Debatte um neuen Terrorismus in Italien

Edel und hochherzig

Es ist viel über die Frage diskutiert worden, ob das Wüten der Polizei während des G-8-Gipfels Ende Juli in Genua von der neuen rechten Regierung unter Silvio Berlusconi geplant war oder ob es eine Panne darstellte. Aber kaum jemand hat bisher in Erwägung gezogen, dass es vielleicht das unausgesprochene Ziel mancher Regierungsvertreter war, eine neue Form des Terrorismus heraufzubeschwören. In Italien haben die herrschenden Kreise Erfahrung darin, eine breite, aber diffuse Protestbewegung zu stoppen, indem sie sie spalten: in eine kleine waffenschwingende Minderheit und eine Mehrheit, die angesichts dieses »Spektakels der Gewalt« nicht mehr weiß, was sie denken soll und die dann nach Hause geht.

Aber während dieser Prozess beim letzten Mal lange dauerte, von 1968 bis zur Entführung Aldo Moros, dem Vorsitzenden der italienischen Christdemokraten (DC), zehn Jahre später, ging nun alles viel schneller. Die seit dem Gipfel in Genua ständig zu vernehmenden Warnungen der staatlichen Institutionen und der Medien vor einem »qualitativen Sprung« des Terrorismus materialisierten sich zuerst in einem Sprengsatz, der vor dem Gerichtsgebäude in Venedig am 9. August explodierte. Allerdings müssen auch die Untersuchungsbehörden zugeben, dass keiner der Bekennerbriefe glaubhaft klingt und es unklar bleibt, ob Linke, Rechte oder gewöhnliche Kriminelle die Bombe gelegt haben.

Eine originelle Erklärung hat nur der Minister für regionale Fragen, Umberto Bossi von der Lega Nord, zu bieten: die neue »Strategie der Spannung« werde von Teilen der Geheimdienste geschürt, die mit der Linken sympathisierten und die neue Regierung behindern wollten. Dass der Terrorismus der siebziger Jahre weitgehend von den rechten Geheimdiensten organisiert wurde, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Dieses Mal wird das Schema variiert. Währenddessen bekommt Silvio Berlusconi die übliche Ration Kugeln per Post zugeschickt. Also ist es höchste Zeit, dass, wie in den siebziger Jahren, von parteiübergreifender »nationaler Solidarität« geredet wird.

So forderte Berlusconi in einer »edlen und hochherzigen Erklärung«, wie sie einer seiner Mitarbeiter nannte, die Opposition zum gemeinsamen Kampf gegen die Subversion auf. Ein offenes Ohr fand er sofort beim Fraktionsvorsitzenden der Linksdemokraten im Abgeordnetenhaus, Luciano Violante, der sich gegen die »Kriminalisierung der Polizei« aussprach. Auch die angestrebte Reform der Geheimdienste hat die Opposition bereits als diskussionswürdig bezeichnet.

Mit den gewalttätigen Ausschreitungen der Polizei während des G 8-Gipfels beschäftigt sich auch noch immer die Staatsanwaltschaft. Sie ist in den Besitz einer Liste der 70 Beamten der mobilen Einsatzgruppe GOM gelangt, die über jene Metallknüppel verfügten, deren Spuren die in der Diaz-Schule verletzten Demonstranten aufweisen. Eine Anklageerhebung gegen namentlich bekannte Mitglieder der GOM ist nunmehr möglich und in die Schusslinie ist vor allem deren Chef, Vincenzo Canterini, geraten. Zu seiner Verteidigung bot sich sofort der rechte Staranwalt Carlo Taormina an, der gleichzeitig Staatssekretär im Innenministerium ist. Nach Protesten der Opposition musste ihm Innenminister Claudio Scajola allerdings betreten klarmachen, dass dies mit seinem Amt nicht vereinbar sei. Man darf gespannt sein, was die Staatsanwaltschaft tun wird, die inzwischen dementiert hat, sie »verhandele« mit der Spitze der Polizei.

Indes sind vergangene Woche nach mehr als drei Wochen Haft die 19 Mitglieder der österreichischen Theatergruppe »Volkstheaterkarawane«, deren Requisiten die Polizei als Waffen beschlagnahmt hatte, auf freien Fuß gesetzt und ausgewiesen worden. Fünfzehn Deutsche befinden sich weiterhin in Haft.