Ein Schiff wird kommen

Wenige Tage vor dem G 8-Gipfel wächst in Italien das Verständnis für die Globalisierungskritiker.

In Genua herrscht schon seit einigen Wochen der Ausnahmezustand. Tausende von Polizisten sind seit Anfang Juli in die Stadt kommandiert worden. Regelmäßig werden Hausdurchsuchungen durchgeführt, wie etwa bei einem il manifesto-Journalisten oder bei Luca Casarini, dem Sprecher der Centri Sociali in Nordostitalien. Begründet werden sie meistens mit dem Verdacht auf Besitz von Waffen oder Sprengstoff. In solchen Fällen wird auf die richterliche Genehmigung gerne verzichtet, auch wenn sich der Verdacht bisher immer als unbegründet herausgestellt hat. Doch die Wirkung bleibt trotzdem nicht aus; die Spannung in der Stadt wächst.

In den Straßen kontrollieren Spezialeinheiten in Zivil Passanten und Autofahrer, 1 200 Untersuchungen pro Tag stehen auf dem Programm. Genovesen berichten, dass sich die vielen zugereisten Ordnungskräfte bisweilen sogar gegenseitig untersuchen. Immer wieder wurden in der letzten Wochen ganze Viertel wegen falschen Bombenalarms gesperrt. Spezialisten sprengten ein Auto mitten in der Stadt, in dem angeblich eine Bombe versteckt sein sollte.

Trotz solcher Einschüchterungsmaßnahmen scheinen die Mobilisierungen zum G 8-Gipfel ein Erfolg zu werden. Etwa 150 000 Globalisierungskritiker werden erwartet, fünfmal so viele wie beim EU-Gipfel im Juni in Göteborg. Aus Deutschland sollen 5 000 Teilnehmer kommen, vorausgesetzt, sie bleiben nicht an der Grenze hängen. Denn Italien hat - ebenso wie wenige Wochen zuvor Österreich - seit dem vergangenen Samstag das Schengener Abkommen außer Kraft gesetzt, um die Einreise ausländischer Demonstranten zu erschweren.

In Italien haben die Gruppen, die sich im Genua Social Forum (GSF) zusammengeschlossen haben, heftige Attacken der Presse erfolgreich abgewehrt. Und auch der italienischen Regierung unter dem rechten Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi ist es nicht gelungen, das GSF in gewaltlose und gewalttätige Globalisierungskritiker zu spalten. So können beispielsweise die Tute Bianche weiterhin öffentlich erklären, dass sie mit der Großdemonstration am 21. Juli in die hermetisch abgeriegelte »Rote Zone« in der Innenstadt eindringen wollen.

Tatsächlich konnte der Koordinationsrat Ende Juni bei einem Treffen mit Innenminister Claudio Scajola und Außenminister Renato Ruggiero die Regierung sogar zu einigen Zugeständnissen bewegen. Die Stadtautobahn, die während des gefährlichen Wochenendes gesperrt werden sollte, bleibt nun für jeden zugänglich. In der Umgebung der Sperrzonen, die durch eine drei Meter hohe Mauer gesichert werden, bleibt auch weiterhin das Demonstrationsverbot bestehen, doch immerhin sind politische Aktionen zur Gegeninformation erlaubt.

Zudem wird der Einsatz des Militärs eingeschränkt. Zwar werden mindestens 2 700 Soldaten in der Stadt sein, doch wie Verteidigungsminister Antonio Martini betont, ohne »überhaupt in Kontakt mit den Demonstranten zu kommen«. Das Militär soll nur noch den Seehafen und den Flughafen bewachen. Dass auch Minensucher und Experten für biochemische Waffen anwesend sein werden, zeigt, wie aufgeheizt die Stimmung ist. Martini gab zudem bekannt, dass im Hafen zwei »kleine Raketen« vom Typ Spada stationiert worden sind, um Genua »gegen einen eventuellen Luftangriff« verteidigen zu können.

Viel Vertrauen scheint die italienische Regierung jedoch in ihre Ordnungskräfte nicht zu setzen. Der Gipfel wird zwar wie geplant am 20. Juli im Palazzo Ducale in der Altstadt von Genau eröffnet. Anschließend werden die Gäste aber aus Sicherheitsgründen auf dem Kreuzfahrtschiff »European Vision« untergebracht, wo auch die meisten Gespräche stattfinden sollen. Nur die US-amerikanische Delegation wird voraussichtlich auf einem eigenen Schiff wohnen.

Die Verlegung auf einen abgeschirmten Luxusliner wird die Populärität des G 8-Gipfels in der Öffentlichkeit vermutlich nicht gerade fördern. Schließlich stößt das »popolo di Seattle« immer häufiger auch auf Verständnis. Die italienischen Tageszeitungen schwelgen zwar noch immer in Horrorfantasien davon, zu welchen Untaten die Globalisierungskritiker in der Lage sein könnten. Doch neben den Alarmmeldungen entdecken auch die bürgerlichen Medien die Probleme der Globalisierung als Thema.

Selbst konservative Zeitungen wie der Corriere della Sera schmücken sich mit Artikeln über den Hunger in der Welt. Die liberale Repubblica lässt Intellektuelle und Politiker von Ralf Dahrendorf bis Oskar Lafontaine zum Thema Globalisierung diskutieren. Etwas schizophren echauffiert sich die Tageszeitung über das destruktive Potenzial dieser Bewegung und widmet weiter hinten einen detaillierten Artikel den Demo-Vorbereitungen einer Studentengruppe aus Rom. Die Tute Bianche sind sowieso zum Liebling der Medien geworden und erklären vor Pressevertretern ihre fantasievolle Ausrüstung aus Helmen, Gummischützern, Gasmasken und natürlich weißen Anzügen.

So hat auch die Kirche in Italien ihre Chance erkannt, sich als Schützerin der Armen und Schwachen zu profilieren. Am ersten Juli-Wochenende versammelten sich 3 000 junge Katholiken in Genua, um über Armut und Schuldenerlass zu diskutieren. Aufgeschlossen zeigen sich auch einige Würdenträger wie der Mailänder Kardinal Carlo Maria Martini, der letzte Woche in einem Interview sagte, er »hoffe, dass die G 8 nicht die Bedürfnisse derjenigen vergessen, die am meisten leiden, jener Völker also, die an Hunger und Krankheiten leiden. Es ist nötig, dass die Menschen solidarischer untereinander werden.«

Und selbst der Papst appellierte an die G 8, den »Schrei der Ärmsten der Armen« zu erhören, bevor er sich in die Sommerferien verabschiedete. Seine Unterstützung könnte nützlich sein; so bleibt beispielsweise die Kathedrale von Genua ganz in der Nähe des Dogenpalastes geöffnet.

Der allgemeine Unmut ist auch der italienischen Regierung nicht verborgen geblieben, die nun keine Gelegenheit auslässt, den G 8-Gipfel als eine Art Wohltätigkeitsveranstaltung zu präsentieren. Außenminister Renato Ruggiero etwa versprach, dass die Verbreitung von Aids und die Bekämpfung der Armut in den so genannten Entwicklungsländern zu den wichtigsten Themen der Konferenz zählen werden. »Wir müssen die Armut dadurch bekämpfen, dass wir den weniger entwickelten Ländern einen besseren Zugang zu unseren Märkten verschaffen«, verkündete er im italienischen Parlament.

Medienwirksam ist auch die Einladung an sieben Staatschefs aus dem Süden, unter ihnen Thabo Mbeki aus Südafrika, Olusegun Obasanjo aus Nigeria und Abdelaziz Bouteflika aus Algerien. Geplant ist ein Treffen der Vertreter armer Länder mit Kofi Annan und dem Gastgeber Silvio Berlusconi. Nur über den Inhalt der Gespräche wird noch beharrlich geschwiegen.

Auch die Opposition hat sich von der Globalisierungskritik anstecken lassen und die Tobin-Steuer für sich entdeckt. Wäre es nach dem Olivenbaum gegangen, hätte sich Italien auf dem G 8-Gipfel für die Einführung der Steuer auf Finanzspekulationen eingesetzt. Doch zu ernst scheint es den oppositionellen Parlamentariern mit dieser Neuerung nicht gewesen zu sein. Schon im Abgeordnetenhaus wurde das Anliegen in einem Kompromiss mit der Regierung verwässert.

Ein Demo-Termin, der nicht nur von den Medien vernachlässigt wird, sondern auch von den öffentlichen Erklärungen des GSF gerne in den Hintergrund gedrängt wird, ist der 20. Juli. Für diesen Freitag haben die Basisgewerkschaften (Comitati Uniti di Base) zum nationalen Generalstreik gegen den G 8-Gipfel aufgerufen. Am selben Tag findet in Genova eine Gewerkschaftskundgebung statt, zu der mindestens 20 000 Teilnehmer erwartet werden.

So viel Mobilisierung ist von den drei großen italienischen Gewerkschaften nicht zu erwarten. CGIL, CISL und UIL konnten sich erst vor zwei Wochen dazu entschließen, an den Protesten gegen die neoliberale Globalisierung teilzunehmen. Sie werden eine gemeinsame Erklärung in Genua präsentieren, allerdings am Tag vor der Kundgebung der autonomen Gewerkschaften. Denn die könnte an diesem Wochenende in Genua zu einem Ereignis werden.