Rechtsanwalt Jannis Stamoulis über Entschädigungen für NS-Verbrechen

»Fischer hat seine Meinung geändert«

Noch immer weigert sich die Bundesregierung, Entschädigungen für NS-Kriegsverbrechen in Griechenland zu zahlen. Eine Gruppe von Klägern hat gerichtlich durchgesetzt, die Gebäude des Goethe-Instituts und des Deutschen Archäologischen Instituts in Athen zu pfänden. Mit dem Erlös sollen die Verwandten und Nachkommen der Opfer eines Massakers der Waffen-SS entschädigt werden, bei dem 1944 in der griechischen Kleinstadt Distomo mehr als 200 Menschen ermordet wurden (Jungle World, 24/00). Am 12. September soll die Pfändung stattfinden, der deutsche Antrag auf Aussetzung wurde Ende August abgelehnt.

Seit wann beschäftigen Sie sich mit dem Thema der Entschädigungen für NS-Kriegsverbrechen?

Die Klage habe ich schon 1995 erhoben. Bereits damals war ich fest davon überzeugt, dass den Opfern Recht gegeben werden wird. Die Bestimmungen des Haager Abkommens über das Kriegsrecht sehen die Haftungspflicht des Staates für die Taten seiner Exekutivorgane vor, also der Polizei und der Armee. Außerdem steht in der europäischen Menschenrechtskonvention, dass Deutschland in solchen oder ähnlichen Fällen keine Befreiung von der Haftungspflicht geltend machen kann. Diese Rechtsauffassung wurde auch vom obersten griechischen Gerichtshof, dem Areopag, bestätigt.

Griechische Gerichte haben schon in mehreren Fällen zugunsten der Kläger entschieden, im Juli wurde der Einspruch gegen die Zwangsversteigerung deutscher Liegenschaften in Griechenland abgelehnt. Warum hat die deutsche Regierung gegen ihre Erwartungen den Revisionsprozess verloren?

Die deutsche Seite ging davon aus, dass nach der griechischen Rechtsprechung eine Zwangsvollstreckung gegen einen fremden Staat nur mit der Zustimmung des Justizministers zulässig sei. Und wenn Druck auf die griechische Regierung ausgeübt wird, dann würde sie einer Vollstreckung nie zustimmen. Aber nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs in Straßburg widerspricht diese Auffassung eindeutig der europäischen Menschenrechtskonvention. Derzufolge darf eine Regierung die Vollstreckung eines Gerichtsurteils nicht verhindern. Hinzu kommt, dass der griechische Staat bereits in zwei vergleichbaren Fällen verloren hat.

In welchem Maße ist es der griechischen Regierung überhaupt möglich, in den Prozess einzugreifen?

Die griechische Regierung hat das Sagen, wenn es um staatliche Ansprüche gegenüber Deutschland geht. Auf diese Ansprüche kann sie verzichten, nicht aber auf die Rechte griechischer Bürger. Eine gerichtlich beschlossene Pfändung kann sie nicht verhindern.

Wegen der Ansprüche griechischer Bürger könnte die Regierung in Athen diplomatischen Druck auf Deutschland ausüben. Damit könnte sie den Berechtigten helfen, Entschädigungen zu erhalten, die ihnen gerichtlich zugesprochen wurden. Leider ist das bisher nicht geschehen.

Im September soll nun das Oberste Sondergericht noch einmal über die Enteignungen entscheiden. Wie ist es dazu gekommen?

Der deutsche Staat hat schon einmal Revision gegen ein anderes Urteil eingelegt. In diesem Fall hatte ein Einwohner der Stadt Lidoriki Klage erhoben, weil die Waffen-SS sein Haus zerstört hatte. Damals wurde ihm auch in der zweiten Instanz eine Entschädigung zugesprochen, wie auch im Fall von Distomo. In der Revision entschied der erste Senat des Areopags damals wegen eines Minderheitenvotums des Vorsitzenden Richters Stephanos Matthias nicht, ob Deutschland sich auf ein Abkommen von 1953 berufen kann, das Immunität gegenüber der griechischen Gerichtsbarkeit gewährt. Deswegen wurde der Fall an das Oberste Sondergericht verwiesen, da nach der Verfassung dieses Gericht für internationale Abkommen zuständig ist.

Richter Matthias soll auch in diesem Gericht die leitende Rolle übernehmen. Sind die Erfolgsaussichten doch nicht so rosig?

Wir haben schon beantragt, Richter Matthias vom Vorsitz auszuschließen, weil er das Verfahren in unzulässiger Weise beeinflusst hat. Außerdem wurde bereits Einspruch gegen die Gerichtsentscheidung eingelegt, die das Thema an das Oberste Sondergericht verwies.

Ist es denn sinnvoll, ausgerechnet zwei gemeinnützige Einrichtungen wie das Goethe-Institut und das Deutsche Archäologische Institut zu pfänden?

Da sollte man unbedingt zwischen den Aktivitäten der Institute und ihrem Besitz unterscheiden. Die Liegenschaften sind nicht gemeinnützig, sie sind Vermögenswerte des deutschen Staates. Die dort ausgeübten Tätigkeiten, der Deutschunterricht oder andere Veranstaltungen, sind nicht von einem bestimmten Gebäude abhängig. Diese Institute verfügen über hohe Einkünfte. Das Goethe-Institut lehrt die deutsche Sprache ja gegen Bezahlung. Es kann auch ein anderes Gebäude mieten und dort seine Tätigkeiten ausüben. Niemand behindert seine kulturellen Aktivitäten. Kulturelle Veranstaltungen können schließlich auch in jedem Kino- oder Theatersaal durchgeführt werden. Ich kann nicht nachvollziehen, warum die Liegenschaft des Goethe-Instituts nicht versteigert werden könnte.

In zwei ähnlichen Fällen gibt es 1267 bzw. 700 Kläger, die auf den Ausgang des Verfahrens von Distomo warten. Die deutsche Regierung fürchtet weitere Entschädigungsforderungen. Ist das Verfahren von Distomo ein Präzedenzfall?

Es könnte ein Präzendeznfall werden. Schließlich hat das NS-Regime allein in Griechenland tausende Zivilisten hingerichtet, ohne in irgendeiner Weise dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Wer Verbrechen gegen die Menschheit begeht, darf sich später nicht darüber beklagen, dass er den Preis für sein Verhalten zahlen muss.

Die Kriegsgegner Deutschlands, auch Griechenland, haben in einem 1953 in London unterzeichneten Abkommen übereingestimmt, von Deutschland keine Wiedergutmachung zu fordern. Auf diese Weise gewährleistete man den Wiederaufbau Deutschlands, das sich in der Nachkriegszeit wieder zu einer Wirtschaftsmacht entwickeln konnte. Aus dem Kriegsverlierer wurde ein Friedenssieger.

Für diese Großzügigkeit seitens der Siegermächte sowie den Verzicht auf jegliche Rache, die im übrigen durchaus gerechtfertigt gewesen wäre, sollte das heutige Deutschland dankbar sein. Da es einen beneidenswerten Reichtum errungen hat, sollte es einsehen, dass es zumindest aus historischen Gründen bezahlen muss.

Haben Sie persönliche Kontakte zu Vertretern der deutschen Seite gehabt? Ist etwa ein Vergleich vorgeschlagen worden?

Im August 1998, nachdem das Landgericht von Livadia sein erstes Urteil gefällt hatte, habe ich kurz vor den Bundestagswahlen Bonn besucht. Ich hatte die Gelegenheit, Mitglieder aller großen Parteien zu treffen. Die Grünen und die PDS haben damals vorbehaltlos meiner Ansicht zugestimmt, dass Entschädigungen an Griechenland gezahlt werden sollten.

Die PDS vertritt diese Auffassung auch heute noch. Joseph Fischer hat hingegen seine Meinung geändert. Heute stimmt er als Außenminister den Ansichten, die er damals vertreten hat, nicht mehr zu. Die anderen Parteien haben mir versichert, dass sie die Forderungen als berechtigt ansehen. Sie wollen jedoch sicherstellen, dass Bürger anderer Staaten keine ähnlichen Forderungen erheben können.

Es darf dabei allerdings nicht übersehen werden, dass andere Staaten schon Entschädigungen erhalten haben. Griechenland bildet die Ausnahme.