Steven Spielbergs »A.I.«

In Teufels Küche

Stephen Spielbergs »A.I.« ist der Film zum Terrorkrieg.

Manhattan - der Ort, wo die Welt zu Ende ist; kein Mecha kam je zurück«, erklärt Sexroboter Jude Law seinem sehr jungen Freund. David ist auf das Alter von elf Jahren programmiert. Beide sind Mechas, industriell gefertigt. Beide sind im Sperrgebiet, und sie sind nicht kaputt. »Wenn das Ende kommt, sind nur wir Mechas übrig, deswegen töten sie uns.« »Sie« - das sind die Organischen, die Industriellen, die Mütter zu Haus und die Väter in den Bürotürmen, die Menschen. Und sie sind mit ihrer Mechas verachtenden Politik gescheitert. Spielberg, der Prophet, zeigt uns in seinem Film die Bilder, die wir vor einer Woche im Fernsehen gesehen haben - die Einzelheiten stimmen nicht genau überein, denn die Filmwolkenkratzer sind geknickt und nicht pulverisiert, aber der apokalyptische Staub, der die Skyline verdämmert, ist total gut getroffen. Ein Timing, das höchste Bewunderung verdient.

In der Vorstellung saßen am Starttag zwar nur drei Zuschauer, von denen zwei eine halbe Stunde zu spät gekommen waren. Dafür aber schluchzte das Paar herzerweichend, stellvertretend für die, die nicht gekommen waren. Hatte die Promotion versagt? Selbst in unseren liebsten Tageszeitungen hatten sich bedeutende Leute die Finger wund geschrieben, wie denn nun die Anteile von selig Kubrick und lebend Spielberg am Film zu sortieren seien.

Wen interessiert's? Dieser werkanalytische Seminarkram ist doch nur was für Lehrbeauftragte und den Fachbereich 9. Auf dieser Schiene könnte man, wenn man wollte, auch ohne weiteres zurückfahren ins deutsche Melodram des Faschismus. Hat nicht das Haupt der Sippe Jan Harlans, des ausführenden Produzenten, das Juden verachtende Melodram »Jud Süß« gedreht? Und ist Veit Harlans DNA irgendwie in Hollywood reaktiviert? In »A.I.« geht's ja um die Technik, per Haar eine Endzeit später, den dazu gehörenden Menschen zu aktivieren.

Wenn wir also die werkanalytische Tour fahren, dann wollen wir registrieren, dass der Harlan-Spross und Kubrick, der das »A.I.«-Projekt entwickelt hatte, jahrzehntelang verschwägert, befreundet und Arbeitskollegen waren. Für Georg Seeßlen sind Harlans Filme »Muster des deutschen Melodrams«. In der Reichswasserleiche Kristina Söderbaum sei die gemeinsame Mutter-Figur von Melodram und Nazi-Ideologie gefunden; die faschistische Metaphorik des melodramatischen Genres brauche die Reichswasserleiche, die Frau, die angebetet, geschändet, ertränkt und wieder verehrt werde - stets unerreichbar, aber immer begehrenswert; die Söderbaum, so wie sie in »Jud Süß« und den anderen Filmen Harlans inszeniert werde, erfülle das Frauenideal des Faschismus. Sagt Seeßlen. Und gerade im Manhattan-Finale steigert sich das Schluchzen des Heteropaares grandios, wenn unsere Filmheldin, eine blaue Fee, eigentlich eine Madonna, im Hudson-River liegt, angebetet und angehimmelt, soweit das in 50 Meter Tiefe geht, vom kleinen Mecha, der den biblischen Namen David hat. Auch haben wir erfahren, dass die Endzeit von Manhattan vor 2000 Jahren war, damals sehnten sich alle Unterdrückten nach einem Erlöser. Der dann auch kam.

»A.I.« ist ein altneues Melodram der funktionierenden Art, jedenfalls für Freunde der guten alten dänischen Küche. Ich weiß noch, wie wir mit Till und Björn, elf Jahre alt, in Thisted im Restaurant saßen. Wir wollten uns was leisten. Erbsen, Kartoffeln, dann Fleisch, lecker, jeder Teil warb für sich, und dann im Moment, in dem wir zu Gabel griffen, kam die Riesenkelle braune Soße drüber, dann noch eine und noch eine. So etwa müssen Sie sich vorstellen, was die Filmmusik mit »A.I.« macht. Aus Knackigem wurde Melo-Mampf.

Ich frage mich die ganze Zeit, ob Sie von mir erwarten, dass ich den Plot erzähle. Aber das würde ich auch beim Ring des Nibelungen nicht machen. Deswegen bleibe ich beim Musikgeschluchze und wie es sich in der großen Proloshow vornehm zurückzieht. Die Tonspur wird dem anderen Lager überlassen. Die Metal-Band Ministry (echt!), Pioniere des Goth, stimmen bösartig aggressiv auf die Sado-Spiele in der voll besetzten Fun-Arena ein.

Wir kommen jetzt in diesem Text nach einem ziemlichen Umweg wieder zurück nach Manhattan, wo es wie nach einem Terroranschlag aussieht. Da Spielberg offensichtlich auch in analytischer Hinsicht hellseherische Kräfte gehabt hat, lernen wir, dass erstens die Welt aus der Perspektive Manhattans in zwei Lager aufgeteilt ist (Menschen und Nichtmenschen, also Mechas), und zweitens dass, was in Manhattan passiert ist, weiter nichts war als eine Reaktion auf die globale Repression. Zwar wird es nicht explizit gesagt, dass es Notwehr war, wenn sich diejenigen, die weltweit auf dem Schrottplatz entsorgt werden, endlich gegen die wehren, die Euthanasie- und Tötungsprogramme auflegen, um Markt und Macht zu sichern, und dabei noch in Discos ekelhafte Musik hören.

Aber wir kriegen Spielbergs Gedanken - er schrieb das Drehbuch -, dass es recht war, Manhattan auszulöschen, in Bild und Ton sehr melodiös mit, und ich weiß nicht, was Kissinger dazu sagen wird.

Wer also in das für Mechas gesperrte, aber jetzt menschenfreie Endzeitmanhattan eindringt, ist unser ungleiches Mechapaar. Mit einem Flugzeug fliegen sie auf den einzigen Büroturm zu, der noch die vertikale Lage einnimmt. Unsere lieben Roboter fliegen in die Fassade rein, wir kennen die Bilder, aber es rummst nicht, denn die beiden landen in einer Empfangshalle. Eine kleine Abweichung, aber dann wieder ein stimmiges Bild; Klein-David stürzt sich vom Wolkenkratzerdach in die Tiefe. Er springt, »um seinen Traum zu verwirklichen«, wie es - leicht schwülstig - im Dialog heißt.

Aber nochmal: Wieso ist in Spielbergs »A.I.« Manhattan, das Zentrum der USA und damit des Globus, »das Ende der Welt« geworden? Verantwortlich scheint jemand vom Schlage Bushs zu sein, dessen schurkische Ökologie-Verweigerung zum Schmelzen des Polareises und zur Sintflut geführt hat. - Man mag es kaum glauben, in einem Mainstreamfilm diesen Gedanken ausgeführt und bebildert zu bekommen, aber so ist es. Manhattan war der Sitz des Bösen geworden, und die Strafaktion ist Natur der Sache. Das Drehbuch gibt sich große Mühe, uns plausibel zu machen, dass die Menschen-Apokalypse hausgemacht war und der Menschenuntergang gerecht.

Ist also David ein klammheinlicher Taliban? Das eben nicht. Der Knabe hat zwar biblische Größe; nach mythischen 2 000 Jahren - inzwischen hatte eine Eiszeit mit den Organischen endgültig Schluss gemacht -, wird er von extraterristischen Erdforschern wieder aufgetaut, alles liebevolle E.T.s, Erwachsene inzwischen, man hält einander an den Händen, ist edel, hilfreich und, schluchz, gut. Der Mecha David, der kleine Underdog, ist bei ihnen gut aufgehoben, er suhlt sich im Prunkbett einer Business-Suite, die lieben Aliens haben auf ihre Art rekonstruiert, was sie auf der Spurensuche gefunden haben. Sie sind die besseren Menschen.

Wir kommen jetzt zur Ethik. Den Manhattanmenschen, die als Ökoschurken und wahre Terroristen entlarvt worden waren, wird nun vorgeworfen, aus rationalem Kalkül und Menschen verachtendem Kosten/Nutzen-Denken family values sowie sonstige Werte missachtet zu haben. Damit wird die aktuelle Ideologie im Bushland bedient, und es mag ein wenig mit der Zerstörung der Manhattanskyline versöhnen.

Obwohl, so schlimm war das ja auch wieder nicht, fiktional, weil vom Kinomedium der Schaden bekanntlich eingeübt war. Was gab's noch und noch für Crashs und Tower-Gekrümel in den S.F.-Filmen der letzten Zeit. Als ob man das Debakel hätte beschwören wollen; es war ja gradezu eine unerhörte Ausnahme gewesen, dass die Affen, ja die vom anderen Planeten, das Weiße Haus ohne Gebäudeschaden übernommen hatten. Und nochmal: Die E.T.s, die von ihrem Planeten, sind dabei, den Globus Erde wieder neu zu erschaffen, von Null an. Ist es so, dass uns, und damit meine ich Manhattan, nur noch Leute vom ganz anderen Lager helfen können, vom anderen Stern?

Spielberg, Spielberg, du kommst in Teufels Küche. Aber, und nun nehme ich zum Schluss noch mal den moralischen Faden auf: Wie sieht die intakte US-Idealfamilie aus? Die Frau macht im 300-Quadratmeter-Bungalow die Betten, der Mann sitzt am PC im Büro, das Kind schläft in einem Designerbett, eher in einem Flugzeugrumpf, sicher gibt's das schon auf dem Markt, abends zieht Mutter das weiße lange Abendkleid an, und wenn Papi gut gelaunt ist, gibt er ihr einen Klaps auf den Hintern. Ja, so soll es wieder werden! Dahin wollen wir zurück! Denn der Filmplot berichtet von bedenklichen ethischen Deformationen: Die Menscheneltern, die den voll funktionsfähigen Mecha-Sohn als Spielzeug in ihren Schoß aufgenommen hatten, setzen ihn, lästig geworden, wie in einem dieser regressiven Märchen im Wald aus, wo die Räuber sind. Grausam ist das, David wollte nur Mutterliebe, aber es war einmal.

»A.I. - Künstliche Intelligenz«; USA 2001. R: Steven Spielberg; D: Jude Law, Haley Joel Osment. Bereits angelaufen.