Israel nach den Anschlägen in den USA

Einsamer Verbündeter

Nach den Anschlägen in den USA sieht sich Israel als Teil einer weltweiten Koalition gegen den Fundamentalismus. Die Anti-Terror-Allianz reagiert allerdings reserviert.

Nach dem Anschlag auf das World Trade Center in New York werden die USA auch aus dem Nahen Osten mit Solidaritätserklärungen überschüttet. Da die Palästinenser täglich dem »israelischen Staatsterror« ausgeliefert seien, könnten sie das amerikanische Volk besonders gut verstehen, erklärte ein Sprecher der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) Ende vergangener Woche. Indem er »der Besatzung widerstehe«, kämpfe er täglich gegen den Terror, fügte der Chef der Autonomiebehörde Yassir Arafat hinzu.

Einen überzeugenden Eindruck werden diese Erklärungen kaum hinterlassen haben, schließlich musste Arafat gleichzeitig eine umfassende PR-Kampagne starten, die von öffentlichen Blutspenden bis zur Lichterkette vor dem US-amerikanischen Konsulat in Ost-Jerusalem reichte, um die Bilder von spontan jubelnden Palästinensern in den Straßen von Nablus zu verdrängen. Nach einer Freudendemonstration im Gaza-Streifen verhaftete die PA am vergangenen Sonntag einen norwegischen TV-Reporter und beschlagnahmte sein Filmmaterial. »Was in den USA geschehen ist, macht uns sehr glücklich, selbst wenn wir nicht dafür verantwortlich sind«, hatte zuvor Abdullah Shami, ein Führer des Islamischen Jihad in Gaza, einem anderen Kamerateam erklärt.

Arafat hat allen Grund, nervös zu reagieren. Seit der vergangenen Woche haben sich die Kräfteverhältnisse im Nahost-Konflikt verschoben. Ein Jahr lang, seit Beginn der zweiten Intifada im vergangenen Oktober, schien die Strategie der PA erfolgreich zu sein. Zwar gibt es nach wie vor keinen palästinensischen Staat, und den Menschen geht es schlechter als zuvor. Der Autonomiebehörde gelangen jedoch einige nicht nur propagandistische Erfolge. Ihr Kampf gegen den »kleinen Satan« förderte trotz der zahlreichen barbarischen Selbstmordanschläge die Sympathien für ihr Anliegen. Umgekehrt sank Isreals Reputation auf einen historischen Tiefpunkt. Das Land wurde - wie zuletzt während der Antirassismus-Konferenz in Durban - mit einem Apartheidsstaat gleichgesetzt. Das ist für die israelische Bevölkerung fast ebenso demoralisierend wie die ständige Bedrohung im Alltag. In Tel Aviv und Jerusalem sind die Straßencafés und Restaurants leer, viele Israelis versuchen, öffentliche Plätze zu meiden und sich auf dem kürzesten Weg zwischen ihrem Arbeitsplatz und ihrer Wohnung hin und her zu bewegen.

Darüberhinaus punktete Arafat auch auf diplomatischer Ebene, indem er die ihm wohl gesonnene EU in die Friedensverhandlungen involvieren konnte, während die USA sich mehr und mehr zurückzogen. Und nicht zuletzt gelang es der PLO-Führung, mit einer zweiten Auflage der Intifada die eigene Bevölkerung hinter sich zu sammeln. Acht Jahre nach dem Abkommen von Oslo hatte sich die soziale und materielle Situation in den palästinensischen Gebieten kaum verbessert, trotz umfangreicher Zuwendungen an die Autonomiebehörde. Angesichts sich mehrender Korruptionsvorwürfe ist es kein Wunder, dass es die palästinensischen Eliten vorziehen, die wachsende Unzufriedenheit auf den äußeren Feind zu lenken, anstatt selbst zum Ziel des Unmuts zu werden.

Doch seit dem Anschlag in New York verschieben sich in Israel und den Autonomiegebieten die Koordinaten. Für viele Israelis ist die Welt auf den Kopf gestellt. »Meine Frau rief mich an und sagte, ich solle so schnell wie möglich nach Israel zurückkehren, da es hier sicherer sei«, schrieb der Herausgeber der Jersusalem Post, der sich zu Beginn der vergangenen Woche in New York aufhielt. Plötzlich sieht sich das Land nicht mehr auf einem einsamen Posten, sondern als Teil eines »internationalen Kampfes der freien Welt gegen die Kräfte der Dunkelheit, die unsere Freiheit und unsere Lebensweise zu zerstören versuchen«, wie Israels Ministerpräsident Ariel Sharon nach dem Anschlag erklärte. »Heute sind wir alle Amerikaner«, stellte Außenminister Shimon Peres fest. »Arafat muss klar sein, dass dies seine letzte Gelegenheit ist, sich vom Terror zu distanzieren«, sagte der Vorsitzende der Arbeitspartei Ehud Barak.

Israelische Zeitungen widmen sich ausführlich den Verbindungen zwischen dem Hauptverdächtigen des WTC-Anschlags, Ussama bin Laden, und palästinensischen Organisationen, wie etwa der vom Iran unterstützten Hisbollah oder dem Islamischen Jihad. Unter Bezug auf diese Gruppierungen weisen israelische Politiker Interpretationen - die längst nicht nur aus arabischen Ländern kommen - zurück, denen zufolge das einseitige Engagement der USA für Israel die Anschläge erst provoziert habe. Für fundamentalistische Islamisten sei der Verlauf der Verhandlungen völlig irrelevant, ihnen genüge bereits die Existenz eines israelischen Staates, um ihren Terror zu legitimieren.

»Die Palästinenser müssen nun eine historische Entscheidung treffen. Ihre Fähigkeit, die Sympathien der Welt durch Gewalt zu gewinnen, ist dramatisch unterminiert«, zitiert die liberale Tageszeitung Ha'aretz einen hochrangigen Vertreter des Außenministeriums. Vor diesem Hintergrund lehnte Sharon das geplante Treffen zwischen Außenminister Shimon Peres und Yassir Arafat ab, das am letzten Sonntag stattfinden sollte. Peres drohte anschließend mit seinem Rücktritt.

Den PLO-Vorsitzenden in dieser Situation zu treffen, bedeute, ihm einen Rettungsring zuzuwerfen, begründete Sharon die Absage. Damit würde ihm zu neuer Legitimität verholfen und zwischen dem Terror in New York und dem Terror der Palästinenser unterschieden. »Arafat ist unser Ussama bin Laden«, so Sharon. Erst nach einer 48stündigen Feuerpause der Palästinenser könne verhandelt werden.

So lange jedenfalls setzt die Regierung in Jerusalem verstärkt auf militärischen Druck. Bereits am vergangenen Dienstag war die israelische Armee in Dschenin und Jericho in der Westbank eingedrungen und hatte Gebäude der Autonomiebehörde zerstört. Bei den anschließenden Feuergefechten wurden 14 Palästinenser getötet. »Von diesen Städten gingen in den letzten Wochen zahlreiche Anschläge und Selbstmordattentate aus«, begründete ein Armeesprecher die Aktion. In Ramallah und im Gaza-Streifen kam es am Wochenende ebenfalls zu Auseinandersetzungen, nachdem ein isrealischer Soldat getötet worden war.

Seitdem US-Präsident George Bush auch arabische Staaten in seine Koalition gegen die Mächte der Finsternis einbinden möchte, wird dieses israelische Vorgehen in Washington mit Unwillen quittiert. Eine Verschärfung des Konflikts gelte es derzeit auf jeden Fall zu vermeiden. Und auch in Europa werden die kritischen Stimmen gegen Israel lauter. Man könne den Terror gegen die USA und die Gewalt in den Autonomiegebieten nicht miteinander vergleichen, erklärte der französische Premierminister Lionel Jospin. Gut möglich, dass die USA - ähnlich wie während des Golfkriegs Anfang der neunziger Jahre - Israel demnächst kaltstellen, um potenzielle Verbündete in der arabischen Welt nicht zu verprellen.