen, der Trainer auf dem Beifahrersitz. Neben ihm habe ein Beutel mit Nahrungsmitteln gelegen. Und da habe der Trainer zu ihm gesagt: Rudi, reich doch mal den Sack rüber! Und da habe er, Scharping, geantwortet: Welchen Sack meinst du denn?

Seine Tränensäcke machte er später zu gefährlichen Waffen. Als die Nato ihren Krieg gegen Jugoslawien begann, wuchs Scharping, den Lafontaine vom Stuhl des Parteivorsitzenden gerempelt hatte und der nach dem rot-grünen Wahlsieg von Schröder ins Verteidigungsministerium abgeschoben worden war, über seine bescheidenen demagogischen Möglichkeiten hinaus.

»Für einen normalen Menschenkopf«, sagte Scharping auf einer seiner Pressekonferenzen, sei es »extrem schwierig, noch auszuhalten, was es an Schilderungen über die Gräueltaten serbischer Einheiten im Kosovo gibt«.

Wer aber noch mit seinem Kopf dachte, musste schon damals am Völkermord und am Hufeisenplan, an serbischen Konzentrationslagern und an Selektionen zweifeln. »Die männliche Bevölkerung, soweit sie nicht jünger ist als 16 Jahre oder älter als 60, wird von der übrigen Bevölkerung getrennt, interniert, zum Teil sofort umgebracht.«

Scharping kolportierte Berichte über serbische Mörderbanden, die mit den Schädeln ihrer Opfer Fußball spielten und ungeborene Kinder grillten, nachdem sie sie aus den Leibern ihrer toten Mütter herausgeschnitten hatten. Zu bezweifeln war insbesondere die »systematische Ausrottung, die in schrecklicher Weise an das erinnert, was am Beginn und während des Zweiten Weltkrieges auch in deutschem Namen angerichtet worden ist, zum Beispiel in Polen«.

Als der Krieg vorüber war und die Lügen seines Propagandaministeriums nach und nach widerlegt wurden, ließ Scharping sein Menschenherz sprechen. Es gebe »viele Einzelheiten, die man hinterfragen muss, aber das große Grauen, das wird dann ausgeblendet«. Und er selbst hat es schließlich erlebt, er selbst hat im Kosovo ein Haus besucht, in dem »alles schwarz verbrannt« war, und aus »einer schwarzen Masse« ragten Skelette.

Die Nato hat diesen Krieg gewonnen, ihr Bankrott war bloß ein moralischer. Deshalb standen Scharping und Seinesgleichen nicht wie die Panzerstrategen und Volkssturmkommandeure am Ende des Zweiten Weltkriegs vor einem Tribunal, sie brauchten nicht einmal wie die von Karl Kraus beschriebenen vazierenden Löwen am Ende des Ersten eine Möbelwerkstatt oder einen Tabakladen zu eröffnen.

Im Gegenteil: »Selbst Gegner der am 24. März 1999 gestarteten Nato-Luftangriffe gegen die Bundesrepublik Jugoslawien zollten dem bedächtig und dennoch entschieden handelnden Sch., dem die Last der Verantwortung bei seinem Auftritten vor den Medien anzusehen war, größten Respekt. Beachtung fand in der Presse, dass Sch. keinen Zweifel über die Legitimität der Nato-Luftangriffe aufkommen ließ und frühzeitig auf die Menschenrechtsverletzungen und Massenmorde im Kosovogebiet hinwies.« So zollt auch das Munzinger-Archiv, das ganze sechs Zeilen des Scharping betreffenden sechsseitigen Artikels dem Kosovo-Krieg widmet, größten Respekt.

Im Herbst 1999, als Schröders Werte im Politbarometer sanken, galt Scharping, der seine Führungskraft in schwerer Zeit bewiesen hatte, zumindest dem stern als kommender Bundeskanzler. Daraus wurde nichts, und so muss er auch heute noch den ungeliebten Job machen und dafür sorgen, dass seine Generäle immer das neueste und teuerste Spielzeug haben. Parlamentarier, die ihm entgegneten, auch die Bundeswehr müsse sparen, nannte er »außenpolitische Pygmäen« mit einer Geistesverfassung »an der Grenze zur Sonderschule«.

Als er einmal die Schmach beklagte, dass die Bundeswehr keine geeigneten Transportflugzeuge besitze, um Mannschaften und Material in entlegene Krisengebiete zu schaffen, da meinte der grüne Haushaltspolitiker Oswald Metzger, das Ministerium könne ja gegebenenfalls bei der Lufthansa buchen. Wenn wir also demnächst in den Military Lounges deutscher Flughäfen übel gelaunte Bundeswehrsoldaten sitzen sehen, die auf ihren Last-Minute-Flug nach Mazedonien warten, dann hat Rudolf Scharping versagt.

Dass er trotz allem nicht als Kriegsheld und als Retter der Menschlichkeit in die Geschichte eingehen wird, sondern als »Sexbomber der Nation«, wie ihn die Münchner Abendzeitung nannte, verdankt Scharping dem späten Glück mit der Gräfin Tina. »Wo Partyblitzlichtgewitter, da sind die zwei Turteltauben längst da«, beobachtete Bild. Bei Alfred Biolek sah man sie »strahlen im Glück. Vergessen schienen da erstmal die Sorgen um deutsche Soldaten, die Angst vor dem Uranschrott auf dem Balkan haben. Rudolf Scharping (neue rotbraune Brille) legte seinen Arm um ihre Schulter: ðSchön, dass ich mich noch einmal verliebt habe. Ich bin gelassener, fröhlicher. Mitarbeitern und Arbeit ist das ganz gut bekommen.Ð Die Gräfin (eine bekannte Anwältin) hat bereits seine Scheidung in die Hand genommen.« Und wer weiß, was sonst noch.