Proteste gegen die Globalisierung

Bewusst wie!

Der unheimlichen Verwandtschaft von Globalisierungsgegnern, Islamisten und anderen Feinden des Finanzkapitals ist nur mit Ideologiekritik beizukommen.

Während Politik und Medien den Summer of Resistance der GlobalisierungsgegnerInnen als »Terror« (Focus) diffamieren und kriminalisieren, blicken andere verklärt auf die »neue Welle« der »Protestgenerationen von heute« (Gretchen Dutschke). Susan George, Vizepräsidentin von Attac Frankreich, mystifiziert in einer vom deutschen Attac-Ableger herausgegebenen Beilage der taz (29. Juni) eifrig den »Geist von Seattle« als »etwas Unerklärliches, von dem niemand sagen kann, wie es genau zustande kam«.

Auch für den Kritiker des Spektakels der »Event-Hopperei«, Gerhard Hanloser, ist dieses Unerklärliche »das Beste, was die Gipfelstürmer verkörpern: Eine neue Generation geht in die Offensive und löst damit die triste Neunziger-Jahre-Generation ab, deren Revolte-Ersatz die Love Parade oder kritisch-theoretischer Pessismismus sind.«

Der spektakuläre »neue Antikapitalismus« lässt sich jedoch auch als fortgesetzte Erfolgsgeschichte alter linker Irrtümer lesen, die schon länger als verkürzte Kapitalismuskritik kritisiert werden. Versatzstücke der traditonell antiimperialistischen Ideologie der Neuen Linken mit ihren antiamerikanischen Untertönen haben zur Zeit vor allem im Mainstream des linken Anti-Neoliberalismus- und Globalisierungsdiskurses ihren festen Platz.

Hier wie dort wird der hochkomplexe und abstrakte kapitalistische Vergesellschaftungszusammenhang auf einfache dichotome Gegensätze reduziert, verdinglicht und personalisiert. Bestimmte Erscheinungsformen des längst global gewordenen Kapitalismus werden - als »Neoliberalismus« etikettiert - für das Ganze genommen, und die Globalisierung wird zu einem willentlich betriebenen Projekt der Herrschenden gegen die Interessen der Ausgebeuteten gemacht.

Deshalb muss eine adäquate linke Kritik am Phänomen der Globalisierung von einer Totalität des kapitalistischen Vergesellschaftungszusammenhanges ausgehen. Das fordert zwar auch Hanloser, der im gleichen Atemzug aber gegen das »kleine Einmaleins der Wertkritiker« zu Felde zieht.

Hanlosers Kritik an den GlobalisierungsgegnerInnen schielt nach der besseren Bewegung. Damit betreibt er selbst die »Trennung von Kritik bzw. Theorie und Bewegung«, die er Stephan Grigat vorwirft. Wenn Hanloser ohne Wertkritik dagegen angehen will, dass sich »Antikapitalismus in fetischisierter Weise nur gegen einen Teilbereich der Gesellschaft richtet«, so blendet er aus, dass der von ihm gegen Grigat in Anschlag gebrachte Fetischbegriff bei Karl Marx nur als Wendung der ökonomiekritischen Analyse des Wertes zu Erkenntniskritik benutzt wurde. Den Kapitalismus kritisierte Marx als eine sich in den Bewusstseins- und Handlungsformen der Individuen ständig reproduzierende totale Vergesellschaftung. Hanlosers Vorwurf, die sehr reflektierte Wertkritik von Grigat spiele ebenso wie die Anti-Globalisierungsbewegung Teilbereiche gegeneinander aus, ist daher absurd.

Über Dichotomien führt der Weg in die affirmativen Untiefen der altbekannten linken Politikmacherei. In gesellschaftlicher Ungleichheit und Verelendungsprozessen wird vor allem ein Verteilungsproblem der als neutral begriffenen Reichtumsproduktion gesehen, dem mittels politischer Willensakte beizukommen sein muss - und nicht das Ergebnis der Notwendigkeit von Kapitalakkumulation. Auf dieser Grundlage lässt sich trefflich gegen die »entfesselten globalen Märkte« agitieren, die wieder »demokratischer Kontrolle unterworfen werden« müssten, wie in der taz-Beilage von Attac Deutschland nachzulesen ist.

Hanloser moniert zu Recht das Fehlen eines kritischen Staatsbegriffes. Der Nationalstaat wird von den GlobalisierungsgegnerInnen als potenzieller Wohlfahrts- und Sozialstaat zum positiv besetzten Gegenstück des »entfesselten« Marktes erhoben, statt beide als notwendig aufeinander angewiesene Kategorien warenkapitalistischer Vergesellschaftung zu betrachten. Bei Attac Frankreich und ihrem intellektuellen Stichwortgeber Pierre Bourdieu mag das noch, wie fragwürdig und reformistisch auch immer, auf soziale Rechte in der französischen Republik bezogen sein.

Hierzulande übersetzt es sich schnell in die spezifisch deutsche Ideologie des korporatistischen Rheinischen Kapitalismus. Die deutsche Sektion von Attac setzt dem »zeitgenössischen Manchesterkapitalismus« der »Global Players« eine Gemeinschaftsideologie entgegen, in der fast volksgemeinschaftliche Töne aufklingen.

Christroph Bautz beschwört das Bild von schwarze Koffer tragenden Kapitalanlegern, die sich auf der Suche nach Steueroasen »trotz satter Gewinne und Vermögenszuwächse vor ihrer sozialen Verantwortung drücken«. Jörg Huffschmid von der Memorandum-Gruppe Alternative Wirtschaftspolitik sekundiert, die »Liberalisierung des Kapitalverkehrs« sei die Ursache des gemeinschaftsschädlichen Übels der Armuts- und Reichtumsschere: »Der soziale Zusammenhalt wird destabilisiert, gesellschaftliche Stabilität muss durch disziplinierende und polizeiliche Maßnahmen hergestellt werden.«

Dagegen setzt der alternative Nationalökonom eine mit regressiven Wünschen nach Geborgenheit im nationalen Kollektiv durchaus kompatible Vorstellung von »den Bedürfnissen der Menschen - Vollbeschäftigung, soziale Sicherheit, Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit«.

Hinter diesem Politikfetisch und seinen nationalen Regressionen steht das Feindbild Finanzkapital, mit dem ein »Raubtierkapitalismus« assoziiert wird. Das Übel des Kapitalismus wird in der Zirkulationssphäre, also im Welthandel und dem auf den Finanzmärkten flottierenden Geldvermögen identifiziert. »Die internationalen Finanzmärkte sind zu einer Macht geworden, die zunehmend die Politik bestimmt«, klagt Attac Deutschland und lässt interne Ausbeutungs- und staatliche Herrschaftsverhältnisse in der den Finanzmärkten positiv entgegengesetzten nationalen Wirtschaft verschwinden: »Durch Finanzcrashs werden jahrelange Bemühungen ganzer Volkswirtschaften über Nacht zunichte gemacht.«

Auch der auf dem Weltsozialforum in Porto Allegre von über 200 Organisationen und Basisinitiativen verabschiedete Aufruf wettert gegen »die Vorherrschaft der Finanzmächte, die Zerstörung unserer Kulturen« durch die »neoliberale Globalisierung«, die »den Gemeinschaften und Nationen Ressourcen und Reichtum« entziehe.

Das finanzkapitalistische Böse wird an den Auslandsschulden dingfest gemacht: »Illegitim, ungerecht und betrügerisch ... berauben (sie) die Völker ihrer fundamentalen Rechte einzig und allein deswegen, um den internationalen Wucher noch mehr auszuweiten.« Die Agitation gegen den »Wucher« schließlich offenbart den strukturellen Antisemitismus, der der Unterscheidung zwischen einem angeblich auf nationalstaatlicher Ebene regulierbaren, produktiven Investitionskapital und dem unproduktiven, sich parasitär von Zinserträgen nährenden Finanzkapital zugrunde liegt.

Solche Gemeinsamkeiten der Anti-Globalisierungsbündnisse preist Attac als »pluralistisch, unideologisch, radikal und pragmatisch, basisorientiert und interventionsorientiert«. Und aus einem Bericht des Buko über ein in Mailand vom »undogmatisch linksradikale(n) Spektrum« um »Ya Basta!/ Tute bianche« ausgerichtetes europäisches Vorbereitungstreffen für die nächste Weltkonferenz des »Peoples Global Action Network« schwallt einem das Lob der Vernetzung als »Verknüpfung mit Synergiepotenzial« entgegen. Wer will sich da schon lange mit der Frage aufhalten, was die direkt dem Neusprech der New Economy entnommenen Phrase vom »Synergiepotenzial« so alles bedeuten könnte?

Angesichts solcher Vernetzungseffekte ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass auf einer Veranstaltung über die internationalen Finanzmärkte in Berlin auch Islamisten als eifrige Mitdiskutanten mit Flugblättern auftauchten, in denen sie »dem Wucher, sprich Kapitalismus, den Krieg« erklärten. Denn den kleinsten gemeinsamen Nenner der GlobalisierungsgegnerInnen - vom evangelischen Kirchentag bis zu linksrevolutionären Antiimps - bildet der Mythos Finanzkapital.

Nun gehört es zum guten linken Ton, sich von reaktionären Globalisierungsgegnern abzugrenzen, indem der Antirassismus und die grundsätzliche Ablehnung jeder Form von Herrschaft und Unterdrückung propagiert werden. Und tatsächlich gehören gemeinsame internationale Aktionen mit MigrantInnengruppen gegen Grenzregimes und die Entrechtung von Flüchtlingen zum Besten der Anti-Globalisierungsbewegung.

Dass es durchaus richtig ist, WEF, IWF, G 8 und andere Gipfel der Funktionseliten des Kapitals anzugreifen, hat Grigat zu Recht festgehalten. Aber die verblüffende Ähnlichkeit vieler Diskursfiguren verweist eben auch auf unheimliche Verwandschaften falscher antikapitalistischer Weltbilder. Diesen ist nur mit Ideologiekritik beizukommen, die angesichts der weltweiten ökonomischen Umstrukturierungsprozesse auf Wertkritik allerdings nicht verzichten sollte.

Wenn Hanloser hingegen der »simplen Kapitalismuskritik« der Anti-Globalisierungsbewegung ohne Kritik an ihren Bewusstseinsformen begegnen möchte und hofft, eine umfassende und radikale Kapitalismuskritik möge dennoch »in die Bewegung dringen«, dann nimmt sich das wie das Warten auf ein neues Pfingstwunder aus.