Der Feind steht rechts IX

Die Wanze der Nation

Der Feind steht rechts IX. Miroslav Tudjman hört nicht nur den kroatischen Telefonverkehr ab, er ist auch noch Parteichef. Über seine Rolle während des Krieges schweigt er lieber.

Man spricht nicht gerne über den »kleinen Prinzen« in Kroatien. Zumindest nicht am Telefon. Auch über E-Mail oder Fax tauscht man ungerne Informationen aus über Miroslav Tudjman, den 53jährigen Sohn des verstorbenen Präsidenten Franjo Tudjman. »Als Chef des Geheimdienstes HIS hat er sicherlich einiges mit den Kriegsverbrechen der kroatischen Armee in Bosnien und der Krajina zu tun gehabt. Aber darüber sollten wir uns nicht am Telefon unterhalten«, erklärte etwa ein Reporter des kroatischen Staatsfernsehens gegenüber Jungle World.

Diese Vorsicht ist durchaus angebracht, denn wenn irgendwo im kroatischen Telekommunikationsnetz der Name Miroslav Tudjman fällt, stehen die Chancen gut, dass er auch davon erfährt. Zwar ist der Informatiker schon längst nicht mehr Chef des kroatischen Geheimdienstes HIS und sein Vater nicht mehr der mächtigste Mann des Adria-Staates. Dennoch hat es der wohl intelligenteste Sprössling der ehemaligen Herrscherfamilie geschafft, weiterhin Macht durch Wissen zu generieren.

Mehr als eineinhalb Jahre nach dem Dahinscheiden seines Vaters kontrolliert Miroslav Tudjman noch immer den Geheimdienst NSEI, der sich ausschließlich mit dem Abhören des Telefonnetzes beschäftigt. Noch niemand ist auf die Idee gekommen, den »kleinen Prinzen« von seinem Posten zu entfernen, obwohl er das kleine Kroatien mit einem schwer zu durchschauenden Netz an konkurrierenden Geheimdiensten überzogen hat. Insgesamt neun Dienste wetteifern miteinander, und nur die wenigsten von ihnen arbeiten auf Basis irgendwelcher Gesetze: »Für den NSEI gibt es keine gesetzlichen Grundlagen, aber er wird aus dem Staatsbudget gespeist«, bedauert ein Berater des kroatischen Premiers Ivica Racan gegenüber Jungle World.

Schon kurz nachdem Franjo Tudjman Ende 1999 ins Koma gefallen war, ordnete der Sohn die Überwachung sämtlicher Telefongespräche des Übergangspräsidenten Vlatko Pavletic an. Er ahnte wohl, dass die Kroatische Demokratische Bewegung (HDZ) bald in zwei Fraktionen zerfallen würde; in jene, die das belastete Tudjman-Erbe möglichst rasch abschütteln wollte - unter ihnen auch Pavletic -, und in jene, die an das Erbe anknüpfen wollten: Miroslav Tudjman und sein Kompagnon Ivica Pasalic.

Nachdem die HDZ die Wahlen Anfang 2000 verloren und Stipe Mesic den Präsidentenposten von Pavletic übernommen hatte, setzte Miroslav Tudjman schließlich an, sich als neuer HDZ-Chef zu etablieren. Der Coup misslang: Der gemäßigte Ivo Sanader wurde HDZ-Vorsitzender. Tudjman musste sich ein anderes Betätigungsfeld suchen.

In diesem Frühjahr gründete Miroslav Tudjman sein rechtsextremes Komitee für die Prosperität Kroatiens (HIP) und fuhr damit bei den Kommunalwahlen im Mai einen Achtungserfolg ein. In Zagreb erhielt seine Partei immerhin sieben Prozent der Stimmen. Seitdem spekuliert man in der kroatischen Hauptstadt darüber, ob der Wahlerfolg von Tudjmans Partei vielleicht mit seiner Rolle als Geheimdienstler zu tun hat. Weil Miroslav Tudjman mit dem technischen Equipment seines Abhördienstes NSEI jedes Gespräch politischer Kontrahenten aufzeichnen konnte, war er wohl auch in der Lage, politisch frühzeitig zu reagieren.

Es ist deutsche Technik, die Miroslav Tudjman in die Lage versetzt, als Wanze der Nation zu fungieren. Die Ausrüstung des NSEI-Dienstes ist deutscher Herkunft, basiert aber auf dem US-amerikanischen Echelon-System. Überhaupt gilt Miroslav Tudjman als Freund der USA und musste deshalb gelegentlich Kritik von seinem Vater einstecken, der Kroatien als Opfer einer internationalen Konspiration zwischen Washington, Moskau und Belgrad sah.

Eng werden für ihn könnte es trotz seiner Sympathien für die Weltmacht. Offenbar hat das Haager Kriegsverbrechertribunal bereits Mitte Juli bei Premier Ivica Racan angefragt, ob Tudjman zu einigen Massakern Auskunft geben könne, die von der kroatischen Armee und von Sondereinheiten in Zentralbosnien 1993 und während der Rückeroberung der Krajina 1995 verübt worden sein sollen.

Besonders das mutmaßliche Massaker an 118 muslimischen Zivilisten im zentralbosnischen Städtchen Ahmici im Jahre 1993 durch Sondereinheiten der kroatischen Armee könnte dem damaligen Chef des kroatischen Geheimdienstes HIS zum Verhängnis werden. Denn kurz nach dem Amtsantritt der neuen Regierung im Frühling letzten Jahres tauchten Dokumente auf, die eine Mitverantwortung der politischen Führung in Zagreb nahe legen und die bisherige offizielle Version unhaltbar machen. Bisher wurde recht bemüht die Legende aufrecht erhalten, dass Ahmici und das bosnische Lasva-Tal im Jahre 1993 eine kroatische Enklave waren - von muslimischen Truppen eingeschlossen und ohne Verbindung nach Zagreb.

Als Alleinverantwortlicher für das Massaker in Ahmici galt bislang der Kommandant der Enklave, Tihomir Blaskic. Für seine Verbrechen wurde er im letzten Jahr vom Haager Tribunal zu 45 Jahren Haft verurteilt. Ein bequemes Urteil für Chefanklägerin Carla Del Ponte, die bislang kein Interesse zeigte, die direkte Verantwortung der Zagreber Führung zu recherchieren. Dabei hatte sie noch vor der Verurteilung aus Zagreb Dokumente erhalten, die belegen, dass Franjo Tudjman als Staatschef und Miroslav als Geheimdienstchef das Massaker mitverantworteten oder gar anordneten. Blaskic soll nach dem grausamen Schauspiel in Ahmici sogar eine Untersuchung der Ereignisse angeordnet haben. Das aber ignorierten die Richter in Den Haag. Vielleicht aus politischer Rücksichtnahme, vielleicht aus bloßer Fahrlässigkeit.

In den nächsten Wochen wird sich die Regierung von Ivica Racan wohl entscheiden müssen, ob Miroslav Tudjman von Ermittlern des Tribunals befragt werden darf. Die Regierung in Zagreb könnte das in die nächste Krise stürzen, verstand Tudjman es bislang doch immer sehr geschickt, den Zorn der Bevölkerung gegen die Regierung zu lenken.