Unfall des österreichischen Skifahrers Hermann Maier

Links ab, rechts dran

Ein 73jähriger Münchner schaffte, was sich Dutzende Profis seit Jahren vornahmen: den Österreicher Hermann Maier von der Skipiste zu stupsen.

Am vorletzten Wochenende rätselte ganz Österreich nur über eines: Wo befestigt man an Hermann Maier den zweiten Ski, wenn tatsächlich das rechte Bein und Hermann Maier getrennte Wege gehen müssten, also des Skifahrers Stelze infolge seines Motorradunfalls amputiert würde?

Schließlich hatte der »Herminator« am vorletzten Freitagabend auf ziemlich schmerzhafte Weise bemerken müssen, dass ein Mercedes der C-Klasse wesentlich unelastischer ist als eine Torstange in einem Super-G. Mit angeblich um die 80 Sachen bretterte das natürliche Sedativum österreichischer Minderwertigkeitskomplexe in der Nähe des Salzburger Ortes Radstadt auf seiner maßgefertigten Maschine gegen die Flanke eines roten Mercedes.

Vielleicht fuhr er deshalb so nah ran, um keine wertvollen Sekunden zu verlieren, doch der Ideallinie tat er damit keinen Gefallen. Maier flog in den Straßengraben und war, zumindest für diese Fahrt, nachhaltig disqualifiziert. Sein direkter Gegner war ein 73jähriger Münchner, der gerade einen Wochenendurlaub antreten wollte und leider nicht genügend Streckenkenntnisse aufwies, um die komplizierte Kreuzung zu bewältigen. Trotz eines Verbots wollte er links abbiegen, wurde aber in diesem Ansinnen vom »Herminator« jäh gehindert.

»Hermann Maier Opfer eines orientierungslosen Autofahrers«, titelte tags darauf die Internet-Boulevardzeitung täglich Alles und die Nation sah sich in einem bestätigt: Die Deutschen gönnen den Österreichern keine sportlichen Erfolge und mähen mit ihren Spießerschüsseln unsere hoffnungsfrohen Athleten nieder.

»Also ich muss mich doch sehr über den 73jährigen Deutschen wundern. Geht doch nach dem Unfall gemütlich noch wandern, hat überhaupt keine Gewissensbisse und macht sich noch einen schönen Tag. Was hat der für eine Charakter?! Ich fordere Sanktionen gegen Deutschland!!!« hyperventilierte ein offensichtlich atemloser Maier-Fan im Leserforum von Österreichs größter Tageszeitung, der Krone.

Genau. Sanktionen. Haben ja die Deutschen auch schon einmal gemacht. Zwar wegen der Regierung, aber egal. Einen Maier per oberer Mittelklasse in die Intensivstation zu befördern, ist mindestens so tragisch wie eine rechtsextreme Partei in die Regierung zu setzen. Um die Schuld des deutschen Attentäters zu beweisen, veränderte die Krone in einer Graphik zwei Tage nach dem Unfall auch gleich die Straßenmarkierung an der Unfallstelle. Dort, wo der Deutsche trotz Verbots nach links abgebogen war und deshalb mit Maier kollidierte, fehlte eigentlich die entsprechende Markierung.

Außer eben in der Krone: »In der Sonntags-Krone ist eine doppelte Sperrlinie eingezeichnet, die gibt es in diesem Straßenstück anscheinend gar nicht. Bitte in Zukunft genauer berichten. Alles Gute H.Maier.«, postete ein aufmerksamer Leser ins www-Forum von »His Housemasters Voice«. Derartige Optimierungen der Info-Graphiken sollten die Schuldfrage wohl eindeutig klären.

Wenige Tage später aber war die Amputationsgefahr für Hermann Maiers rechtes Bein gebannt und die offenen Brüche und Wunden verheilten rasch. Was täglich Alles erleichtert aufatmen ließ: »Wunde der Nation geschlossen«, therapierte das virtuelle Blatt seine Leser. Dass der »Herminator« aber auch im Straßenverkehr wahrscheinlich schneller fährt als denkt, hat er selber zugegeben. »Ich hab mir gedacht, ich reiße noch schnell den rechten Fuß hoch. Aber ich hab's mir doch noch anders überlegt«, ließ er ausrichten. Vielleicht hatte er sich kurz vor der Kollision auch überlegt, dass dieses rote Ding vor ihm mit seinen Reifen und Fenstern und Lichtern und Menschen drin ziemlich ungewöhnlich für eine Torstange aussieht. Und schließlich: Was macht eine Torstange mitten im Sommer auf der Straße?

Die ganze Nation begab sich jedenfalls in eine rasante Pendelbewegung der Seele, zwischen völliger Verzagtheit und Hoffnung. Die ganze Nation? Nein. Einige wenige hefteten sich nicht den mentalen Trauerflor an die eigene Befindlichkeit und ließen ihre Genesungswünsche relativ knapp ausfallen. Stefan Eberharter, ewiger Maier-Widersacher im Nationalteam der österreichischen Skifahrer: »Ich will dazu eigentlich nicht viel sagen, nur dass ich dem Hermann alles Gute wünsche und dass er so schnell wie möglich gesund wird.«

Der Wortlaut ist in etwa den Genesungswünschen des amerikanischen Ex-Präsidenten Ronald Reagan entnommen, als der damalige sowjetische Staatschef Juri Andropow vor sich hin siechte und dann auch prompt starb. Tatsächlich hat der 73jährige Deutsche den anderen Skifahrern einen ziemlich großen Gefallen getan. Seitdem Hermann Maier immer am schnellsten von oben nach unten rutscht, bleibt den Teamkollegen höchstens noch die Statistenrolle.

Nun, etwas mehr als eine Woche nach der Maierschen Schieflage im Straßengraben, muss Eberharter wohl seine Hoffnungen begraben, den bulligen Hermann loszuwerden, der Rest der Nation bangt nicht mehr um Maiers zweites Standbein, sondern bloß noch um sein rechtzeitiges Comeback zu den Olympischen Spielen in Salt Lake City im kommenden Februar.

Obwohl die Ärzte dem Skistar, der übrigens bei der Rodelei in den Straßengraben auch »tswei Tsähne« eingebüßt hatte, davon abraten, möchte der 28jährige bei Olympia antreten. Das schreibt jedenfalls die Illustrierte News in ihrer aktuellen Coverstory: »Das Maier-Drama. Sein irrer Plan: Start schon bei Olympia.«

Irre, der Plan. Liegt noch im August im Krankenhaus und möchte im Februar schon wieder Ski fahren. Wer sonst würde so verwegen sein. Aber: Kann er ja auch, der Maier Hermann, weil er »halt ein unheimlich klasser Bursch« (O-Ton behandlender Arzt) ist und die Wunden schnell verheilen und der Maier Hermann ein klassischer Kämpfer ist.

Und außerdem: Bei den Olympischen Spielen in Nagano 1998 hat er ja auch die Bodenhaftung verloren und bewältigte etwa 100 Meter der damaligen Abfahrt im Fluge. Keiner hat damals geglaubt, dass der Maier Hermann je wieder aufsteht. Aber was ist passiert? Nichts ist passiert. Nur der Maier Hermann, der klasse Bursch, hielt sich nachher für »unsterblich«.

Zwar geschah das eben in Maiers Biotop, also mitten im Schnee, aber seine Fans glauben auch jetzt fest an die beinahe amphibienhafte Widerstandskraft des rasenden Schneemannes: »Ich trau mich fast wetten, dass unser Hermann mit seinen Gips, seinen Konkurrenten trotzdem noch eine Sekunde abnimmt!« postete ein mit der stilsicheren Verwendung des Dativs und diverser Satzzeichen offenbar nicht so vertrauter Leser der Krone im Web.

Bis dahin haben die Österreicher zumindest einen neuen Wallfahrtsort gefunden. Die Kreuzung, an der es geschah. Denn dort gibt es jetzt den Hermann Maier zum Sammeln: »Der Unterschenkelknochen wurde derartig zerfetzt, dass ein Teil an der Unfallstelle zurückgeblieben ist. Doch das zu beheben, ist medizinisch kein Problem«, wusste täglich Alles. Na dann, auf zum Maier-Collecting nach Radstadt.