Streit um die Auslieferung kroatischer Kriegsverbrecher

Helden für Den Haag

Die Auslieferung zweier mutmaßlicher Kriegsverbrecher bereitet der kroatischen Regierung ähnliche Probleme wie der serbischen.

V eteranenverbände rufen zu Blockaden und Demonstrationen auf, Nationalisten sehen die Ehre Kroatiens beschmutzt. Auslöser für die Proteste der letzten Woche war der vor zehn Tagen gefasste Beschluss der Regierung in Zagreb, zwei vom Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag angeklagte kroatische Generäle auszuliefern.

Aus Protest traten daraufhin drei Minister und der stellvertretende Ministerpräsident von ihren Posten zurück, allesamt Mitglieder der sozialliberalen Partei (HSLS), dem größten Koalitionspartner der sozialdemokratischen Partei von Premierminister Ivica Racan. Seitdem sind im kroatischen Kabinett sechs Ministerposten vakant, denn der Minister für Europäische Integration und der Justizminister waren schon im Juni zurückgetreten.

Zu Neuwahlen wird es aber vermutlich nicht kommen, unter anderem deshalb, weil die HSLS bereits erklärt hat, in diesem Fall würde das Land im Chaos versinken. Bei den Kommunalwahlen Mitte Mai verloren die kleinen Parteien und vor allem die HSLS durchweg Stimmen.

Einer der Angeklagten ist der pensionierte General Ante Gotovina, für den ein Zagreber Bezirksgericht am Freitag einen Haftbefehl ausstellte. Er war während der Operation Oluja (Sturm) im August 1995 Befehlshaber an der südöstlichen Front. Während dieser Militäraktion in der Krajina, die offiziell als Verteidigungskrieg bezeichnet wird, wurden nach Angaben der Vereinten Nationen über 400 Serben ermordet, 100 gelten als vermisst, etwa 200000 flüchteten über die Grenze. Gotovina kündigte an, sich notfalls mit Gewalt gegen die Auslieferung zu wehren. »Das war nicht mein privater Krieg, sondern unserer. Wenn ich schuld bin, sind alle Kroaten schuld.«

Am vergangenen Freitag wurde offiziell bestätigt, dass es sich bei dem zweiten Angeklagten um General Rahim Ademi handelt, zur Zeit Inspekteur im Verteidigungsministerium. Er wird sich nach eigenen Angaben freiwillig dem Haager Tribunal stellen. Ademi wird beschuldigt, 1993 als Offizier während der Operation Medacki für die Ermordung serbischer Zivilisten verantwortlich gewesen zu sein.

Die Regierungssitzung, die den Auslieferungsbeschluss fasste, wurde kurzfristig einberufen, nachdem am Tag zuvor Carla del Ponte, die Chefanklägerin des Uno-Kriegsverbrechertribunals, nach Zagreb gekommen war, um den Premier daran zu erinnern, dass die Zusammenarbeit mit dem Den Haager Tribunal »die Prüfung für jeden Staat« sei. Racan hatte bereits vor zwei Monaten das Auslieferungsgesuch erhalten und seine Bedenken dem Tribunal schriftlich mitgeteilt, ohne jedoch sein Kabinett davon zu informieren.

In Zagreb feierte man zu dieser Zeit ausgelassen die Verhaftung Milosevics. Selbst der für gewöhnlich sehr besonnene Staatspräsident Stipe Mesic, kommentierte triumphal: »Ich komme auch nach Den Haag, wenn man mich ruft!« Das war noch bevor er die aufgebrachten Kroaten in einer Fernsehansprache beschwichtigen musste, das Haager Tribunal versuche nicht, den so genannten Vaterländischen Krieg als ganzen zu kriminalisieren.

Das vermuteten rechte Kreise in Kroatien schon seit geraumer Zeit. So bezweifelt die Partei des ehemaligen Präsidenten Franjo Tudjman, die HDZ, dass in Den Haag die objektiven Bedingungen des Befreiungskrieges beurteilt werden können und fordert ein Referendum über die Auslieferung. Bei der »Kriminalisierung des Vaterländischen Krieges« hört die Kooperationsbereitschaft der Kroaten auf.

Schließlich stieß die Liquidierung und Vertreibung der serbischen Einwohner in der Krajina auch in Europa durchaus auf Verständnis. So bezeichnete die taz das kroatische Vorgehen im Jahr 1995 als »völkerrechtlich legitimiert« und »politisch nicht unverständlich«. Für den damaligen EU-Administrator von Mostar, Hans Koschnick, war sie gar ein »Versuch, eine Rechtsordnung wieder herzustellen«.

Auch die kroatischen Veteranenverbände verteidigen ihre angekratzte Landserehre. Mirko Condic, der Anführer der Veteranenkomitees »Zur Verteidigung der Würde des Vaterländischen Krieges«, drohte erneut, mit Straßenbarrikaden und Großdemonstrationen die Auslieferung der Generäle zu verhindern. Ministerpräsident Racan kündigte für diesen Fall jedoch harte staatliche Gegenmaßnahmen an und erinnerte an die Rentenauszahlung, die durch die Störung des Tourismusgeschäfts gefährdet sein könnte. Die Vaterlandsverteidiger beschränkten sich deshalb vorerst auf die Unterstützung des Referendums.

In der HSLS war man sich allerdings nicht einig. Der stellvertretende Regierungschef Goran Granic votierte entgegen der Maßgabe seines Parteivorsitzenden Drazen Budisa für die Auslieferung. Budisa, stärkster Gegenspieler Racans, trat nach heftigen Auseinandersetzungen vom Parteivorsitz zurück.

Man wende sich nicht grundsätzlich gegen das Haager Tribunal, sagte Vilim Herman, stellvertretender Vorsitzender der HSLS, frage aber nach der Grundlage der Anschuldigungen. Außerdem sei zunächst die Verfassungskonformität der Auslieferung kroatischer Staatsbürger zu gewährleisten. Eine entsprechende Verfassungsänderung, die eine Auslieferung erst ermöglichen könnte, debattierte das Parlament am vergangenen Freitag in einer nicht öffentlichen Sitzung.

Die künftige Zusammenarbeit mit Den Haag wird auch Auswirkungen auf die finanzielle Unterstützung für Kroatien haben. Um den internationalen Geldgebern ein positives Signal zu senden, beschrieb Außenminister Toni Picula in der vergangenen Woche die wichtigsten außenpolitischen Angelegenheiten dieses Jahres. Dabei ging es ihm um das Assoziierungsabkommen mit der EU, um die Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal und um den Sieg des kroatischen Tennisspielers Goran Ivanisevic in Wimbledon. Picula ahnte nicht, dass Ivanisevic sich am nächsten Tag in einem offenen Brief gegen die Auslieferung der angeklagten »Helden« aussprechen sollte.

Während sich im ganzen Land die Aufmerksamkeit auf die fortschreitende Demontage des Mythos vom heldenhaften Krieg richtet, wird auf lokaler Ebene weiterhin antiserbische Politik betrieben. In der ostslawonischen Stadt Vukovar, in der die Unabhängige Demokratische Serbische Partei (SDSS) etwa ein Drittel der Wähler repräsentiert, koaliert Racans Partei mit der HDZ. In der Stadt Vojnic jedoch entschieden sich die Sozialdemokraten für eine Koalition mit der serbischen Partei. Am Tag, als der Koalitionsvertrag unterzeichnet werden sollte, blockierten die Aktivisten der Veteranenverbände das Stadtparlament. »Wir sind nicht gestorben, um euch die Krajina friedlich zu überlassen«, skandierten sie.

Das Verhältnis der Kroaten zu den serbischen Einwohnern ist denn auch im jüngsten Bericht der Europäischen Kommission über Rassismus und Intoleranz gerügt worden. Dort wird unter anderem der offene Verkauf von Hitlers »Mein Kampf« als Symptom eines virulenten Antisemitismus benannt.