Protestbewegung in Italien

Unter dem Vulkan

In Italien bereitet sich die Protestbewegung auf einen heißen Herbst vor.

Der in den Tagen des G 8-Gipfels in den Straßen von Genua gedrehte Splatterfilm hat einen langen Abspann gefunden. Und es sieht so aus, als würde bereits an weiteren Fortsetzungen gearbeitet. Italien ist im Kalender der Gipfeltreffen gleich mit zwei weiteren Terminen vertreten. Im September tagen die Nato-Spitzen in Neapel, und im Oktober wollen die Funktionäre der Uno-Organisation FAO vor den in Rom versammelten Staatschefs über den Hunger in der Welt referieren.

In der Zwischenzeit explodieren wieder Bomben, wie am vergangenen Donnerstag vor dem Gerichtsgebäude in Venedig, deren Symbolik jeder nach Belieben deuten mag: als Geheimdienstmanöver oder als eine Botschaft der inkriminierten Polizei, die sich gegen die Untersuchung ihrer Rolle als Schläger und Folterer bei dem skandalösen Überfall in der Diazschule und den Horrorszenen in der Bolzaneto-Kaserne sträubt.

Selbstverständlich benennen die an einer Eindämmung der Antiglobalisierungsbewegung interessierten Kreise, ganz nach dem in den siebziger Jahren erprobten Muster der Strategie der Spannung, meist andere Urheber - von den immer wieder bemühten Roten Brigaden bis hin zu »aufständischen Anarchisten«. Am Tag nach dem Anschlag tauchte auch ein Schreiben der Antiimperialistischen Zellen auf, in dem sich die Gruppe zu der Tat bekannte und den »Aufbau einer kämpfenden kommunistischen Partei« propagierte.

Berlusconi wiederum ist überzeugt, dass solche Aktionen nur ihm gelten können. Und die ausländischen Proteste gegen das Vorgehen der italienischen Polizei scheinen ihm eine internationale Kampagne, die sich den Kampf gegen seine Regierung auf die Fahnen geschrieben habe.

Der für den 20. August ausgerufene Global Action Day gegen den Terror der italienischen Polizei ist für den stets um sein Image fürchtenden Kommunikator wahrscheinlich eine echte Belastungsprobe. Lieber hätte er die FAO-Tagung gleich in den Senegal verlegt, doch die Vorbereitungen waren bereits zu weit gediehen. Für eine Absage hätte der deutsche Innenminister Otto Schily, der in diesen Tagen als Gast seines Amtskollegen Claudio Scajola in dessen Villa bei Imperia weilte, auch kein Verständnis gezeigt.

Schily brachte Scajola seine Auffassung von einem starken Staat zu Gehör. Nach dem medial überdurchschnittlich gut verwerteten Auftritt des Schwarzen Blocks in Genua ergriff der Deutsche taktvoll die Gelegenheit, seine Idee von der Schaffung einer europäischen Antikrawallpolizei einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen. Nachdem seine Untergebenen vor den Ereignissen von Genua Amtshilfe geleistet hatten, indem sie den italienischen Sicherheitsbehörden Erkenntnisse über Landfriedensbrecher übermittelte, präsentierte er erneut seinen Vorschlag, eine europäische Datei von »Krawallreisenden« anzulegen.

Bei so viel politischer Stärkung konnte Scajola, der für den Tod von Carlo Giuliani politisch verantwortlich ist, angesichts der von seinen Parteifreunden der Forza Italia in Imperia reichlich aus den Fenstern gehängten Trikoloren - die Anhänger des Imperia Social Forum hatten zuvor Tücher mit der Aufforderung »Tritt zurück« angebracht - nur zufrieden strahlen: »Schily ha ragione (Schily hat Recht).«

Nachdem die Proteste gegen die Härte des Polizeieinsatzes in Genua über eine halbe Million Menschen in Italien auf die Straße gebracht hat, versucht nun das Genoa Social Forum (GSF), der Zusammenschluss der von Pax Christi bis zu den Cobas-Gewerkschaften reichenden Träger der Proteste in Genua, von der Gunst der Stunde zu profitieren und sich eine etwas einheitlichere Struktur zu geben. Zusammen mit Rifondazione Comunista soll in die für den Herbst anstehenden sozialen Auseinandersetzungen eingegriffen werden.

Neben den legalen Problemen, die sich in der Folge des G 8-Treffens ergeben haben, will man sich, zusätzlich zu den Veranstaltungen in Neapel und Rom, mit der Schulreform, dem Einwanderungsgesetz und dem Konflikt um die Tarifverträge befassen. Dies ist ein Programm, das nahezu dem einer reformistischen politischen Partei gleichkommt. Deshalb besteht die Gefahr, dass diese Bewegung in eine systemstabilisierende Vermittlerrolle gedrängt wird; eine Bewegung, deren Unterschiedlichkeit bislang ihre Stärke ausgemacht hat, weil sie gerade damit ein antikapitalistisches Unbehagen transformieren konnte, das lange Zeit keinen massenhaften autonomen Ausdruck gefunden hat.

Die Ambivalenz der Sprecher des GSF und der Tute Bianche, die einerseits auf Vermittlung und andererseits auf eine spektakuläre Repräsentanz mehr oder weniger militanter Aktionsformen setzten - im Grunde genommen die harmlose Zurschaustellung zivilen Ungehorsams -, hat zwar durch den in Genua ausgetragenen Riot in der Praxis an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Gleichzeitig ist es aber auch der Struktur des GSF zu verdanken, dass sich am Samstag, dem 21. Juli 300 000 Menschen in den Straßen von Genua versammelten und ihre Unzufriedenheit mit einer warenproduzierende Gesellschaft ausdrücken konnten.

Die langfristige Etablierung des GSF als konfliktueller »Reformpartei« wird jedenfalls die Auseinandersetzung zwischen den Kritikern und Befürwortern dieser Organisationsform verschärfen. Einen ersten Vorgeschmack davon boten die Prügel, die letzte Woche von Aktivisten des Centro Sociale »Rivolta« aus Mestre den Leuten verabreicht wurden, die in Venedig Flugblätter zur Unterstützung der Verhafteten von Genua verteilt hatten. Die Aktivisten fühlten sich wegen der in den Flugblättern vorhandenen Polemik gegen die Tute Bianche beleidigt. Später verteidigten sie ihre Reaktion in einer Erklärung, die von Drohungen gegen ihre politischen Gegner strotzte.

In diesem von allen Seiten angeheizten Klima der Einschüchterung und Gewalt fühlt sich mancher an die schlechteren Zeiten der Autonomia Organizzata erinnert, als die Ordnungsdienste der verschiedenen linksradikalen Clans »ihre« Einflussbereiche mit Knüppeln gegen die jeweiligen Rivalen verteidigten.

Denkbar schlechte Ausgangsbedingungen also für einen Widerstand gegen das Nato-Treffen in Neapel, zumal die Stadt bereits im März der Schauplatz einer Generalprobe für die Konferenz von Genua war. Damals protestierten 30 000 Menschen aus allen sozialen Schichten gegen eine Tagung des Global Forum zur Informationstechnologie. Auch dort gab es eine Rote Zone und beim Versuch, sie zu durchbrechen, wurden alle Demonstranten unterschiedslos von der Polizei geprügelt. Die Berichte der Verhafteten, die sich im Polizeipräsidium entwürdigenden Behandlungen durch die Ordnungskräfte unterziehen mussten, lesen sich wie eine Vorwegnahme der Ereignisse von Genua.

Die heutige Bürgermeisterin von Neapel, Rosa Jervolino, will zwar keine verbotene Zone. Als aber der Sprecher des Rete No Global, Francesco Caruso, für den Widerstand gegen den Nato-Gipfel ankündigte, angesichts der im März erfahrenen Gewalt der Polizei »nicht unvorbereitet auf die Straße zu gehen, um das Treffen zu belagern«, klappte die Medienfalle zu. Aus dem »nicht unvorbereitet« wurde ein »nicht unbewaffnet«. Und da er noch hinzufügte, dass »sie diesmal schon auf uns schießen müssen, um uns den Zugang zu verschiedenen Bereichen der Stadt zu verwehren«, phantasierte die gesamte italienische Presse über den in Neapel angekündigten bewaffneten Straßenkampf.