Hamburg vor der Bürgerschaftswahl

Brechmittel Wahlkampf

In der Schlussrunde des Hamburger Wahlkampfs wurde bekannt, dass zwei der mutmaßlichen Selbstmordattentäter vom 11. September in der Stadt gelebt haben.

Niemand in Hamburg muss sich fürchten«, beteuerte Hamburgs Bürgermeister Ortwin Runde (SPD) in der vergangenen Woche, es gebe »nach den Erkenntnissen aller Sicherheitsexperten keine Anzeichen für eine besondere Gefährdung« in der Stadt. Kurz zuvor war bekannt geworden, dass zwei der mutmaßlichen Selbstmordattentäter von Manhattan bzw. Washington, der 33jährige Mohamed Atta und der 23jährige Marwan Al-Shehhi, im Stadtteil Harburg gelebt und studiert hatten.

Die Meldung platzte in einen Wahlkampf, der vor allem von der Auseinandersetzung um die Innere Sicherheit geprägt war. »Ist die liberale Metropole auch noch bevorzugter Unterschlupf für ausländische Terroristen?« fragte das Hamburger Abendblatt am 14. September besorgt seine LeserInnen. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Wahlkampf schon ausgesetzt, alle großen Parteien hatten einer mehrtägigen Pause zugestimmt.

Die Ereignisse könnten der SPD endgültig die Chance auf den Sieg bei der Bürgerschaftswahl am kommenden Sonntag genommen haben. Stand sie doch sowieso schon im Ruch, zu viel für Ausländer und zu wenig gegen Kriminelle getan zu haben. In Hamburg herrscht »Wechselstimmung«, wie Ole von Beust, der Spitzenkandidat der CDU, nicht müde wird zu betonen.

Nach den jüngsten Umfragen würde die CDU allerdings nur auf 27 Prozent der Stimmen kommen, das wären 3,7 Prozent weniger als im Jahr 1997. Die Partei müsste wieder in die Opposition, gäbe es da nicht den so genannten Bürgerblock. So bezeichnet die Hamburger Presse eine mögliche Koalition der CDU, der FDP und der Partei Rechtsstaatliche Offensive (Pro) des Amtsrichters und Rechtspopulisten Ronald Schill (Jungle World, 28/01). Zuletzt lagen Umfragen zufolge der Bürgerblock und die Koalition aus SPD und Grün-Alternativer Liste (GAL) etwa gleichauf.

Schills Partei Pro käme demnach aus dem Stand auf etwa 14 Prozent. Er gab im Wahlkampf die Themen vor, auf die alle anderen Parteien eingehen mussten. Ende Mai wurde der damalige Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) auf diese Weise zum Rücktritt gedrängt. Er habe die Polizei nicht genügend unterstützt und sei nicht hart genug gegen die Drogenszene vorgegangen, lauteten die Vorwürfe. Sein Nachfolger im Amt, Olaf Scholz (SPD), lernte schnell und erklärte nach seiner Ernennung: »Ich bin Senator für Law and Order.«

Dennoch hielt Schill ihm am 7. September auf einer Podiumsdiskussion vor: »Herr Scholz hat sich nie für das Thema Innere Sicherheit interessiert.« Die SPD sei »verbrecherfreundlich«, ihr Kurswechsel kurz vor der Wahl sei eine »Verdummung der Wähler«. Scholz zählte im Gegenzug auf, was er schon alles für Hamburg getan habe: Es gebe mehr Polizei für den Stadtteil St. Georg, mehr Einsätze gegen die Drogenszene und die Verwendung von Brechmitteln gegen mutmaßliche Drogenverkäufer.

Einen Tag vor der Podiumsdiskussion mit Scholz, Schill, Antje Radcke, der Vorsitzenden der GAL, und Vertretern der CDU und der FDP hatte das Hamburger Abendblatt gemeldet: »Brechmittel-Einsatz: Der erste Erfolg.« Innensenator Scholz meinte, damit sei nun ein »Beweis für eine angemessene und konsequente Linie im Kampf gegen Drogendealer« erbracht. Und selbst Antje Radcke forderte auf einmal Präventionsmaßnahmen gegen die Kriminalität. Im Juni war ihre Partei noch entschieden gegen den Einsatz von Brechmitteln gewesen, dann aber kam der anders lautende Beschluss der rot-grünen Landesregierung.

Dass Schill mit seinen Themen durchkam, hat er auch der CDU zu verdanken. Die Christdemokraten versuchten, sich neben der Pro als Partei der Inneren Sicherheit zu profilieren und bezeichneten Schill als keinesfalls rechtsextrem und durchaus koalitionsfähig. Auf dem Bundeskongress der Partei zur Inneren Sicherheit, der eigens in Hamburg abgehalten wurde, behauptete Ole von Beust Anfang September, Hamburg sei unter der Regierung von SPD und GAL »zur gefährlichsten deutschen Stadt geworden«. Er forderte die »konsequente Bestrafung von Graffiti-Straftätern« und die »sofortige Beseitigung der offenen Drogenszene«.

Mit Sicherheit aber sind auch einige ehemalige Wähler der SPD unter den Anhänger Schills. Bundesinnenminister Otto Schily ahnt das. Er erklärte am 10. September der Hamburger Morgenpost: »Hamburg ist ein Sammelplatz für viele Ausländer, die illegal hier leben. (...) Auf meine Initiative hat die Innenministerkonferenz eine Arbeitsgruppe gebildet, die sich für eine schnellere und konsequentere Rückführung von illegal hier lebenden Ausländern bemüht.« Olaf Scholz wird es gefreut haben. Er brüstete sich im Juni damit, dass Hamburg im vergangenen Jahr 2 000 Abschiebungen durchgeführt habe.

Trotzdem wird es für die SPD und die GAL bei den Wahlen äußerst knapp, vielleicht wird die Zahl der Abgeschobenen demnächst von einem Innensenator Schill verkündet. Denn auch eine Ampel-Koalition wird Bürgermeister Ortwin Runde nicht retten. Die FDP hat sich vor zwei Wochen nach einem längeren Hin und Her auf eine Koalitionsaussage zugunsten der CDU und Schills geeinigt, inzwischen wird ihr Spitzenkandidat Rudolf Lange nicht mehr müde zu betonen, dass die Liberalen auf den Bürgerblock setzen.

Seit vier Jahren regiert Runde im Hamburg. Sein Amtsvorgänger, Henning Voscherau, war nach der Bürgerschaftswahl 1997 wegen des miserablen Wahlergebnisses der SPD zurückgetreten. Von 40 Prozent war die Partei auf 36 Prozent abgerutscht. Schuld daran war auch Voscheraus rechte Wahlkampagne. Dennoch reichte es gerade noch einmal für ein rot-grünes Regierungsbündnis. Doch die SPD scheint noch immer nicht begriffen zu haben, dass ein Law-and-Order-Wahlkampf das Original stärkt, in diesem Fall die Partei Ronald Schills.

Auch die vierte in der Hamburger Bürgerschaft vertretene Parlamentsfraktion wird das wohl nicht verhindern können. »Regenbogen - für eine neue Linke« nennt sich die Fraktion, die von fünf Abgeordneten gegründet wurde, die im Mai 1999 aus Protest gegen die grüne Unterstützung des Kosovo-Krieges die GAL verlassen hatten. Auf ihrer Liste kandidieren u.a. Mitglieder der DKP, der Sozialistischen Alternative Voran (SAV) und der Hamburger PDS. Es ist die einzige Fraktion im Parlament, die den Law-and-Order-Diskurs kritisierte.

In Gregor Gysi hat die Liste einen prominenten Unterstützer gefunden. Der Kandidat für das Amt des Berliner Bürgermeisters hat es abgelehnt, den regulären PDS-Landesverband Hamburg im Wahlkampf zu unterstützen. Schließlich hatten dessen Vertreter ihn beim Münsteraner PDS-Parteitag im Jahr 2000 als »Kriegstreiber« bezeichnet.

Aber auch von Gysi dürfte der Ausgang der Wahl kaum mehr entscheidend beeinflusst werden. Vielmehr wird es darauf ankommen, ob es Bürgermeister Runde und Innensenator Scholz in den Tagen vor der Wahl gelingt, die Entdeckung, dass zwei ehemalige Hamburger Studenten an den Attentaten in den USA beteiligt waren, staatsmännisch zu bewältigen, oder ob die Ereignisse als ein weiterer Beleg für die Unfähigkeit der SPD interpretiert werden, die Innere Sicherheit der Stadt zu gewährleisten.