Antirassistische Proteste in Frankfurt am Main

Camp ohne Grenzen

Das Grenzcamp in Frankfurt am Main war ein Erfolg. Denn der Störwille der Teilnehmer war enorm.

An 355 Tagen im Jahr ist das Leben im realexistierenden Otto-Schily-Deutschland wenig erbaulich. Während der restlichen zehn Tage ist Grenzcamp. Und das bedeutet: gemeinsam frühstücken, gemeinsam diskutieren und die Verhältnisse zumindest in kleinem Rahmen zum Tanzen bringen.

Zum vierten Mal haben sich in der vergangenen Woche AktivistInnen zum antirassistischen Grenzcamp getroffen, zum ersten Mal nicht an der deutschen Ostgrenze, sondern im Herzen der Republik: in Frankfurt am Main, dort, wo das deutsche Grenzregime besonders spürbar ist - nach innen wie nach außen. In Frankfurt sind die Türme der Macht unübersehbar, die Wolkenkratzer von Commerzbank, Dresdner und Deutscher Bank, hier ist die wichtigste Börse des Kontinents angesiedelt. In der ach so multikulturellen Bankenmetropole entledigt sich das neue Deutschland unermüdlich seiner unerwünschten Gäste. Rund 10 000 Menschen werden jährlich vom Frankfurter Flughafen abgeschoben, meist still und leise, oftmals mit aller zur Verfügung stehenden staatlichen Gewalt.

Zwei Menschen wurden bislang im Verlauf ihrer Abschiebung getötet. Der Sudanese Aamir Ageeb erstickte vor zwei Jahren im Flugzeug unter einem Motorradhelm, den BGS-Beamte ihm zwangsweise aufgesetzt hatten. Andere begingen im Internierungslager des Frankfurter Flughafens Selbstmord, weil sie ihre Situation nicht mehr ertragen konnten. Derzeit sind rund 50 Menschen völlig abgeschirmt von der Außenwelt auf dem Airport interniert, in einem Gebäude mit vergitterten Lüftungsschächten und dem Namen C 183.

Es gibt also genug Gründe, ein antirassistisches Grenzcamp in Frankfurt zu veranstalten und an diesem Ort gegen den staatlichen und gesellschaftlichen Rassismus zu protestieren. Und was die Mobilisierung angeht, hat sich die Verlegung nach Westen gelohnt. Mehr als doppelt so viele Teilnehmer wie in früheren Jahren kamen. Zeitweilig tummelten sich über 1 500 Menschen auf dem Zeltplatz am Main, südlich von Kelsterbach.

Auch mit der Außenwirkung können die Freunde des etwas anderen Campings mehr als zufrieden sein. Zwar war der Medienhype nicht so groß wie im vergangenen Jahr, als die Camper im kurzen Sommer des Antifaschismus zum guten Gewissen der Nation erhoben wurden. Doch wenn der Betrieb auf Deutschlands größtem Flughafen eine Woche lang ständig gestört wird, dann findet das auch in den überregionalen Medien Beachtung. Von CNN wurde das Grenzcamp gar in eine Reihe mit den Protesten von Seattle und Genua gestellt.

Eine Metropole wie Frankfurt bietet deutlich mehr Aktionsmöglichkeiten als eine ostdeutsche Provinzstadt. Am Dienstag besuchten die Camper zunächst die Börse, um dort das Verhalten der deutschen Konzerne in der Frage der Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern anzuprangern und zugleich auf die Kontinuität der deutschen Ausländerpolitik hinzuweisen, in der noch immer die Verwertungslogik dominiere. Am Mittwoch war dann »Innenstadt-Tag«. Camp-Teilnehmer riefen an Info-Ständen in Frankfurts guter Stube zur »Abschiebung für alle« auf. »Warum sollen nur unnütze Ausländer abgeschoben werden und die unnützen Deutschen hier bleiben?« lautete die provokante Frage. Eine Nebenstraße der Zeil wurde kurzerhand zur Deutschkontrolle abgesperrt. Ausländer durften problemlos passieren, während sich Deutsche einer zeitraubenden Überprüfung ihrer Personalien unterziehen mussten und erst weiter durften, wenn sie die Internationale gesungen hatten.

Eine weitere Innovation in Sachen Protestkultur war der Pink-and-Silver-Block. Rund 300 Cheerleader stürmten durch die Kaufhäuser der Innenstadt, skandierten Parolen gegen Abschiebung und Kaufrausch, bis sie nach einer Stunde von der Polizei eingekesselt und anschließend in die S-Bahn gedrängt wurden.

Es gab in diesem Jahr viele bunte und friedliche Aktionen und doch kein Anbiedern bei den Mächtigen, wie man es von so vielen Nichtregierungsorganisationen kennt. Ein ständiges Überschreiten von Grenzen und Gesetzen - so macht Widerstand mehr Spaß als im Tränengasnebel von Genua, den einige Teilnehmer des Grenzcamps noch in den Augen zu haben schienen. Die österreichische Theatergruppe Publix Theatre Caravan, die in Frankfurt auftreten sollte, sitzt noch immer in italienischer Haft.

Vielleicht war es den Ereignissen von Genua zu verdanken, dass die Polizei sich in Frankfurt zurückhielt. Aber als die Camper am vergangenen Dienstag das SPD-Fraktionsbüro im Frankfurter Römer besetzten und von dort aus ein Protestfax nach Genua abschickten, wurden sie anschließend im S-Bahnhof von der Berliner Spezialeinheit 21 aus Kreuzberg eingekesselt, die ansonsten dafür zuständig ist, das Straßenfest am 1. Mai auseinanderzuprügeln.

Auch in Frankfurt zeigten die Beamten, was sie können. Einer Jugendlichen wurde so heftig mit einem eisenverstärkten Handschuh ins Gesicht geschlagen, dass sie im Krankenhaus behandelt werden musste. Und als AktivistInnen das Haus eines CDU-Politikers mit Parolen beschmierten und dieser handgreiflich wurde, verhafteten die Beamten ausgerechnet einen DPA- und einen AP-Journalisten. Ansonsten aber blieb es bei kleineren Rangeleien und vorübergehenden Festnahmen. Auch die Abschlussdemo am Flughafen am Samstag mit über 2 000 Teilnehmern verlief friedlich.

Was seine Wirkung betrifft, war das Camp ein Erfolg, dennoch steht das Projekt vor dem Umbruch. Wegen der großen Zahl der Teilnehmer hat es seinen Charakter verändert vom selbst organisierten Zeltlager, in dem versucht wird, die Utopie einer anderen Gesellschaft mit Leben zu füllen, zu einem antirassistischen Festival, wo viele nur das konsumieren, was der harte Kern der Organisatoren vorbereitet hat.

Die Basisdemokratie stieß an ihre Grenzen. Während in den Kleingruppen fundierte Diskussionen stattfanden, verkam das Gesamtplenum mit fast 1 000 Menschen zeitweilig zum Verlautbarungsforum. Welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind, wird sich im September entscheiden, wenn das erste Nachbereitungstreffen stattfindet. Für das nächste Camp im Jahr 2002 stehen bislang zwei Optionen zur Wahl: Back to the roots - also ein kleines Camp in Thüringen, wie es von dortigen Flüchtlingsgruppen angeregt wurde. Oder aber die weitere Expansion, im Gespräch ist ein internationales Grenzcamp in Strasbourg.