Serbien wartet auf versprochene Kredite

Ohne Cash in den Crash

Die serbische Regierung wartet bislang vergeblich auf die versprochenen westlichen Kredite.

Der angeheuerte Kopfgeldjäger, der Slobodan Milosevic in einer Nacht-und-Nebel-Aktion an das Haager Tribunal auslieferte, wartet bis heute auf die versprochene Belohnung seiner Auftraggeber. Nun gerät er in Panik und beginnt gar, seine Auftraggeber öffentlich zu brüskieren.

In Interviews äußert der serbische Ministerpräsident Zoran Djindjic seinen Unmut darüber, dass zugesagtes Geld zum Wiederaufbau aus den USA und der EU für Jugoslawien nicht gezahlt bzw. für andere Zwecke verwendet wird. Nach zehn Jahren Krieg und Wirtschaftssanktionen sei die serbische Wirtschaft »praktisch bankrott«.

Im Rahmen des Balkan-Stabilitätspaktes seien seinem Land mehrere Milliarden Mark versprochen worden, doch bislang seien in Serbien nur etwa 400 Millionen Mark angekommen, die komplett für Energielieferungen ausgegeben werden mussten. »Wir sind wie ein Boxer im Ring, dem in der letzten Runde zwei Liter Blut abgezapft werden«, sagte Djindjic.

Einen Tag nach der Auslieferung Milosevics hatte die Brüsseler Geberkonferenz, an der 42 Staaten und 26 internationale Organisationen teilnahmen, der Bundesrepublik Jugoslawien noch für dieses Jahr Soforthilfen in Höhe von 1,3 Milliarden Dollar zugesagt. Bereits im Sommer sei mit dem Geldregen zu rechnen, hatte Miroljub Labus, Jugoslawiens Verhandlungsführer in Brüssel, zum Abschluss der Geberkonferenz erklärt.

Doch jetzt präsentieren die Diplomaten der »Geberländer« beim Öffnen ihrer Koffer nicht Bargeld in Bündeln, sondern alte Schuldscheine. Und sie erklären dem Ministerpräsidenten, der vorrangige Verwendungszweck des in Aussicht gestellten Geldes läge nicht in Soforthilfe, sondern in der Begleichung jugoslawischer Altschulden.

Im August sollte Serbien ursprünglich eine erste Rate von 300 Millionen Euro für den Wiederaufbau erhalten. Statt der Überweisung erhielt die Belgrader Regierung jedoch die Mitteilung, dass davon gleich 225 Millionen Euro zur Tilgung von Schulden einbehalten würden, die teilweise noch aus der Tito-Zeit stammen. Zwei Drittel der Summe sind »Strafzinsen«, weil Milosevic sich weigerte, diese Kredite zurückzuzahlen. Die restlichen 75 Millionen Euro soll Serbien frühestens im November erhalten. »Man gibt einem Schwerkranken die Medizin, wenn er tot ist. Unsere Krisenmonate sind Juli, August und September«, kommentierte Djindjic die Entscheidung.

Aktuell sind nur noch 25 Prozent der serbischen Produktionskapazitäten einsatzbereit. Die Arbeitslosenquote liegt bei 50 Prozent. Erst vor kurzem wurden unpopuläre Steuergesetze verabschiedet, weil der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank diese drastischen Maßnahmen forderten. 330 000 Familien leben mit einem Einkommen unter 40 Mark monatlich, 600 000 Flüchtlinge sind auf Zahlungen aus dem Staatshaushalt angewiesen. Djindjic rechnet damit, hier noch immer Optimist, dass 100 000 Menschen durch die von westlichen Kreditgebern geforderte Transformation der Wirtschaft ihren Arbeitsplatz verlieren.

Die Rechnung, die der serbischen Regierung jetzt präsentiert wird, stammt noch aus der Zeit des jugoslawischen Gesamtstaates. Um Jugoslawien im Zuge nachholender Modernisierung für den Weltmarkt fit zu machen, hatte die Tito-Regierung in den sechziger und siebziger Jahren jeden günstigen Kredit, der zu haben war, angenommen. Um das innerstaatliche Nord-Süd-Gefälle auszugleichen, war ein Großteil dieses Geldes im Süden des Landes, vor allem in der serbischen Republik, investiert worden.

Als die Zinsen auf dem Weltkapitalmarkt Anfang der achtziger Jahre drastisch in die Höhe schnellten, stand Jugoslawien kurz vor dem Staatsbankrott und musste sich zur Erhaltung der Kreditwürdigkeit drakonischen »Anpassungsprogrammen« des IWF unterwerfen. Von 1981 bis 1987 zahlte Jugoslawien rund 30 Milliarden US-Dollar an die internationalen Gläubiger, allein 1987 betrug die Schuldendienstrate 46,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Dennoch wuchs die Verschuldung in den achtziger Jahren von 14 auf 22 Milliarden Dollar.

Die internationalen Banken konnten zwar schon damals nicht damit rechnen, dass die Kredite irgendwann einmal vollständig zurückfließen würden; solange aber die Zahlung von Zinsen erfolgte, waren sie nicht gezwungen, diese Forderungen offiziell abzuschreiben und als Verluste in ihren Bilanzen auszuweisen. Daher waren die Banken und mit ihnen IWF und Weltbank daran interessiert, die Fiktion einer jugoslawischen Zahlungsfähigkeit aufrechtzuerhalten.

Gleichzeitig kamen von Seiten des IWF immer radikalere Forderungen zur Umstrukturierung und Privatisierung der Wirtschaft, die die staatliche Implosion beschleunigten. So sollte für etwa 2 500 jugoslawische Unternehmen mit etwa 1,9 Millionen Beschäftigten Konkurs angemeldet werden - bei einer Gesamtzahl von 2,7 Millionen jugoslawischen Industriearbeitern.

1991 benötigte Jugoslawien nach Angaben des zuständigen Parlamentsausschusses vier Milliarden Dollar, um seine Außenliquidität zu bewahren. Doch nach den Unabhängigkeitserklärungen Sloweniens und Kroatiens im Sommer 1991 wurde ein bereits beschlossener Kredit der EU in Höhe von 1,6 Milliarden Mark auf Veranlassung der deutschen Regierung storniert. Im Zuge von Separatismus und Krieg blieb Jugoslawien auf etwa zwölf Milliarden Dollar der Altschulden sitzen, die von der Milosevic-Regierung nicht bedient wurden.

Als in Frankfurt geschulter Realpolitiker unterbreitete Djindjic dem Pariser Club jetzt einen pragmatischen Vorschlag: Nach dem bosnischen Modell sollen Serbien 65 Prozent der Schulden erlassen, der Rest von vier bis fünf Milliarden Dollar müsste über 30 Jahre gestreckt werden. Doch im Vergleich mit den serbischen waren die bosnischen Altschulden für die Gläubiger Peanuts.

Das weiß auch Djindjic. Angesichts der grassierenden Armut und der Unzufriedenheit der Bevölkerung sieht er seine Machtbasis bröckeln und beginnt zu drohen: »Als ich Oppositioneller war, hatte uns die Europäische Union drei Milliarden Mark in Cash für den Sturz von Milosevic versprochen. Wo sind die?«, sagte er dem Spiegel. Gleichzeitig warnt er den Westen vor einem Sturz seiner Regierung, der zu einem Zerfall Jugoslawiens führen könnte. Viel Vertrauen in seine westlichen Verbündeten scheint er nicht mehr zu besitzen. »Vielleicht wäre es besser gewesen«, so Djindjic, »Milosevic hier zu behalten.«