Sicherheitskonzepte der PDS

Entspannter Bus fahren

Die Berliner PDS hat die Kriminalität als Wahlkampfthema entdeckt und fordert mehr Geld für Sicherheit.

Seit dem 11. September ist nichts mehr so, wie es war. Seit dem 11. September war kein Satz so oft zu hören wie dieser. Auf Berlins Innenstadtbezirk Mitte trifft der Satz trotz seines inflationären Gebrauchs zu. So wurde der Objektschutz vor jüdischen Einrichtungen in Mitte deutlich verstärkt und vor den Cafés rund um die Tucholskystraße stehen Absperrgitter. In der Oranienburger Straße kontrollierte die Polizei erst kürzlich den nachmittäglichen Berufsverkehr, als ob sie allen Ernstes glaubte, auf diese Weise Anhänger bin Ladens finden zu können. Diese Maßnahme dürfte den Versuchen des rot-grünen Senats geschuldet sein, beunruhigten Berlinern Sicherheit vorzutäuschen, auch um die Wiederwahl nicht zu gefährden.

Dabei scheint der trübe Berliner Wahlkampf schon seit dem Sommer entschieden zu sein, als CDU-Spitzenkandidat Frank Steffel von einem Fettnapf in den nächsten tappte. Die prognostizierte »Schlacht um Berlin«, der Endkampf zwischen Wilmersdorf und dem Weltkommunismus, blieb aus. Und selbst das Thema »Innere Sicherheit« taugt trotz der Terroranschläge auf die USA und des Erfolgs der Schill-Partei in Hamburg nicht so recht zum Wahlkampfschlager der Union.

Gerne möchte man glauben, das liege an der Berliner Bevölkerung, die weltoffener sei als der Rest Deutschlands, wo das subjektive Bedrohungsgefühl gerne neurotische Züge annimmt. Derzeit halten nach einer Umfrage des Berliner Tagesspiegel jedenfalls »nur« 27 Prozent der Hauptstadtbewohner die Kriminalität für das entscheidende Wahlkampfthema, die Arbeitslosigkeit hingegen 42 Prozent. Vermutlich aber ist Steffel nur der falsche Kandidat, um die Ressentiments der Berliner zu mobilisieren. In derselben Umfrage bekundeten immerhin 18 Prozent der Befragten, Schill wählen zu wollen, wenn dieser in Berlin anträte.

Die SPD hat - wie auch in anderen Bundesländern - versucht, mit harten Maßnahmen den rechten Rand zu integrieren. Der sozialdemokratische Innensenator Erhart Körting hatte zunächst nichts gegen die Forderung einzuwenden, die Bundeswehr in Berlin zum Objektschutz einzusetzen. Und die Rasterfahndung an den Universitäten dehnte Körting auf alle Studenten aus islamischen Ländern mit legalem Aufenthaltsstatus aus.

Nur eine Partei wurde von der Sicherheitsdebatte kalt erwischt: die PDS. In den Umfragen verlor die PDS nach den Anschlägen auf die USA drei Prozent, sie fiel von 18 auf 15 Prozent. Das anvisierte Ziel »20 + x« rückte in weite Ferne. Lange Zeit war die PDS stolz darauf, liberale innen- und ausländerpolitische Forderungen aufrechtzuerhalten, obwohl ein Großteil ihrer Wähler sie trotz und nicht wegen dieser Positionen wählte. Was aber, wenn die Wähler wegen der liberalen Forderungen wegbleiben, wenn die subjektive Unsicherheit als Wahlmotiv wichtiger wird als der Wunsch, für soziale Gerechtigkeit zu sorgen?

Von den schlechten Umfragewerten beunruhigt, verspricht Gregor Gysi, für mehr Sicherheit auf der Straße und in öffentlichen Verkehrsmitteln sorgen zu wollen. In Nachtbussen sollte neben dem Fahrer stets ein Sicherheitsbeamter mit Kontakt zur Polizei stehen. Auch sei es falsch gewesen, das Aufsichtspersonal auf den Bahnhöfen abzubauen, um Geld zu sparen. »Die Linke muss lernen, dass Sicherheit und das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung nichts Reaktionäres, sondern berechtigt sind«, sagte Gysi. Erstmals wird verständlich, warum er von seinen Gegnern als »Populist« bezeichnet wird. Unsicherheit in U- und S-Bahnen gilt als klassisches Symptom einer bloß subjektiven Furcht vor Kriminalität, die sich durch objektive Zahlen nicht erhärten lässt.

Am vergangenen Freitag schließlich reichten die innenpolitischen Experten der PDS, Marion Seelig und Marian Krüger, einen durchaus differenzierten Vorschlag für ein neues Berliner Polizeikonzept nach. Im Zentrum steht dabei die Forderung nach 69 Millionen Mark an Bundeszuschüssen für den verstärkten Objektschutz der Stadt sowie für die Anschaffung eines neuen Polizeihubschraubers.

Eine innere Reform der Polizei soll Doppelzuständigkeiten in der Verwaltung abbauen und damit Kapazitäten für Ermittlungsarbeiten und mehr »Grün auf der Straße« erschließen. Tatsächliche Sicherheitsprobleme der Stadt müssten aber gelöst werden, ohne individuelle Freiheitsrechte zu beschneiden. »Daher kommt es jetzt für die Berliner Innenpolitik darauf an, mögliche Gefährdungspotenziale nüchtern zu analysieren und jeder Sicherheitspanik entgegenzutreten«, heißt es in dem Papier.

Doch auch die PDS geht mit keinem Wort auf die Ergebnisse des kürzlich erschienenen Kriminalitätsberichts des Innensenats ein. Demnach sank die Berliner Kriminalität im vierten Jahr in Folge. Insbesondere Schwerverbrechen wie Mord (minus 15,5 Prozent), Totschlag (minus 6,3 Prozent) und Vergewaltigung (minus 18,6 Prozent) gingen zurück. Die Aufklärungsquote stieg dagegen kontinuierlich seit 1991 von 38,2 auf 49,7 Prozent. Nach der Wahl in Hamburg ist es offensichtlich nicht mehr opportun, mit objektiven Zahlen gegen eine subjektive Kriminalitätsangst zu argumentieren.

Der Wandel innenpolitischer Positionen der Berliner PDS fügt sich ins Gesamtbild der Partei: Innerhalb des letzten halben Jahres haben sich die demokratischen Sozialisten mehr und mehr den inhaltlichen Schwerpunkten der Neuen Mitte wie der Haushaltskonsolidierung und einer Bildungspolitik, die auf Chancengleichheit statt auf soziale Gleichheit setzt, angenähert.

Auch die Wahlkampforganisation hat von Schröders SPD gelernt. Strategische Fragen werden nicht auf Parteitagen diskutiert, sondern im kleinen Zirkel entschieden. Zudem distanziert sich Spitzenkandidat Gysi mit der Einrichtung eines eigenen Wahlkampfquartiers von seiner PDS ähnlich wie Schröder 1998 von der SPD. Neue Mitte heißt aber auch, einen starken Staat zu favorisieren, der stark sein muss, weil er jede Umverteilung ablehnt und so mehr Unsicherheit produziert.

Dass nun auch die PDS einer bloß halluzinierten Kriminalitätsgefahr nachgibt, lässt jedenfalls Schlimmeres für den Moment erwarten, in dem tatsächliche Risiken eintreten. Berlin hat im Gegensatz zu Paris und London keine Erfahrungen mit einer Serie von Bombenanschlägen gegen zivile Ziele, die im Verlauf des »War against Terror« eine durchaus mögliche Antwort islamistischer Gruppen in den westlichen Hauptstädten sein könnten. Wie will der Senat dann reagieren? Doch die umfassende Videoüberwachung einführen, wie sie die CDU schon jetzt fordert? Razzien in Moscheen? Meldeauflagen für arabische Staatsbürger?

Immerhin haben wenigstens die Berliner Grünen ihre Rolle als »Anwalt der Bürgerrechte« teilweise wieder entdeckt. Sie beherrschen dabei, was die Bundesministerriege bis heute nicht gelernt hat: ihrem Koalitionspartner öffentlich zu widersprechen. So kritisierte der grüne Justizsenator Wolfgang Wieland die Kriterien für Körtings Rasterfahndung unter islamischen Studenten und wandte sich gegen Schilys Pläne zur Speicherung des Fingerabdrucks in den Personalpapieren. Polizeiliche Maßnahmen, so die Grünen, müssten »erforderlich, zielgerichtet, effektiv und praktikabel« sein.