Berlusconi umwirbt Gegner des G 8-Gipfels

Diktatur der Freundlichkeit

Der italienische Innenminister Claudio Scajola schwitzte förmlich vor lauter Demokratie: Beim G 8-Gipfel in Genua werde zum ersten Mal in der Geschichte solcher Treffen der Protest ebenso viel »Sichtbarkeit« erhalten wie der Gipfel selbst. Der Staat werde die Proteste sogar finanziell unterstützen.

Aber gleichzeitig verfügte er entgegen früherer Versprechungen, dass die Bahnhöfe von Genua während der Gipfeltage geschlossen bleiben müssen. Bereits am vergangenen Wochenende wurde das Schenger Abkommen von der italienischen Regierung außer Kraft gesetzt. Außerdem wurden intensive Grenzkontrollen durchgeführt, um 3 000 namentlich bekannte Störenfriede von der Einreise abzuhalten.

Angesichts dieser Maßnahmen wäre es einfach, die Beteuerungen des guten Willens als reine Heuchelei zu denunzieren. Aber mit der Umarmungsstrategie, die bereits von der französischen Regierung verfolgt wurde, als sie im Januar Beobachter zum alternativen Sozialgipfel in Porto Alegre entsandte, meint es die rechte Regierungskoalition unter Silvio Berlusconi durchaus ernst.

Es geht nur scheinbar darum, die »gewalttätigen« von den »friedlichen« Demonstranten zu trennen. In Wirklichkeit will die italienische Regierung, wie auch andere Institutionen, diejenigen, die einen besseren Kapitalismus wollen, von denen scheiden, die gar keinen Kapitalismus wollen.

Berlusconi findet es »paradox«, wenn gegen eine Gipfelkonferenz protestiert wird, die seiner Meinung nach doch gerade die Probleme behandelt, die dem »popolo di Seattle« am Herzen liegen. Diesmal will man sich nicht von einem neuen '68 überraschen lassen, sondern jeder echten Kritik rechtzeitig den Wind aus den Segeln nehmen. Alle Verbesserungsvorschläge sind deshalb herzlich willkommen.

»Wir werden es verstehen, den Zusammenstoß zwischen Protestbewegungen und bestehender Macht in einen Dialog zu verwandeln, um die Menschheitsprobleme zu lösen«, erkärte Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi. Sollen doch die NGOs richten, was die Staaten nicht mehr schaffen.

Berlusconi ist stolz darauf, den Schuldenerlass für die Dritte Welt, den Kampf gegen Aids und einen Ernährungsfonds auf die Tagesordnung des Gipfelstreffens gesetzt zu haben. Aber milde Gaben für die Armen, Krankenpflege und Suppenküchen, ist das nicht die traditionelle Mission der Kirchen im Rahmen der Caritas?

Darauf läuft der Sozialfimmel hinaus, der im katholischen Italien eine besondere Tradition besitzt: keine Strukturveränderungen, keine Verleihung von Rechten, sondern Wohltätigkeit, die das paternalistische Verhältnis von Spendern und Beschenkten erst recht verewigt.

Also unterstützen in Italien auch Katholiken aller Dienstgrade den Protest. Selbst der Papst betet dafür, dass aus dem Gipfel eine neue Orientierung für die Welt hervorgeht. Dabei kommt ihm und den Seinen zugute, dass man im Italien der neunziger Jahre manchmal von Pfaffen vernünftigere Worte hören konnte als von der abgetakelten Linken. »Mitfühlenden Konservatismus« nennt man das anderswo.

Die wirklichen Gegner in dieser Diktatur der Freundlichkeit sind dann, ob sie nun Steine werfen oder nicht, diejenigen, die immer noch von der kapitalistischen Globalisierung reden, anstatt von der »Armut«, wie nun die offizielle Sprachregelung lautet. Die acht Großen sollen nun das soziale Elend beseitigen. Wie? Natürlich mit mehr Kapitalismus und mehr Globalisierung, deren heiliger Zweck schon immer die Abschaffung der Armut war.