Streit um die Tute bianche

Over all

Die AkteurInnen der Tute bianche, die sich den weißen Overall der immateriellen und prekären Arbeit übergezogen haben, polarisieren inzwischen auch die Linken in Deutschland. Für die einen ist ihre Politik der Vermittlung und Verdeutlichung sozialer Konflikte, die seit 20 Jahren in keinem öffentlichen Diskurs mehr verhandelt wurden, ein Hoffnungsschimmer, für die anderen ist bereits die mediale Präsenz der am Neozapatismus orientierten »Unsichtbaren« ein Gräuel.

Der Bruch mit tradierten Formen sozialrevolutionären Handelns wie die kommunalpolitische Orientierung einiger Centri sociali wird ihnen moralisch gern als Verrat ausgelegt. Tatsächlich läuft die Art, wie die Frage des Existenzgeldes mit den kommunalen Körperschaften verhandelt wird, auf die Einrichtung einer alternativen Arbeitsbörse hinaus. Dies kommt, genauso wie die geduldete Aufnahme illegaler MigrantInnen in den Centri sociali, den Intentionen der Kommunen entgegen, die darauf aus sind, die Sozialausgaben zu verringern.

Bestätigt schien dieser moralische Vorwurf durch die konzertierte Aktion der Tute bianche in Genua, deren angekündigte symbolische Übertretung der Roten Zone fatal gescheitert war. Was im Januar 2000 in Mailand gelungen war, das Durchbrechen der Polizeiketten vor dem Abschiebeknast an der Via Corelli, der danach vorübergehend geschlossen wurde, konnte unter den veränderten Bedingungen in Genua nicht klappen.

Zum einen gab es einen Regierungswechsel. Die alten AnsprechpartnerInnen der Mitte-Links-Koalition, mit denen sogar über Details wie die Beschaffenheit des Zauns um die Rote Zone verhandelt wurde, standen nicht mehr zur Verfügung. Zum anderen war wegen der Vielfalt und Anzahl der angereisten AkteurInnen keine Kontrolle über den Ablauf der Demonstrationen mehr möglich. Und im Dschungel der verschiedenen Sicherheitsbehörden wollten sich einige Kräfte, die bislang durch eine Art historischen Kompromiss zwischen linken und rechten Strömungen gebunden waren, vor den neuen rechten Machthabern profilieren.

So kam es am Freitag in der Via Tolemaide zum vorzeitigen und echten Angriff der Carabinieri auf die »Ungehorsamen«, während nach den Absprachen zwischen den Tute bianche und der Polizei eine medial wirksame, real jedoch harmlose Konfrontation erst am Bahnhof Brignole vorgesehen war. Plötzlich waren die Verhandlungskanäle verstopft, und die spontanen Abwehrkämpfe sowie die Taktik der Tute nere taten ein Übriges, um die Situation allen, denen an einer Steuerung der Proteste gelegen war, entgleiten zu lassen.

In der Debatte, die auf die Ereignisse von Genua folgt, in der zugleich die Proteste gegen den Nato-Gipfel bei Neapel vorbereitet werden, fällt es den Overalls schwer, sich der veränderten Lage anzupassen. Neben der hysterischen Medienpräsenz ihrer so genannten Sprecher ist es die anfangs allen sozialen Bewegungen eigene informelle Organisationsstruktur, die eine von den Tute bianche beanspruchte Repräsentanz der Multitude als autoritäre Anmaßung erscheinen lässt. Multitude, Vielheit, ist ein von Spinoza entlehnter Begriff Negris, der die verschiedenen subjektiven Kräfte umfasst, die sich der imperialen kapitalistischen Entwicklung widersetzen. Eine Auflösung der Tute bianche in diese Multitude, und damit der Aufbau einer offenen, demokratischen Entscheidungsstruktur der Bewegung, wäre, unabhängig vom Termindruck irgendeines Gipfels, angebracht. Damit wäre von ihrer Seite die Voraussetzung erfüllt, dass in Italien statt über Verrat wieder inhaltlich über Reformismus und Revolution diskutiert werden könnte.