Debatte um internationale Beobachter

In der Drehtür

Mit der Zustimmung der USA zu einer Beobachtertruppe im Nahen Osten sind die Palästinenser ihrer Forderung nach Internationalisierung des Konflikts näher gekommen.

Als am Dienstag vergangener Woche israelische Panzer vor den Toren der palästinensischen Städte Bethlehem und Jenin auffuhren, machte in Israel und in den besetzten Gebieten erneut das Wort vom »big blow« die Runde. Bereits seit Monaten wird dort diskutiert, ob die israelische Regierung einen erheblichen Schlag gegen die Autonomiebehörde und eine Invasion der von dieser kontrollierten Westbank und des Gaza-Streifens plant.

Die Israelis bemühten sich schnell, diese Gerüchte zu zerstreuen. Es sei nie eine groß angelegte Militäraktion geplant worden. Der Truppenaufmarsch habe nur dazu gedient, im Falle eines palästinensischen Terroranschlages schneller reagieren zu können und die Autonomiebehörde zu einer Verurteilung von Gewaltaktionen zu zwingen.

Zumindest das zweite Ziel hat die Maßnahme offenbar erreicht. Sowohl der Sicherheitschef der Westbank, Jibril Rajoub, als auch Tawfik Tirawi, Leiter eines der palästinensischen Geheimdienste, riefen im Radiosender Stimme Palästinas ihre Landsleute zur Zurückhaltung auf.

Tatsächlich waren die israelischen Truppenbewegungen von weit geringerem Umfang, als es für eine solche Invasion nötig gewesen wäre. Dennoch sind die Sorgen der Palästinenser nicht völlig unbegründet. Bereits im Mai berichtete die US-amerikanische Zeitschrift Foreign Report von entsprechenden Plänen und behauptete, diese seien bereits von den USA, Großbritannien und Frankreich abgesegnet worden. Obwohl diese Behauptungen sofort dementiert wurden und niemand darüber Auskunft geben kann, von wem die Pläne stammen und wie sie genau aussehen, beherrschen sie seither die Diskussionen in Israel und in den besetzten Gebieten.

Israelische Friedensaktivisten weisen darauf hin, dass diese Pläne an Überlegungen anknüpfen, die bereits 1967, nach der Besetzung der palästinensischen Gebiete, aufkamen und damals unter anderem in Ariel Sharon einen bedeutenden Fürsprecher hatten. Demnach sollten möglichst viele Palästinenser dazu veranlasst werden, die besetzten Gebiete zu verlassen, damit diese Israel möglichst vollständig hätten eingegliedert werden können.

In der israelischen Politik hatte sich stattdessen allerdings der so genannte Alon-Plan durchgesetzt, der die Schaffung einer palästinensischen »Einheit« in den Gebieten vorsah und auf dessen Grundlagen das Konzept des Oslo-Prozesses entwickelt wurde. Mittlerweile, so die Befürchtung, stehe der alte Plan wieder auf der politischen Agenda. Auch in den palästinensischen Medien kursiert die Rede von der »Zweiten Naqba«, die dazu genutzt wird, die Stimmung gegen Israel weiter anzuheizen.

Nun lässt sich sicher nicht bestreiten, dass es in Israel Kräfte gibt, die eine solche »Lösung« des Konfliktes befürworten. So ist beispielsweise der Minister für Infrastruktur, Avigdor Lieberman von der rechtsextremen Partei Israel Beitenu, mehrfach mit der Forderung hervorgetreten, die Palästinenser aus der Westbank zu vertreiben.

Dies jedoch als die offizielle israelische Politik darzustellen, ist reine Polemik. Es ist kaum anzunehmen, dass die Vereinigten Staaten es zuließen, dass Israel auf diese Weise ihre Nahost-Politik torpedierte. Auch wäre damit die fragile innenpolitische Grundlage zerstört, auf der sich Sharon an der Macht behauptet. Denn so kompromissbereit sich Shimon Peres, der amtierende Außenminister von der Arbeitspartei, in den letzten Monaten auch gezeigt hat, eine Invasion der palästinensischen Gebiete würde mit Sicherheit das Ende der großen Koalition bedeuten. Damit würde Israel nicht nur seine letzten Bonuspunkte in der internationalen Politik einbüßen, sondern auch Sharon seinen Job als Ministerpräsident.

Umso ungehaltener war Sharon über die Truppenkonzentration, die offensichtlich nicht auf seine eigene Initiative zurückging. Während er an seiner »Politik der Zurückhaltung« festhalten möchte, gibt es in der Armeeführung andere Auffassungen. Weit gefährlicher könnte Sharon allerdings die Opposition innerhalb seiner eigenen Likud-Partei werden. Viele, die eine härtere Gangart gegenüber den Palästinensern verlangen, scharen sich hinter dem ehemaligen Ministerpräsidenten Binyamin Netanjahu. Von den Siedlern, die Sharon im vergangenen März als ihren Retter gewählt haben, wird er mittlerweile als Verräter betrachtet. Einige scheinen inzwischen zum militanten »Selbstschutz« überzugehen. Die Ermordung von drei Palästinensern am vergangenen Donnerstag, möglicherweise durch die Terrororganisation Halhul, zeigt, dass auch hier eine weitere Radikalisierung droht.

Diese innenpolitischen Auseinandersetzungen speisen nicht nur den israelisch-palästinensischen Konflikt, sie haben inzwischen auch außenpolitische Konsequenzen. Denn es ist sicher nicht zuletzt den jüngsten israelischen Truppenaufmärschen und dem Terroranschlag vom Donnerstag geschuldet, dass sich in der Frage internationaler Beobachter die europäische Position nun durchzusetzen scheint. Auf dem Gipfel in Genua wurde erstmals von allen acht beteiligten Staaten gegen den Willen der Israelis der Einsatz internationaler Beobachter gefordert. Auch die US-Regierung, die sich bisher die Position Israels zu Eigen gemacht hatte, stimmte den Europäern nunmehr zu.

Der in Genua beschlossene »Liaison-Mechanismus« sieht vor, dass ein internationales Team von Beobachtern den Waffenstillstand überwacht und beide Seiten die Verstöße der jeweils anderen beanstanden können. Der Vorschlag folgt damit in etwa den Übereinkünften, die 1996 zwischen Israel und der Hizbollah getroffen wurden. Sollte der Mitchell-Report, der ein Fortschreiten von einem Waffenstillstand über eine Abkühlungsperiode und vertrauensbildende Maßnahmen beider Seiten bis zur Wiederaufnahme von politischen Verhandlungen vorsieht, tatsächlich in die Tat umgesetzt werden, würde der Liaison-Mechanismus auch für die Überwachung dieser Schritte eingesetzt werden.

Die israelische Regierung hat eine solche »Internationalisierung« des Konflikts bisher immer vehement abgelehnt. Frühere Fälle ähnlicher Art wie die Ereignisse im Libanon 1996, hätten gezeigt, dass solche Beobachter Angriffe auf Israel nie verhindern, eine israelische Gegenwehr aber erschweren. Inzwischen scheint sich jedoch innerhalb der israelischen Regierung eine modifizierte Position in dieser Frage zu bilden. Verteidigungsminister Binyamin Ben Eliezer von der Arbeitspartei hat nach den Beschlüssen von Genua zu erkennen gegeben, dass sich Israel mit einer US-amerikanischen Beobachtergruppe abfinden könnte. Von der israelischen Opposition und vom linken Flügel der Arbeitspartei war der Einsatz internationaler Beobachter schon seit längerer Zeit befürwortet worden.

Dazu muss zunächst einmal angemerkt werden, dass es sich bei einer solchen Beobachtergruppe nicht um eine militärische Formation handelt, sondern um eine Institution, an die beide Konfliktparteien Beschwerden richten könnten. Allerdings stellt sich sofort die Frage, Sanktionen welcher Art auf etwaige Verstöße folgen sollen und wer sie exekutieren soll.

Teile der israelischen Linken gehen hier ohnehin einen Schritt weiter. In einem von 350 prominenten Israelis unterzeichneten Appell wurde bereits im Mai die Entsendung einer »internationalen Friedenstruppe« gefordert. In ihrer Verzweiflung spielt die israelische Linke damit unmittelbar den Interessen der europäischen Staaten in die Hände, die sich derzeit mit Vehemenz ihren Platz im Nahen Osten zu erobern trachten, denen aber an einer Stabilisierung der Region gerade nicht gelegen sein kann.

Andererseits ist weder mit den Interventionsplänen der israelischen Rechten die Sicherheit Israels und seiner Bewohner zu gewährleisten, noch mit dem Zickzackkurs, den Sharon derzeit in bewährter Tradition fährt. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die israelische Armee für ihre derzeitige Strategie gegen die so genannte Al-Aksa-Intifada den Codenamen »Revolving Door« (Drehtür) ausgewählt hat. Denn so sicher, wie Israel auf palästinensische Terroraktionen mit punktuellen militärischen Gegenschlägen reagiert, so sicher folgt die nächste Aktion der Palästinenser auf diese Angriffe.

Ob ein Ausbruch aus diesem Teufelskreis noch möglich ist, ist schon lange fraglich. Die palästinensische Seite jedenfalls scheint mit ihrer Forderung nach einer »Internationalisierung« des Konflikts endgültig auf eine neue diplomatische Alternative zum Oslo-Prozess zu setzen.