Debatte über Kriegsverbrecher

Papa, hilf!

Die kroatische Regierung steckt in einer schweren Krise: Die Kriegsverbrecherdebatte und die wirtschaftliche Misere lassen die rechte Opposition stärker werden.

Anfang August erhielt Papst Johannes Paul II. einen mehr oder minder verzweifelten Brief des kroatischen Staatspräsidenten Stipe Mesic. Bitter beklagte sich Mesic darin über die Statements der kroatischen Bischöfe zur Regierungspolitik und forderte den Papst auf, seinen kirchlichen Würdenträgern die ständige politische Einmischung zu verbieten.

Besonders in den letzten Wochen haben sich einige der kroatischen Bischöfe vehement gegen die Kooperation der Regierung mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag gewandt, und im streng katholischen Kroatien verfehlt so etwas seine Wirkung nicht. »Es ist ganz normal, dass Staatsmänner einander Briefe schreiben«, versuchte die Präsidentschaftskanzlei in Zagreb die öffentliche Erregung über die Intervention abzuschwächen. Mesic selbst verteidigte den ungewöhnlichen Schritt: »Ich wollte einfach, dass der Heilige Vater auch unsere Sicht der Dinge kennenlernt und nicht immer von der anderen Seite unterrichtet wird«.

Nachdem die katholische Kirche des Landes über ein Jahr lang stillgehalten hatte und sich mehr oder minder unpolitisch gab, werden nun wieder die alten Seilschaften zwischen dem Klerus und der rechten Opposition sichtbar. Die Kooperation der Regierung mit dem Tribunal in Den Haag lässt die Verbündeten zusammenrücken.

Schon im Februar, als der wegen Kriegsverbrechen angeklagte kroatische General Mirko Norac in Rijeka festgenommen wurde, organisierte die regionale Kirche gemeinsam mit Veteranen des »Vaterländischen Krieges« und der ehemaligen Tudjman-Partei Kroatische Demokratische Bewegung (HDZ) mehrere Großdemonstrationen gegen die Rechtshilfe für das Tribunal. Doch das war nur der erste Schritt zur politischen Reaktivierung nationalistischer Kreise, die seit dem Tod des Staatsgründers Franjo Tudjman Ende 1999 recht paralysiert stillhielten. Die neuen juristischen Begehrlichkeiten des Haager Tribunals und offensichtliche Fehler der Regierung machen es dem rechten Block nun leichter, sich Mehrheiten zu erobern.

In einigen Wochen, nach der politischen Sommerpause, wird sich die aus fünf Parteien bestehende Regierungskoalition einer ganzen Reihe von Problemen widmen müssen. Erst vor wenigen Tagen haben Polizei und Armee mit einem Aufstand gedroht, weil sich die Regierung nach langem Zögern durchgerungen hat, in beiden Institutionen Personal abzubauen. Die Polizei soll von derzeit 16 000 Mann auf 12 200 Mann reduziert werden, und auch die Armee wird von derzeit 42 000 auf 25 000 Mann zusammengestutzt.

Zwar begründet die Regierung den Personalabbau mit Budgetnöten, tatsächlich aber möchten die ehemaligen Oppositionellen des Tudjman-Regimes wohl die HDZ-Parteigänger in beiden Organisationen vor die Tür setzen. Tudjman hatte besonders die Polizei mit treuen HDZ-Parteigängern besetzt, deren einzige Qualifikation vor allem das richtige Parteibuch war. »6 000 unserer Polizisten haben lediglich die Volksschule besucht und das macht sie auch anfällig für die massive Korruption in den Reihen unserer Sicherheitskräfte«, beklagt Kroatiens Innenminister Simo Lucina.

Für die langsam wieder erstarkende HDZ und andere Vertreter der rechten Opposition sind solche Vorhaben natürlich ein Glücksfall. Einerseits können sie die Massenentlassungen als weitere Verschlechterung der tristen Beschäftigungslage geißeln - 22 Prozent der Kroaten sind offiziell arbeitslos - und andererseits liefert ihnen der Personalabbau bei Polizei und Armee einen Grund, der Regierung Verrat an den Verteidigern des Vaterlandes vorzuwerfen.

Die Verhaftung von Mirko Norac im Februar, die Auslieferung des kroatischen Generals Ante Gotovina und die wohl bevor stehende Auslieferung seines Kollegen Rahim Ademi sind nur ein Vorgeschmack auf die Prüfungen für die Regierung. Denn bald könnte es noch weit prominentere Vertreter des Tudjman-Regimes erwischen: So meldet die kroatische Wochenzeitung Nacional, auch Miroslav Tudjman, der Sohn des ehemaligen Staatspräsidenten und frühere Chef des Geheimdienstes HIS, könnte bald nach Scheveningen ausgeliefert werden. Auch den früheren Generalstabschef der kroatischen Armee könnte es bald erwischen: Janko Bobetko wird vorgeworfen, die gesamte »Operation Sturm«, also die Rückeroberung der Krajina 1995 samt der systematischen Vertreibung und Massakrierung serbischer Zivilisten, geplant zu haben. Die entsprechenden Verfügungen der Haager Chefanklägerin Carla Del Ponte soll die kroatische Regierung am 19. und 20. Juli erhalten haben. Janko Bobetko zumindest rechnet ganz fest mit seiner Verhaftung und hat schon mal alles zugegeben: »Ich habe die Operation Sturm geplant, nicht Ante Gotovina!«, betitelte die kroatische Zeitung Jutarnij List ein Interview mit dem General Anfang August.

Neben dem Sohn Tudjmans und Bobetko sollen 30 weitere Namen auf der Wunschliste Carla Del Pontes stehen, und das bedeutet 30 nahezu unlösbare politische Probleme für die kroatische Regierung. Schon die Auslieferung Gotovinas hatte zu einer Marathonsitzung im Parlament geführt und wieder einmal gezeigt, dass die Regierungskoalition nicht besonders stabil ist. Die Istrische Demokratische Partei (IDS) trat wegen der Kriegsverbrecherdebatte aus der Koalition aus, und auch die nach den Sozialdemokraten zweitgrößte Regierungspartei, die Sozialliberalen (HSLS), sind in dieser Frage gespalten. Überhaupt wird den Sozialliberalen nachgesagt, bei den nächsten Wahlen einem klassischen Reflex liberaler Parteien nachzugeben und mit fliegenden Fahnen die Verbündeten zu wechseln; wenn die nationalistische Opposition sich beim Urnengang behauptet, könnten sie mit ihr koalieren.

Miroslav Tudjman will dafür sorgen, dass dieses Szenario real wird. Er hat sein Komitee für Wohlstand (HIP) in eine Partei umgewandelt und in Bewegung für die Rückkehr der Wahrheit (CTR) umbenannt. Erstes Ziel der neuen rechten Sammelbewegung: Mit der Rückkehr der Wahrheit kehren auch die mutmaßlichen Kriegsverbrecher zurück in die Mitte der Gesellschaft.

Alleine der politischen Raffinesse der Erben Tudjmans aber ist der schleichende Niedergang der kroatischen Regierung nicht zuzuschreiben. Die Koalition hat es nicht geschafft, sich als formende politische Kraft zu profilieren. Sie beschwört noch immer das schwierige Vermächtnis des ehemaligen Staatspräsidenten. Die schizophrene Haltung, einerseits mutmaßliche Kriegsverbrecher auszuliefern, andererseits aber selbst so umstrittene Feldzüge wie die Rückeroberung der Krajina als »gerecht« und als notwendige Operation zur »Verteidigung des Vaterlandes« zu bezeichnen, hilft nur den rechten Nationalisten.