Lukaschenko bleibt Präsident

Europas beliebtester Diktator

Aleksander Lukaschenko bleibt Präsident von Belorussland.

In Belorussland werde es zu keinem »jugoslawischen Szenario« kommen, hatte Präsident Aleksander Lukaschenko vor den Wahlen am 9. September mit unerbittlicher Miene angekündigt. Er werde keinem von »ausländischen Geheimdiensten inszenierten Putsch« weichen.

Der im Westen als »letzter Diktator Europas« betitelte Präsident von Belorussland hat Recht behalten. Lukaschenko konnte sich mit knapp 76 Prozent der Stimmen behaupten, auf den Oppositionskandidaten Wladimir Gontscharik dagegen entfielen nur rund 15 Prozent. Die Opposition beklagte zwar »massive Wahlfälschungen«, aber größere Proteste, wie sie für diesen Fall angekündigt waren, vermochte sie nicht zu organisieren, geschweige denn einen Sturm auf die Zentralen der Macht. Nur knapp 2 000 Anhänger Gontschariks versammelten sich am Wahlabend im strömenden Regen vor dem Republikpalast im Zentrum der Hauptstadt Minsk. Es dauerte nicht lange, bis die Sprechchöre verstummten und die frustrierte Menge sich in der kühlen, nassen Nacht verlief.

Auch die Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) verhielt sich ungewöhnlich kleinlaut. Mit großem Aufwand hatte sie 20 000 einheimische und 300 internationale Wahlbeobachter aufgeboten und eine »Parallelauszählung« der Stimmen in repräsentativen Wahllokalen angekündigt. Der deutsche Diplomat Hans Georg Wieck, Chef der OSZE-Mission, lieferte sich vor der Wahl in den Medien einen täglichen Schlagabtausch mit Lukaschenko. Der ehemalige Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND) und Vertreter der Bundesrepublik im Nato-Rat bezichtigte Lukaschenko, mit autoritären Methoden die Opposition einzuschüchtern. US-Außenminister Colin Powell warnte Lukaschenko davor, Belorussland könne sich »in den einzigen Paria Europas« verwandeln.

Doch dann gaben sich die OSZE und westliche Politiker auf einmal zurückhaltend. Zwar hätten die Wahlen »OSZE-Standards nicht genügt«, heißt es in einer Stellungnahme der Wahlbeobachter. Aber konkrete Hinweise auf eine groß angelegte Fälschung werden in den Erklärungen nicht genannt. Stattdessen wird die Kontrolle der Medien durch die Regierung und die polizeiliche Schikanierung der Opposition beklagt, welche einen fairen Wahlkampf unmöglich gemacht haben. Doch das ist »OSZE-Standard« in manchem Land und nicht nur in Belorussland.

Statt Konfrontation scheint nun auf einmal Zusammenarbeit mit Lukaschenko die neue Devise zu sein. »Die Auseinandersetzungen der vergangenen Monate sollten beigelegt werden«, heißt es in der OSZE-Erklärung zur Wahl. Stattdessen sollte »ein neues Kapitel fruchtbarer Zusammenarbeit« aufgeschlagen werden. »Solch eine neue Bemühung könnte den Weg Belorusslands zu den europäischen Communities öffnen.«

So ist nun eine gänzlich unerwartete Situation eingetreten. Lukaschenko scheint von seinem Spitzenplatz auf der Liste der Bösewichte zum beliebtesten Diktator Europas zu avancieren. Von allen Seiten wird er hofiert. Russlands Präsident Wladimir Putin gratulierte ihm schon kurz nach der Bekanntgabe der Ergebnisse telefonisch zu seinem »überzeugenden Sieg«. Die Europäische Union (EU) umschmeichelt ihn im devoten Ton der OSZE. Stef Goris, Delegationsleiter der Parlamentarischen Versammlung des Europarates in Belorussland, versprach, »zur Abschaffung der internationalen Isolation« des Landes beizutragen. Diese habe ihre »Ineffizienz« bewiesen. »Stummheit und Isolation nutzen nichts. Kritischer Dialog ist besser«, meint auch die Vorsitzende der deutsch-belarussichen Parlamentariergruppe Ute Zapf (SPD).

Und nicht zuletzt die schwachen Proteste in Belarus machen deutlich, dass sich tatsächlich nur wenige Untertanen Lukaschenkos einen anderen Präsidenten wünschen und die offiziellen Wahlergebnisse der Stimmung der Bevölkerung recht nahe kommen. Allein die Erklärungen der USA schlagen auch nach dem Wahlgang ein heftigeren Ton an.

Die ungewöhnlichen Umstände der Wahlen in Belorussland werfen ein Licht auf dieses ganz und gar ungewöhnliche Land, das, zwischen Russland, der Ukraine, dem Baltikum und Polen eingeklemmt, noch keinen Platz in der neuen Machtkonstellation Europas gefunden hat. Nach der Unabhängigkeitserklärung im August 1991 - in Moskau war der Putsch gegen Gorbatschow gerade niederschlagen worden - eroberte zunächst die nationalistische Belorussische Volksfront die Macht. Doch schon kurze Zeit später sollte deutlich werden, dass Belorussland auf eine enge wirtschaftliche Beziehung mit Russland angewiesen ist. Das Land stellte mit seinen zahlreichen Industriebetrieben immerhin so etwas wie die Fertigungshalle der Sowjetunion dar und wurde im Gegenzug mit Energie beliefert. So wurde Belarussland zum Protagonisten der Wiederaufrichtung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes der ehemaligen Sowjetrepubliken.

Gleichzeitig blieb - im Gegensatz zu den Baltischen Staaten oder der Ukraine - die nationalistische Bewegung in Belorussland schwach. Lediglich nach der Russischen Revolution hatte einige Monate lang ein unabhängiger belorussischer Staat existiert. Sonst war das Territorium aufgeteilt zwischen Polen, Litauen und Russland. Nach der Gründung der Sowjetunion bestand es als belorussische Sowjetrepublik. Zwischen 1941 und 1944 ermordeten die Soldaten der deutschen Wehrmacht in einem Vernichtungskrieg gegen die Bevölkerung ein Viertel der damals acht Millionen Belorussen. Heute versuchen belorussische Nationalisten verzweifelt, der Bevölkerung die Bedeutung der Nation beizubringen, die sich hauptsächlich durch die Sprache definieren soll, einen Dialekt des Russischen mit Einflüssen des Polnischen. Mit wenig Erfolg, wie die Unterstützung für den pro-russischen Präsidenten zeigt.

Der heute 47jährige Lukaschenko hatte sich 1994 gegen die belorussischen Nationalisten mit einem fulminanten Wahlsieg durchgesetzt. Der ehemalige Direktor einer Kolchose konnte als Parlamentsabgeordneter und Vorsitzender der Anti-Korruptionskommission große Popularität gewinnen. Mit markigen Sprüchen, demonstrativer Volksverbundenheit, sowjet-nostalgischen Reminiszenzen und heftigen Angriffen auf korrupte Politiker und ausländische Intriganten gewann er damals über 80 Prozent der Stimmen. Seither hat er ein paternalistisch-autoritäres Machtgefüge entwickelt, dem er als »Batjka« - »Väterchen« - unangefochten vorsteht, auch wenn er in den vergangenen Jahren an Glanz verloren hat.

Die russische Zeitung Nesawissimaja Gaseta erklärt die Popularität Lukaschenkos, vor allem bei der Landbevölkerung, so: »Auf 'Batjkas' Konten stehen die stabile Zunahme der Produktion und die im Vergleich zu anderen GUS-Staaten ausreichend hohen durchschnittlichen Gehälter, die Zunahme des Exports und andere wirtschaftliche Kennziffern. Und all das unter der Bedingung, dass die Machtorgane praktisch die ganze Situation kontrollieren. Und obwohl alle diese Angaben des Öfteren die tatsächliche Armut und die sich anhäufenden Probleme verdecken, ist für die allmählich älter werdende Bevölkerung der Republik das Bestreben, alles beim Alten zu lassen, die relative Stabilität nicht zu riskieren, wichtiger als ein neues Leben mit einem neuen Präsidenten zu beginnen, um in Zukunft irgendwelche flüchtigen Freiheiten zu erlangen.«

Tatsächlich schrumpfte in den zehn Jahren nach dem Kollaps des RGW zwischen 1989 und 1999 die Produktion in Belorussland »nur« um 23 Prozent. In Russland lag diese Ziffer bei 45 Prozent, im südlichen Nachbarland Ukraine gar bei 63 Prozent. In den vergangenen Monaten kam es mit dem Aufschwung der russischen Ökonomie auch zu einer Zunahme der Produktion in Belorussland.

Während die wirtschaftliche Struktur in Belorussland - noch immer sind über 90 Prozent der Betriebe im Staatsbesitz, es gibt kaum Auslandsinvestitionen und Privatisierungen - also aus dem Westen als anachronistisch abgekanzelt wird, geht es der Bevölkerung zwar nicht gut, aber nicht so schlecht wie vielen Menschen in den ehemals sowjetischen Nachbarländern. Pro-westlich eingestellte Belorussen träumen zwar von einer Entwicklung wie in Polen oder Tschechien und der Integration in die EU. Aber ihnen ist auch klar, woran das scheitern dürfte. »75 Prozent der Emissionen der Tschernobyl-Havarie gingen in Belorussland nieder. Weite Teile unseres Landes sind verstrahlt«, meint ein Mitarbeiter einer Nichtregierungsorganisation.

Dennoch ist das Land für den Westen nicht gänzlich uninteressant, wie die Bemühungen der US-Botschaft und der OSZE um die Opposition zeigen. »Belorussland bleibt einer der letzten Vorposten Moskaus gegen die sich immer weiter ausdehnende Nordatlantische Allianz«, stellt die Nesawissimaja Gaseta fest. Nach dem Scheitern der Opposition ist Lukaschenko jetzt in der bequemen Lage, die Interessen Russlands und des Westens für seine Zwecke benutzen zu können. Er kündigte an, dass die Beziehungen zu Russland und den GUS-Staaten vorrangig seien. Gleichzeitig sei er aber bereit, sich auf eine »aktive Zusammenarbeit« mit der Europäischen Union und den USA einzulassen, allerdings »ohne jegliche Vorbedingungen«.