Neueröffnung des Hauses der Geschichte in Bonn

Abstellkammer der Geschichte

Das Haus der Geschichte in Bonn hat sich von mehr als der Hälfte seiner Exponate getrennt.

Sechs Monate hatte die Überarbeitung der Dauerausstellung gedauert, ehe vorige Woche Gerhard Schröder das Museum betrat. Sieben Jahre nach seiner Gründung eröffnete Gerhard Schröder im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn die revidierte Fassung der drei letzten Jahrzehnte.

Anhand von 1 200 neuen Objekten möchten die Ausstellungsmacher den Besucher nun auf 4 000 Quadratmetern »vor Irrwegen und falscher Weltsicht bewahren«, wie es Knut Nevermann, Vorsitzender des Kuratoriums, nennt. Der Neuanfang soll alte Gräben zuschütten und eine »gemeinsame historische Sicht der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts« darstellen.

Das wäre in der Tat etwas Neues, denn die eigene Geschichte - die des Hauses - ist alles andere als von Gemeinsamkeiten gezeichnet: Sie begann am 13. Oktober 1982, als Helmut Kohl in seiner ersten Regierungserklärung die Idee von einem Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland verkündete. Als erstes und bis heute einziges zeitgeschichtliches Museum in Bundeshand sollte es der »Geschichte unseres Staates und der geteilten Nation« gewidmet sein. Als Kohl das Museum 1994 eröffnete, war er zwar immer noch Kanzler, aber die Nation nicht mehr geteilt.

Während Kohl es als den »richtigen Ort, um innezuhalten und zurückzublicken« bezeichnete, bemängelten Kritiker die Überladenheit der Ausstellung mit Schautafeln und Multimediastationen. Kritisiert wurde auch die Schirmherrschaft des Bundesinnenministeriums und die enge Verquickung von Regierungs- und Ausstellungspolitik. Nicht nur die prominente Präsentation von Kohls Strickjacke, die er bei den Einheitsverhandlungen mit Michail Gorbatschow trug, nährte den Verdacht, Kohl habe sich mit dem Haus auf Staatskosten ein privates Denkmal gesetzt.

Inzwischen ist das Haus dem Bundeskanzleramt und dort dem Bundesbeauftragten für Kultur, Julian Nida-Rümelin, unterstellt. Der Versuch, die Kritik der vergangenen Jahre nun endgültig vom Tisch zu wischen, ist bei der Neueröffnung allen Beteiligten anzumerken.

Die Gerümpelkammer wurde abgelöst durch museumsdidaktisch aufbereitetes Infotainment. Museumsdirektor Hermann Schäfer nennt das »unser Grundprinzip, Geschichte narrativ und emotional ansprechend, kurz als Erlebnis zu präsentieren«. Und der Kanzler leistet in gewohnt jovialer Manier argumentativen Beistand: »Wir haben in unserem kurzen Vorgespräch darüber geredet, was Sie gelegentlich, sozusagen als leichten Vorwurf dargereicht bekommen, das hier sei doch Disneyland. Sie haben, wie ich finde, zu Recht darauf erwidert: Warum nicht? Wir sind leider nur nicht so gut wie sie. Ich würde hinzufügen: im Übrigen auch nicht so reich.«

Spannend und unterhaltend wie Disneyland soll sie sein, die Neugestaltung der deutschen Geschichtsdarstellung. Dafür orientierte man sich offensichtlich an einschlägigen Las-Vegas-Konzepten wie dem cultural windowshopping: Die ganze Familie ist zu einem interaktiven Museumsbesuch eingeladen. Damit sich niemand verläuft, gibt es ein hierarchisch gegliedertes Informationsleitsystem mit klaren Zuordnungen und sinnfälliger Ikonografie: »Die letzte in Deutschland gebaute Guillotine (1949) zum Thema Menschenrechte im Grundgesetz, ein Wasserwerfer (1968) zu den Studentenunruhen, die Hochsicherheitstür zum US-Waffenlager in Mutlangen zur Nachrüstungsdebatte (achtziger Jahre), ein Container zur Asyldebatte (neunziger Jahre), der Haftbefehl für Erich Honecker (1992) zur Schlussstrichdebatte.«

Auf der ersten Ebene geht es um Eindrücke durch Objekte. Wenn die Familie dann genauer hinsieht, findet sie die zweite Ebene: Tafeln mit kleinen Thementexten. Und irgendwo in einer Schublade, auf einem Touchscreen oder auf weiteren Texttafeln verbirgt sich die dritte Informationsebene, auf der man Hintergründiges erfahren kann.

Doch wie man es dreht und wendet, besteht die Kontinuität von Kohl zu Schröder in der vermeintlichen Objektivität der Objekte. Es ist das alte neue Konzept des Museums, Geschichte über Objekte zu vermitteln: »Wo das Objekt für sich spricht, muss ich nicht so viel gestalten«, sagt die Verantwortliche für die Ausstellungsgestaltung, Petra Winderoll. Gestaltet wird aber schon im Vorfeld: über die Auswahl der Objekte. Jedes Exponat wird so der »Erfolgsstory«, der Geschichte der Bundesrepublik, zugeordnet. Innerhalb dieses Rasters ist alles determiniert und zählbar. Die Objekte sind provisorischer Stellvertreter und zugleich Blickfang einer historischen Zwangsläufigkeit.

Gleichzeitig hält man sich den Rücken für Umdeutungen frei. Das Konzept des Museums sieht vor, die Dauerausstellung alle fünf bis sieben Jahre zu überarbeiten. Durch dieses Prinzip der turnusmäßigen Revision bleibt das Museum flexibel und kann auch auf zukünftige machtpolitische Veränderungen antworten.

Bestes Beispiel ist die neue Dauerausstellung, die Darstellung der 68er Bewegung: Unter der Lederjacke eines Mitgliedes der Frankfurter Putzgruppe informiert ein kleines Schildchen den Museumsbesucher über diesen Partikel der Historie. »Der Straßenkämpfer. Lederjackenfraktion nennt sich zunächst eine kleine Minderheit im Sozialistischen Deutschen Studentenbund. Sie fordert konkrete Aktionen statt langwieriger Theoriedebatten. Vorbild sind die Helden der Italowestern.«

Mit solch dinglich illustrierten Macho-Leitbildern kann sich heute, wenngleich vorsichtig, auch der Kanzler identifizieren: »Andere waren zwar vielleicht lauter und radikaler - aber wir Jungsozialisten waren in dieser Bewegung auch eine Menge. Für die politische Generation, die heute Verantwortung in Deutschland trägt, waren die hier beschriebenen Jahre prägend für ihre politische Sozialisation.« Kann sein, dass der ganze Plunder für den nächsten Kanzler schon wieder auf den Müllhaufen der Geschichte gehört.