Zensur bei Yahoo

Licht aus im Darkroom

Yahoo trennt sich von pornografieverdächtigen Seiten. Aber auch Angebote der Grafschaften Sussex, Essex und Middlesex wurden abgeschaltet.

Allenthalben ist die Rede von der unkontrollierten Ausbreitung der Pornographie im Internet. Doch bei näherer Betrachtung findet, wer sexualbezogene Inhalte ins Netz stellen möchte, alles andere als jungfräuliche Zustände vor. Nach der Verurteilung des Compuserve-Chefs Felix Somm wegen Mittäterschaft bei der Verbreitung von Pornographie war es 1998 und 1999 zu einer Welle von Website-Löschungen gekommen, von denen nicht selten auch gänzlich unpornographische Seiten betroffen waren. Und gerade, als sich die Provider dank ausbleibender Rechtsstreitigkeiten wieder beruhigt zu haben schienen, gerät nun das Internet-Portal Yahoo ins Visier der Frömmler.

Nach einer Protestaktion der christlich-fundamentalistischen American Family Association (AFA) gegen Yahoos nur volljährigen Kunden zugänglichen Online-Sexshop hatte der Provider erklärt, der Vertrieb des beanstandeten Materials werde umgehend eingestellt. Zusätzlich wurden jedoch auch die über 100 000 Yahoo-Foren, Clubs und Mailinglisten des Adult-Bereichs aus dem Verzeichnis und der Suche entfernt und sind seither nur noch für volljährige, angemeldete Yahoo-Mitglieder zugänglich. Nachdem Yahoo bereits im Februar den kostenlosen Mailinglistenanbieter egroups übernommen hatte, waren sämtliche egroups-Mailinglisten, deren Titel eine Beschäftigung mit sexuellen Inhalten andeutete, automatisch in den Adult-Bereich verschoben worden. Dieser Schmuddelsektor, so kündigte Yahoo an, werde künftig »aggressiver überwacht«.

Tatsächlich sind in den letzten Monaten diverse zum Teil sehr populäre Diskussionsforen bei Yahoo ohne Vorwarnung gelöscht worden. Yahoo kann sich, wie praktisch alle großen Community-Plattformen, den Verwaltungsaufwand einzelner Überprüfungen nicht leisten und beseitigt zweifelhafte Angebote daher bei der ersten Beschwerde. Auf Nachfragen teilt Yahoo lediglich mit, es sei »im Einzelfall nicht möglich nachzuvollziehen, in welcher Art und Weise ein Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen oder eine anderweitige Beanstandung aufgetreten ist«. Von den Restriktionen und Löschungen betroffen sind erotische Inhalte ebenso wie Selbsthilfeprojekte schwuler, lesbischer und transsexueller Gruppen und Informationsangebote, die sich explizit an Minderjährige wenden, wie etwa die Mailingliste der sadomasochistischen Jugendgruppe smjg.org. Vorübergehend ebenfalls nicht mehr auffindbar waren alle britischen Angebote, die die Grafschaften Sussex, Essex und Middlesex im Namen tragen.

Proteste der Adult-Nutzer blieben ohne erkennbare Auswirkungen, auch wenn rund 16 000 Yahoo-Mitglieder eine Online-Petition unterzeichneten und der Yahoo-Club »dontcloseadultclubs« in kurzer Zeit über 10 000 Teilnehmer gewann. Die meisten Betroffenen verschwenden ihre Energien allerdings nicht in Diskussionen mit Yahoo, sondern ziehen es vor, mit ihren Projekten, in die sie in der Regel viel unbezahlte Zeit gesteckt haben, zu liberaleren Anbietern zu ziehen und so einer Löschung zuvorzukommen. Da Mailinglistenbetreiber in der Regel mehr als eine Liste verwalten, verschwinden mit jedem vor die Tür gesetzten Eigentümer einer anstößigen Liste im Zweifelsfall auch diverse stubenreine Foren.

Eine mögliche Skandalisierung scheint den Betreibern jedoch mehr Angst zu machen als der Nutzerschwund. Denn die Konsumenten der Community-Angebote reagieren notorisch scheu auf Bevormundung. Man kann davon ausgehen, dass deutlich mehr Benutzer abwandern, weil sie eine bestimmte Rubrik nicht finden, und nicht, weil sie sich durch deren Vorhandensein gestört fühlen. Zumal es ja im Netz genügend Alternativen zu geben scheint und der nächste kostenlose Anbieter nur wenige Klicks entfernt ist. Von Zensur, so zitiert das Netzkultur-Magazin Telepolis die American Civil Liberties Union (ACLU), könnte nur dann gesprochen werden, wenn Yahoo der einzige Online-Anbieter für sexuell orientierte Chats und Clubs wäre.

Allerdings sind die schwarzen Schäfchen auch anderswo nicht leicht ins Trockene zu bringen. Denn fast alle Anbieter kostenloser Services wie Mailinglisten und Webspace lehnen sexualbezogene Inhalte von vornherein ab oder löschen sie - wie Yahoo - ohne viel Federlesens bei der ersten Beschwerde. Darüber hinaus gibt es keine Garantie, dass der neue Zufluchtsort nicht in Kürze wiederum von einem der großen Unternehmen mit »familienfreundlicher« Politik aufgekauft wird, wie das in den letzten Jahren die Regel war. Auch kostenpflichtige Provider bieten kaum größere Sicherheit, denn fast alle Verträge enthalten Klauseln über »anstößiges« Material, die den Anbieter zur sofortigen Löschung berechtigen, ohne dass die Nutzer Schadensersatzansprüche geltend machen könnten.

Die meisten Betreiber von Verzeichnissen, Webhosting-Angeboten und Communities orientieren sich dabei an einer einfachen Faustregel. Sex im Internet ist dann legitim, wenn seine Konsumenten nicht anders können: Schwule, Lesben, Bi- und Transsexuelle müssen sich quasi von Berufs wegen mit Sex befassen und sind daher entschuldigt. Ihre Angebote, Nacktfotos hin oder her, finden sich unter der Rubrik »Gesellschaft«. Transvestismus, Fetischismus, Sadomasochismus und die guten alten Hetero-Praktiken dagegen gelten als vermeidbares Privatvergnügen und fristen ihr Dasein folgerichtig in Rotlicht-Schmuddelecken wie »Dienste / Erotik« (etwa bei web.de). Niveauvollere Angebote werden von den Medien zwar hin und wieder als »erotisch, nicht pornographisch« gelobt, den Providern und Verzeichnisbetreibern ist das aber in aller Regel egal. Wo Sex draufsteht, ist auch Porno drin.

Dass Anbieter wie Yahoo den selbstorganisierten Sexforen das Leben schwer machen, liegt allerdings nicht nur an deren schwacher Lobby und an den christlichen Protesten. Im selben Umfang, in dem kostenlose sexuelle Informations- und Unterhaltungsangebote reglementiert werden, bieten die Betreiber großer Websites kostenpflichtige Sexsites an.

Katrin Passig ist zusammen mit Ira Strübel Autorin des Ratgebers »Die Wahl der Qual - ein Handbuch für Sadomasochisten und solche, die es werden wollen.« Rowohlt Taschenbuch 2000.