Simeon II. regiert

König am Markt

Seit Ende Juli regiert in Bulgarien wieder Simeon II. - diesmal als Ministerpräsident.

Alle kennen ihn, niemand aber weiß genau, wer er ist. Vielleicht konzentrieren sich genau deshalb auf seine Person die Hoffnungen auf eine baldige Verbesserung der Situation in Bulgarien. Simeon II. ist der ehemalige König des Landes, der nach 55 Jahren im Exil aus Spanien nach Bulgarien zurückgekehrt ist. Er war neun Jahre alt, als er 1946 nach dreijähriger Herrschaft von der Kommunistischen Partei abgesetzt wurde. Im April dieses Jahres gründete er seine eigene Partei, die Nationale Bewegung Simeon II. (NDS II), mit der er Mitte Juni bei den Parlamentswahlen 43 Prozent der Stimmen errang. Nun ist er Ministerpräsident eines Kabinetts, dessen Minister noch ebenso unbekannt sind wie seine Politik.

Die politische und ökonomische Entwicklung des Landes nach der Wende zum Kapitalismus von 1989/90 ist von vielerlei Schwierigkeiten gekennzeichnet. Unter dem realsozialistischen Regime hatte es nie eine starke Bewegung von Dissidenten gegeben, die wie in anderen Ländern des Ostblocks später in die Regierung integriert worden wäre. So wandelten sich die Parteikommunisten formal zu Sozialisten, ohne dass ein substanzieller Austausch des Personals stattgefunden hätte. Als Gegenpart entstanden die Vereinigten Demokratischen Kräfte (ODS) der bürgerlichen Rechten, eine Partei, die in den letzten zehn Jahren hauptsächlich durch interne Spaltungen und Richtungskämpfe aufgefallen ist.

Ein Ergebnis dieser politischen Pattsituation waren häufige Regierungswechsel zwischen den beiden Parteien, die mit dem Umbau der Plan- hin zur Privatwirtschaft begannen und damit das Land nahe an eine soziale Katastrophe führten.

1997 wurden die damals regierenden Sozialisten von wochenlangen Hungerprotesten und Streiks wegen einer Brotpreiserhöhung gestürzt. Daraufhin übernahm die ODS die Macht und erreichte mit ihrem Privatisierungskurs zwar eine Verbesserung der Konjunkturdaten und die Aufnahme in den Kreis der osteuropäischen EU-Anwärterstaaten, nicht jedoch eine signifikante Erhöhung des Lebensstandards.

So stürzte die Partei unter Regierungschef Iwan Kostow bei den diesjährigen Wahlen auf unter 20 Prozent der Wählerstimmen ab. Die Arbeitslosenquote liegt heute nach offiziellen Schätzungen bei 18 Prozent, nach Ansicht des Vorsitzenden der Konföderation der unabhängigen Gewerkschaften, Scheljasko Christow, jedoch eher bei 28 Prozent. Ein Großteil der Bevölkerung lebt am Rande des Existenzminimums.

Während sich in der Haupstadt Sofia eine bürgerliche Schicht herausgebildet hat, muss insbesondere die Landbevölkerung die Folgen der sozialen und ökonomischen Umwälzungen tragen. Es ist kein Wunder, dass die Heilsversprechungen der königlichen Partei hier besonders beliebt waren. Viele Menschen haben genug von den Parteifunktionären, die nicht selten in Korruptionsgeschäfte verwickelt sind. Der König hingegen verspricht, die Korruption wirksam zu bekämpfen und innerhalb von 800 Tagen den Lebensstandard der Bevölkerung deutlich zu erhöhen.

Mit seinem emphatischen »Glaubt mir!« sowie seinen Parolen von Ehrlichkeit persönlicher und historischer Verpflichtung gegenüber seinem Land versucht er sich an der Inthronisierung seiner Person als moralischer Instanz, damit stellt er sich in die Tradition des Zaren als Fürsorger seines Volkes.

Ein regelrechter Kult hat sich um seine Person entwickelt, seit er 1996, zum ersten Mal nach seiner Flucht, Bulgarien wieder bereiste. Von seinen Anhängern wird er, der niemals abdankte, Majestät genannt. Simeon II., mit bürgerlichem Namen Simeon Borisow Saxcoburggotski, gilt ihnen als Erlöser der Armen. Er verspricht ein »spirituelles und ökonomisches Wiederaufblühen Bulgariens« und nährt damit die Hoffnungen der Verlierer der Transformation.

Doch hinter den Wahlkampfversprechen wartet die neue Regierung mit einem westlich-orientierten, technokratischen Programm auf. Die Koalition der NDS II mit der Partei der türkischen Minderheit, der Bewegung für Recht und Freiheit, wird die von ihren Vorgängern begonnene Liberalisierung der Wirtschaft fortführen. Und dass dabei eine Erhöhung der Renten und Löhne herauskommt, ist mehr als unwahrscheinlich.

Verantwortlich für die Wirtschafts- und Finanzpolitik des Kabinetts sind zwei junge, aus dem Exil zurückgekehrte Bulgaren, die in Finanz- und Beratungsfirmen des Westens Karriere gemacht haben. Der designierte Wirtschaftsminister Nikolaj Wassilew hat seine Reformvorschläge bereits konkretisiert. Sein Plan zur Senkung der Spitzensteuersatzes für Einkommen von 38 auf 29 Prozent kommt jedenfalls nicht den Kleinverdienern zugute.

Noch profitiert der König davon, dass seine Person weder mit der so genannten kommunistischen Vergangenheit, noch mit den politischen Umwälzungen der letzten zehn Jahre verbunden wird, wohl aber mit dem finanziellen Erfolg im »goldenen« Westen. Er war im spanischen Exil als Geschäftsmann zu Reichtum gekommen; worin allerdings seine Geschäfte bestanden, ist nach wie vor unklar. Weder in Selbstdarstellungen, noch in Zeitungsberichten sind konkrete Angaben über seine früheren Tätigkeiten zu finden.

Angesichts des aktuellen sozialen Desasters hat der Rückbezug auf monarchistische Zeiten in Bulgarien Konjunktur. Von der Verklärung der Regentschaft Boris III., der nazikompatible Vater Simeons herrschte in den dreißiger Jahren in Bulgarien, profitiert auch der Sohn. Doch das Phänomen der Beliebtheit von Simeon II. darauf zu reduzieren, reicht nicht aus.

Vielleicht verfolgt er das langfristige Ziel der Wiedereinführung der konstitutionellen Monarchie, doch widerspricht das keineswegs der Eingliederung in die formal demokratischen, marktwirtschaftlichen Systeme und Sicherheitsbündnisse des Westens. Im Gegenteil, seine Regierung will die Aufnahme Bulgariens in Nato und EU vorantreiben; dabei dürften die ihm nachgesagten guten Kontakte zur internationalen Finanzwelt von Nutzen sein.

Der rasante Aufstieg von Simeon II. ist kein Phänomen des Ostens und erinnert zuweilen an westliche Vorbilder. Italien hat seinen »Zaren« in Berlusconi gefunden, der ebenfalls aus dem Nichts ins Rampenlicht trat und damit Erfolg hat. Auch in der politischen Rhetorik lassen sich Parallelen zum Westen ziehen. Hier gehört es ebenfalls zum politischen Geschäft, sich eine Frist zu setzen, in der sich alles zum Bessern wenden soll. Und im Osten wie im Westen laufen die Fristen ab, ohne dass die Versprechungen eintreten.