Krieg und Frieden

Amnestie, das klappt nie

Die mazedonische UCK hat ihre Ziele fast erreicht. Die Staatsgewalt liegt nicht mehr in den Händen der Regierung in Skopje, sondern bei der Nato.

Eigentlich ist es unglaublich. 1999 bedeckte die Nato Serbien 78 Tage lang mit Bomben, besetzte danach eine ganze Provinz des Landes, um mit der Ausbildung bewaffneter Separatisten schließlich für den Export des großalbanischen Ethnoterrors nach Mazedonien zu sorgen. Das Ergebnis der vertrauensbildenden Maßnahmen: Zwei Jahre nach der Bombardierung Serbiens fragen die Führer des westlichen Militärbündnisses bei der Regierung in Belgrad an, ob sie der Nato nicht einige ihrer Militärbasen zur Verfügung stellen könne.

»Es stehen 40 000 unserer Männer im Kosovo - und sie alle brauchen etwas zu essen, Wasser, Zelte, was auch immer. Da müssen wir uns natürlich nach Alternativen umschauen«, zitierte die Londoner Sunday Times in der vorigen Woche einen Nato-Planer. Wegen der Gefechte zwischen mazedonischenTruppen und Polizeieinheiten auf der einen und Kämpfern der Nationalen Befreiungsarmee UCK auf der anderen Seite sei die bisherige Hauptnachschublinie ins Kosovo gefährdet. 80 Lastwagen täglich sollten deshalb künftig über serbisches Gebiet in das Protektorat gelangen. Weil die Route durch Montenegro und das »banditenverseuchte« Nordalbanien zu unsicher sei, so der Nato-Mann, seien die Basen der jugoslawischen Armee in Novi Sad und Nis als Alternative für Zwischenstopps der Versorgungstransporter geeignet.

Die serbische Regierung, der die Pläne auf mehreren Treffen in den vergangenen Wochen schmackhaft gemacht werden sollten, wehre sich noch, schrieb die Sunday Times weiter. Doch wenn die Nato auf einen gemeinsamen Herzenswunsch des jugoslawischen Außenministers Goran Sviljanovic und des stellvertretenden serbischen Premiers Nebojsa Covic eingehe, könne der Deal tatsächlich klappen. Die Verhandlungsführer in den Gesprächen mit Vertretern der fünf führenden Nato-Staaten wollen eine Rückkehr jugoslawischer Truppen ins Kosovo erreichen.

Zwei Jahre nach dem Beginn der Nato-Okkupation scheint ein solches Zugeständnis aber mehr als unwahrscheinlich. Und zwar nicht, weil die Kfor-Soldaten die Lage im Kosovo im Griff hätten, sondern weil die irre innere Logik des internationalen Engagements in Südosteuropa in den letzten zehn Jahren immer neue Großeinsätze produziert hat. Nicht nur im Kosovo, auch in Bosnien-Herzegovina liegt die Staatsgewalt längst nicht mehr in den Händen der gewählten Organe, sondern bei der Nato, der Uno und anderen internationalen Institutionen. Eine Rückkehr jugoslawischer Truppen ins Kosovo hätte daher für die hegemoniale Stellung der Nato ähnliche Auswirkungen wie ein von Brüssel unabhängiges Vorgehen der mazedonischen Armee gegen die UCK.

Denn Entwurf einer neuen Verfassung ist das Papier nicht wert, auf dem er steht. Mit der seit März betriebenen faktischen Kolonialisierung Mazedoniens durch die Europäische Union und die USA, hat die internationale Protektoratspolitik auch südlich des Kosovo den Point of No Return erreicht. In Brüssel glaubt inzwischen niemand mehr, dass die im Rahmen der Entwaffnungsaktion »Essential Harvest« geplante Mission von gut 3 000 Soldaten nach 30 Tagen abgeschlossen sein könnte. Im Gegenteil. Um die Regierung unter dem Ministerpräsidenten Ljubco Georgievski dauerhaft an die Verpflichtungen des Vertrages zu binden, müsste die Nato natürlich stärker vertreten sein als die lokalen Konfliktparteien.

Zwar kündigte der politische Vertreter der UCK, Ali Ahmeti, am Wochenende an, den zwischen Georgievski und den beiden Albanerparteien DPA (Demokratische Partei der Albaner) und PDP (Wohlstandspartei) ausgehandelten Vertrag zu akzeptieren. Doch am Ende dürfte die seit dem Frühjahr erfolgreiche Strategie der Sezessionisten, durch die Eskalation ihres Kampfes die Nato mit in den Konflikt zu ziehen, deshalb noch lange nicht sein. Schließlich droht führenden UCK-Kadern weiterhin die Verhaftung, nachdem die Regierung in Skopje sie im Juli zur Fahndung ausgeschrieben hat. Und ohne das glaubhafte Versprechen einer Amnestie, so viel ist sicher, wird die UCK sich an eine politische Einigung auch nicht halten.

Allen Hilferufen der mazedonischen Regierung zum Trotz, dürften die beiden Chefunterhändler der EU und der USA, Lionel Léotard und James Pardew, auch diesen Punkt noch im Sinne der Sezessionisten regeln. Schon Mitte Juli nämlich hat Georgievski den beiden vorgeworfen, den ursprünglichen Vertragsentwurf zugunsten der albanischen Minderheit zu ändern. »Léotard und Pardew schlagen den Bürgerkrieg als Alternative vor«, sagte er damals. »Der Plan ist ein Szenario, um Mazedonien zu zerbrechen.« Außenministerin Ilinka Mitreva fügte am Wochenende hinzu: »Mazedonien steht vor einem Bürgerkrieg. Wir dürfen nicht zulassen, dass Mazedonien in Flammen aufgeht.«

Doch wie schon im Februar 1999, als die Kosovo-Befreiungsarmee UCK die so genannte internationale Gemeinschaft mit ihren Anschlägen zur Einberufung der Konferenz von Rambouillet drängte, setzen Brüssel, Berlin und Washington weiter auf die Sezessionisten. Und auch wenn diesmal nicht die Bombardierung des Landes bevorsteht, benötigt die Nato eine politische Einigung zwischen den Parlamentsparteien als Legitimation für die Entsendung von Bodentruppen.

Spannend bei der Schaffung des dritten Balkan-Protektorats dürfte in den kommenden Wochen vor allem werden, in welcher Weise die Nato an die schon im Kosovo erfolgreich praktizierte Unterstützung der Sezessionisten anknüpft. Agenturberichten zufolge hielten Einheiten der UCK bis Sonntag weite Teile der heimlichen Albaner-Hauptstadt Tetovo unter ihrer Kontrolle; mit der im Friedensvertrag vorgesehenen Ausweitung ihrer Rechte im Polizeiapparat und in den Kommunalbehörden könnte so der erste Schritt zu einer autonomen Region im Nordwesten des Landes, der an Albanien und das Kosovo grenzt, getan sein. Zieht man dann noch in Betracht, dass im Herbst im Kosovo erstmals ein Parlament gewählt wird, erscheint es wahrscheinlich, dass der Druck auf die Nato wächst, die Autonomierechte des Protektorats zu erweitern. Davon dürfte auch die UCK in Mazedonien profitieren.

Dass es den bewaffneten Sezessionisten dabei um erweiterte Minderheitenrechte geht sowie darum, Albanisch zu sprechen, glaubt inzwischen wohl niemand mehr. Der Zerfall Jugoslawiens hat gezeigt, dass es sich meist um einen Vorwand handelte, einen eigenen Staat einzufordern, der wie Kroatien auf die Achtung der Rechte seiner Minderheiten keinen besonderen Wert legt.

Unwahrscheinlich ist es jedenfalls nicht, dass die Kumpanei führender Kfor-Militärs und früherer UCK-Kader des Kosovo im Norden Mazedoniens ihre blutige Fortsetzung finden könnte. So warf die US-amerikanische Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch den großalbanischen Kämpfern am Wochenende vor, gefoltert und vergewaltigt zu haben. In den Händen der UCK werden außerdem noch 14 Mazedonier aus Tetovo vermutet.

Da sich alle Kritik aus Brüssel bislang im besten Falle an die mazedonische Regierung und die UCK richtete und auch sonst keine Anzeichen vorliegen, dass die Nato von ihrer UCK-freundlichen Haltung Abstand nimmt, dürfte die ethnische Spaltung Mazedoniens in den kommenden Monaten kaum mehr zu stoppen sein. Zwar bliebe durch die Rahmenvereinbarung die territoriale Integrität des Landes offiziell gewahrt, doch de facto wird sich wohl bald keine Polizist und kein Steuerbeamter mehr in die albanischen Hochburgen im Westen wagen.

Schon heute kontrollieren die Sezessionisten Dutzende Grenzübergänge ins Kosovo, am Wochenende sollen mazedonische Truppen sogar direkt von dort beschossen worden sein. Deshalb dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, dass der Zusammenschluss des nordwestmazedonischen Territoriums mit dem Nato-Protektorat in Südserbien vollzogen wird. Einzig die Tatsache, dass die Nato zur Zeit auf das Wohlwollen der serbischen Regierung angewiesen ist, könnte sie von einem allzu forschen Eintreten für die Unabhängigkeit des Kosovo abhalten.